Forschungsstelle für Toleranz in Kiel: Respekt und seine Bedingungen

Wie funktioniert respektvoller Umgang zwischen Gruppen bei gleichzeitiger Abgrenzung? Das untersucht die Kieler Forschungsstelle für Toleranz.

Fans von Bayern München und Borussia Dortmund sitzen im Stadion in getrennten Sitzblöcken.

Friedliche Koexistenz: Fußball-Fans im April 2017 in der Allianz Arena in München Foto: Sven Hoppe / dpa

NEUMÜNSTER taz | Wir hier, die da – „die Abgrenzung zwischen ‚Wir‘ und ‚den Anderen‘, zwischen Eigen- und Fremdgruppe, ist allzu menschlich“, sagt der Kieler Professor Bernd Simon. „Wer dieses ‚Wir‘ ist, das ist allerdings variabel, und ein respektvoller Umgang ist auch über Gruppengrenzen hinweg möglich.“ Wie das geht, untersucht die Forschungsstelle für Toleranz (KFT) an der Kieler Christian-Albrechts-Universität, die an Simons Lehrstuhl für Sozialpsychologie und Politische Psychologie angedockt ist.

Die Forschungsstelle entstand 2018, ihre Arbeit ist, auch aufgrund der aufgeheizten Debatten um Coronamaßnahmen, aktueller denn je. Doch Simon, der sich einen „in der Wolle gefärbten Grundlagenwissenschaftler“ nennt, benutzt für die Erklärung seiner Arbeit lieber andere Vergleiche: „Wir sind nicht die schnelle Eingreiftruppe, die gesellschaftliche Brände löscht, wir legen vielmehr die Ursachen frei.“

Die theoretische Grundlage bildet das sozialpsychologische Ablehnung-Respekt-Modell der Toleranz. Es besagt in Kurzform, dass Menschen oder Gruppen sich nicht mögen müssen, um miteinander auszukommen. Wichtig sei, dass die Ablehnung durch Respekt gezügelt werde, so Simon, der den Frankfurter Philosophen Rainer Forst als einen Vordenker dieser Idee nennt.

In Kiel befassten sich Simon und sein Team seit 2013 im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts mit dem Ringen von Gruppen um gesellschaftliche Anerkennung. Dabei sei deutlich geworden, dass Respekt wichtiger sei als Zuneigung: „Die Fans von Borussia Dortmund und die von Bayern München werden sich wohl eher nicht mögen, können sich aber als Fußballliebhaber gegenseitig respektieren. Und bei einem Länderspiel wird ein erfolgreicher Bayern-Spieler auch von Dortmund-Fans bejubelt“, sagt Simon.

Große Aufmerksamkeit aus der Politik

Wer also als „fremd“ betrachtet wird, hängt von der Situation oder von „Identitätsunternehmern“ ab, so nennt es Simon, die die Grenzen zwischen „Wir“ und „die Anderen“ neu ziehen und aus Nach­ba­r*in­nen Todfeinde machen – so geschehen in der NS-Zeit durch die Zuschreibung „jüdisch“ oder im zerfallenden Jugoslawien.

Die Abschlussveranstaltung des damaligen Projekts nutzte Simon als „Sprungbrett in die neue Phase“ und als Anstoß zur Gründung der KFT. Geld erhält sie aus den Mitteln des Lehrstuhls, die Mit­ar­bei­te­r*in­nen oder Dok­to­ran­d*in­nen der Sozialpsychologie betreuen die Forschungsstelle in Personalunion mit. Auch Studierende können sich beteiligen, aktuell entstehen erste Abschlussarbeiten aus der Forschung heraus.

Die passiert nicht auf der Straße beim Corona-„Spaziergang“, sondern meist im Labor: „Hier können wir Situationen kreieren und ohne Störfaktoren gestalten“, sagt Simon. Aktuell arbeiten er und sein Team am „Engstellenparadigma“: Wer darf zuerst eine Engstelle passieren, die mehrere Menschen gleichzeitig erreichen? „Wenn man sich als gleichwertig betrachtet, darf keiner einfach losgehen, sondern man muss sich koordinieren.“

Die Forschungsstelle erhielt von Anfang an große Aufmerksamkeit der Politik – Kiels Bürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) lud Simon und sein Team ins Rathaus ein, Ende 2021 besuchte Ex-Bundespräsident Joachim Gauck die Einrichtung. Zum Landesamt für Migration und vielen weiteren Organisationen gibt es Kontakte. „Es sind viele Kontaktfäden gesponnen, aber – auch wegen Corona – noch nicht endgültig verwebt“, sagt Simon und hofft auf das kommende Jahr: Dann feiert die Forschungsstelle mit einer großen Veranstaltung ihren fünften Geburtstag.

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