Grüne Schulze über Corona-Demos: „Schluss mit Appeasement-Politik“
Spaziergänge? Wer’s glaubt! Die Grüne Katharina Schulze fordert mehr Härte gegenüber Querdenkern – und plädiert für eine Doppelstrategie.
taz: Frau Schulze, der französische Präsident Emmanuel Macron hat zuletzt Impfgegner übel beschimpft und dabei sogar einen derben Kraftausdruck verwendet. Sind Sie manchmal versucht, ähnlich deutlich zu werden?
Schulze: Ich habe zumindest Verständnis dafür, dass all die Menschen, die sich seit fast zwei Jahren an die Regeln halten und ihr Bestes tun, um Corona einzudämmen, es nicht nachvollziehen können, wenn sie Bilder von Menschen sehen, die ohne Abstand, ohne Maske und ohne sich an die Auflagen zu halten, durch die Straße marschieren und dann vielleicht noch Polizistinnen und Polizisten angreifen. Jetzt habe ich gerade gelesen, dass eine Frau einen Polizisten ins Bein gebissen hat. Geht’s noch? Ich verstehe schon, wenn der einen oder dem anderen da die Hutschnur reißt.
Lassen wir uns von Quertreibern, die sich selbst als Querdenker oder Spaziergänger bezeichnen, zu sehr auf der Nase rumtanzen?
Ja, das finde ich schon. Schauen Sie doch, zu was für Szenen es zum Beispiel bei uns in Bayern in den letzten Wochen und Monaten gekommen ist: In Schweinfurt haben sie versucht, ein Polizeiauto anzuzünden. Medienvertreterinnen und Polizisten wurden angegriffen, Messer mitgeführt. Ein Kind wurde verletzt, das eine Demonstrantin quasi als Schutzschild mitgenommen hatte. Das sind Dinge, die wir nicht akzeptieren dürfen. Die Versammlungsfreiheit ist ein sehr hohes Gut in unserem Land. Jede und jeder kann die Corona-Maßnahmen kritisieren, auch auf der Straße. Aber: Es gibt Regeln. Die eine ist, dass man friedlich demonstriert, die andere, dass man sich an die Auflagen hält.
Das ist der Punkt, wo die Toleranz für Sie ein Ende hat?
Auf jeden Fall. Man kann an der Mehrheitsmeinung Kritik äußern, aber wenn man immer wieder absichtlich Auflagen unterläuft und behauptet, man würde doch nur spazierengehen und das sei doch keine Versammlung, dann muss ich schon sagen: Verkauft uns nicht für blöd! Ein solches Katz- und Mausspiel mit der Polizei muss sich der Rechtsstaat nicht gefallen lassen.
36, sitzt seit 2013 für die Grünen im bayerischen Landtag. Seit 2017 steht sie gemeinsam mit Ludwig Hartmann an der Spitze ihrer Fraktion.
Heißt?
Heißt, dass die ausgesprochenen Auflagen dann auch kontrolliert und Verstöße sanktioniert werden. Man muss auch ganz deutlich sagen, dass viele dieser sogenannten Querdenker und Spaziergänger bewusst eine Destabilisierung des politischen Systems herbeiführen wollen. Rechtsextremisten und Reichsbürger nutzen diesen Protest, um ihre Ideologie in die Gesellschaft hineinzutragen. Und da sehe ich nicht, dass die Polizei bisher immer in die Lage versetzt wurde, die Auflagen konsequent durchzusetzen. Darum sage ich: Schluss mit der Appeasement-Politik gegenüber den Querdenkern!
Dieses Appeasement wird oft damit begründet, man wolle eine weitere Spaltung der Gesellschaft verhindern. Wie gespalten sind wir denn schon?
Unser Land ist nicht gespalten. Es wird ja manchmal suggeriert, dass da ein Spalt mitten durch unsere Gesellschaft geht und sich da zwei gleich große Teile gegenüberstehen. Aber das ist Unsinn. Die, die sich tatsächlich abgespalten haben, sind eine äußerst kleine, wenn auch laute Minderheit. Ihnen steht die ganz große Mehrzahl der Menschen gegenüber, die auf Fakten, wissenschaftliche Erkenntnisse und die Kraft von Argumenten setzt.
Auflagen kontrollieren, Verstöße sanktionieren – das sagt sich leicht. Aber wie soll man einer spazierenden Möchtegern-Guerilla Herr werden, ohne eine Eskalation der Situation zu riskieren?
Ich glaube, es braucht zwei Dinge, die Hand in Hand gehen müssen: Repression und Prävention. Dazu gehört, dass das zuständige Innenministerium mit den kommunalen Ordnungsbehörden und der Polizei zusammen die Lage bewertet und an die jeweiligen Gegebenheiten angepasste Auflagenbescheide und Einsatzpläne entwickelt. Außerdem muss diese Bewegung endlich genau unter die Lupe genommen werden. Schon bei den ersten Demonstrationen 2020 waren Rechtsextremisten und Reichsbürger mit dabei. Und die Szene der sogenannten Querdenker hat sich inzwischen noch weiter radikalisiert. Der Hass, den sie auf die Straße tragen, hat sich zu einem Problem für die ganze Gesellschaft entwickelt. Deshalb brauchen wir eben auch Programme zur Prävention und Deradikalisierung und müssen die Aufklärung über Verschwörungsmythen stärker nach vorne stellen.
Die Grünen sind ja eine eher demonstrationsfreudige Partei. Gerade zu Beginn ihrer Geschichte standen sie der Staatsgewalt auf der Straße auch mal konfrontativ gegenüber. Jetzt stehen ausgerechnet Sie an der Spitze derer, die ein hartes Durchgreifen des Staates fordern.
Ich sehe da keinen Widerspruch. Natürlich schützen wir die Versammlungsfreiheit. Wir waren auch die ersten, die am Anfang der Pandemie, als Bayerns Ministerpräsident Markus Söder die Versammlungsfreiheit eingeschränkt hatte, gesagt haben: Sorry, so geht das nicht. Es muss auch in einer Pandemie möglich sein, zu demonstrieren – unter Beachtung des Infektionsschutzes und möglicher Auflagen.
Aber auch linke Demonstrationen können eskalieren, weil beispielsweise ein gewaltbereiter Kern die Aufmerksamkeit auf sich zieht, der nicht für die Mehrheit der Demonstrierenden spricht. Ist es nicht grundsätzlich schwierig, alle Teilnehmer einer Demo in einen Topf zu werfen? Auch bei den Corona-Protesten geht ja keine homogene Gruppe auf die Straße.
Natürlich ist das keine homogene Gruppe, aber man gibt sich ja bei einer Demonstration schon so eine Art Bündnis-Konsens: Wir demonstrieren für oder gegen dieses oder jenes. Und gewalttätige, antisemitische, rechtsextreme Gruppierungen und Positionen haben bei uns nichts verloren. Organisatoren können das auch vorab veröffentlichen. Und wenn man dann beispielsweise erkennt, da läuft jemand mit einem Judenstern rum, auf dem „Ungeimpft“ steht, dann bittet man die Person, die Demonstration zu verlassen,weil Antisemitismus nicht toleriert wird. Ich sage es mal so: Wenn du nicht mit Nazis auf die Straße gehen willst, gibt es auch Möglichkeiten, das zu verhindern. Es liegt auch immer in der Verantwortung jedes einzelnen Demokraten und jeder einzelnen Demokratin zu schauen, mit wem man gemeinsame Sache macht. Und bei diesen Demos ist tatsächlich auch eine immer schneller werdende Radikalisierung festzustellen, das Abdriften in immer abstrusere Verschwörungsmythen und Antisemitismus.
Abgesehen von der Verantwortung des Einzelnen: Gab es auch Versäumnisse der Politik? Hätte man diejenigen, die anfangs tatsächlich nur Angst hatten und sich mit dieser alleingelassen gefühlt haben, vielleicht anders mitnehmen können, damit sie eben nicht auf Rattenfänger reinfallen?
Natürlich hat „die Politik“, wenn wir es mal so pauschal formulieren wollen, in der Pandemie Fehler gemacht. In so einer Situation braucht es Transparenz und eine gute Kommunikation über die nötigen Maßnahmen, damit die Gesellschaft mitgenommen wird und zusammenhält. Ich habe mich im ersten Jahr der Pandemie einmal mit einer neuseeländischen Grünen unterhalten. In Neuseeland war das von Anfang an zentral, da wurde an das Wir-Gefühl appelliert: We against the virus! Bei Markus Söder war es dagegen anfangs immer sehr stark dieses „Ich gegen das Virus“. Da gab es eine sehr starke Führungsfigur, die uns sagte, wo es lang geht. Aber jetzt sehen wir, dass das nicht funktioniert hat. Wenn wir das Virus wirklich besiegen wollen, brauchen wir eine gemeinsame Leistung der gesamten Gesellschaft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich