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Gesichts­verhüllungs­verbot in HamburgScheinheilig und diskriminierend

Kommentar von Franziska Betz

Hamburgs rot-grüne Koalition behauptet, „offene Kommunikation“ an Schulen zu fördern. Tatsächlich aber führt sie einen Kulturkampf.

Will die Hamburger Regierungskoalition nicht in der Schule sehen: Niqabträgerin (Symbolbild) Foto: Boris Roessler/dpa

K ünftig ist es in Hamburg allen Schü­le­r*in­nen verboten, in der Schule ihr Gesicht zu verhüllen. So will es eine Gesetzes­änderung, die die Bürgerschaft kürzlich beschlossen hat.

Allen Schüler*innen? Nun ja, es gibt Ausnahmen: wenn sie aus gesund­heitlichen Gründen eine ­medizinische Maske tragen oder wenn sie im Chemie­unterricht Schutzmasken brauchen. Auch für Theaterstücke und beim Schulkarneval dürfen Hamburger Schü­ler*in­nen ihr Gesicht weiterhin verhüllen.

Aber für wen gilt dann die Gesetzes­änderung überhaupt, die Rot-Grün unter dem Titel „Gewährleistung der offenen Kommunikation an Hamburger Schulen“ zur Abstimmung eingebracht hat? Für die schätzungsweise zehn Schülerinnen, die in Hamburg ­Niqab oder Burka tragen – jene muslimischen Kleidungstücke, die das Gesicht bis auf einen Schlitz oder ein Netz über der Augenpartie komplett verdecken.

In dem Antrag geht es darum aber gar nicht, sondern vordergründig um „offene und gleichberechtigte“ Kommunikation. Für die sei „die gegenseitige Wahrnehmung von Gesichtszügen und -ausdruck“ ein Kernstück – wofür es übrigens bislang keinerlei wissenschaftlichen Beleg gibt. Gleichzeitig stellte sich Schulsenatorin Ksenija ­Bekeris (SPD) freimütig vor die NDR-Kamera und sprach über „vermehrte Einzelfälle von Mädchen, die mit einer kompletten Gesichtsverhüllung in der Schule sind“. Man nehme „aus bestimmten Gemeinden eine Radikalisierung wahr“. Dem wolle man „die Stirn bieten“.

Kein wissenschaftlicher Beleg

Wenn sie ehrlich wären, hätten SPD und Grüne gleich ein Niqab-und-Burka-Verbot-Gesetz auf den Weg gebracht. Aber ein Gesetz, das so spezifisch die Freiheit einer einzelnen Gruppe einschränkt, wäre ja diskriminierend gewesen. Ein Gesetz, das nur scheinbar allgemeingültig ist, aber am Ende doch nur für eine – ohnehin marginalisierte – Gruppe Konsequenzen hat, ist aber auch diskriminierend.

Klar, vielleicht sind unter den rund zehn Schülerinnen eine oder zwei, deren Eltern sie einerseits dazu zwingen, eine Burka zu tragen – ihre Freiheitsrechte also nicht anerkennen –, andererseits aber so gesetzestreu sind, dass sie ihrer Tochter erlauben, künftig ohne Verhüllung in die Schule zu gehen; und nicht das Verbot unterlaufen, indem sie das Kind von der Schule nehmen oder gar ins Ausland schicken.

Man schützt Kinder nicht vor der Unterdrückung durch ihre Familien, indem man ihnen etwas verbietet, sondern nur, indem man sie ernst nimmt, für sie da ist, sie stärkt und sie darin unterstützt selbstbestimmt zu leben.

Wie wenig die Gesetzesänderung am Wohl der Schülerinnen orientiert ist, zeigt sich in ihrer Begründung: Für nicht schulpflichtige Schülerinnen gebe es die „Alternative, den Schulbesuch zu beenden“. Zudem könne der angestrebte Bildungserfolg auch „anders als durch den Besuch einer Präsenzschule erreicht werden“, heißt es da.

SPD und Grüne wollen Schülerinnen also lieber gar nicht in der Schule haben als mit Niqab oder Burka. Und das im Namen der Kommunikation. Damit nehmen sie in Kauf, dass die Betroffenen den Kontakt zu Gleichaltrigen und Leh­rer*in­nen komplett verlieren.

Islamismus bekämpft man nicht, indem man Verhüllung verbietet, sondern indem man Prävention finanziert und Diskriminierung abbaut, statt muslimischen Mädchen das Gefühl zu geben, dass sie unerwünscht sind. Radikalisierungsprozesse sind komplex, aber Diskriminierungserfahrung kann eine Rolle darin spielen. Nicht zuletzt, dass CDU und AfD zugestimmt haben, zeigt: SPD und Grüne führen einen Kulturkampf – und geben es nicht mal zu.

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Volontär*in taz nord
Seit September 2022 Volontär*in bei der taz nord in Hamburg. Hat Politikwissenschaften und Transkulturelle Studien an der Uni Bremen studiert.
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22 Kommentare

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  • Kulturkampf? Ist wohl eher ein Kämpfchen.



    Ich habe die grundgesetzliche Religionsfreiheit immer auch oder sogar primär als Freiheit von Religion verstanden. Man sollte Religion auf die Privatsphäre beschränken.

  • Wo steht im Koran, dass Kleidungsstücke zu tragen sind, die nur die Augen freilassen? Eben!



    Niqab und Burka sind Zeichen für die Unterdrückung von Frauen - und es geht mitnichten um Religionsfreiheit.



    Und ich möchte meinen Mitmenschen ins Gesicht sehen.



    Der Vergleich von Niqab und Burka mit Kreuz und Davidstern ist auch ziemlich weit hergeholt. Beide verdecken nicht das Gesicht meines Gegenübers.



    Von daher unterstütze ich diesen Entscheid absolut.

  • Welche religiösen Praktiken/Zwänge wären denn nicht mehr zu tolerieren? Wo liegt die Grenze?

  • Es ist eine gute Regel und stärkt all jenen Mädchen den Rücken, die eigentlich lieber mit offenen Visier durch das Leben gehen wollen.

  • Sure 24: "Und sag den gläubigen Frauen, sie sollen ihre Augen niederschlagen, und ihre Keuschheit bewahren, den Schmuck, den sie tragen, nicht offen zeigen, soweit er nicht normalerweise sichtbar ist, und ihre Tücher über ihren Busen ziehen."

    Daraus eine komplette Verschleierung abzuleiten, oder auch "nur" die Pflicht ein Kopftuch tragen zu müssen, kann man als Meisterwerk der Interpretationskunst ansehen. Mir ist es aber auch total egal, ob die erwachsene muslimische Frau ein Kopftuch trägt oder wie im obigen Bild 'Niqabträgerin' ist, aber ich sehe immer mehr kleine muslimische Mädchen (manchmal sind die Mädchen nicht einmal 10 Jahre alt) in Deutschland mit Kopftuch herumrennen und da sollte dann schon der deutsche Gesetzgeber – für das Kindeswohl – einschreiten.

  • Merkwürdig.



    Schon der Vergleich mit der Schutzausrüstung im Chemieunterricht, hinkt gewaltig.

    "...gegenseitige Wahrnehmung von Gesichtszügen und -ausdruck“ ein Kernstück – wofür es übrigens bislang keinerlei wissenschaftlichen Beleg gibt. ..."

    Natürlich ist normalerweise eine Wahrnehmung der Mimik ein zentrales Element der Kommunikation. Der angebliche fehlende Beweis, weil seheingeschränkte das nicht können, hinkt noch mehr als das andere Argument. Es gibt ohne Ende Studien, das man Emotionen aus der Mimik lesen kann (was übrigens sogar Tiere machen).



    Daher ist ein Verbot für eine Lernumgebung, in der auch auf die Rezipientinnen eingegangen werden muss, unumgänglich.

  • Dass Kinder von ihren Eltern gezwungen werden, sich komplett zu verhüllen ist der eigentliche Skandal Nicht das jetzt beschlossene Verbot dessen zumindest in der Schule!

    Religiöse Symbole sollten generell in deutschen Schulen nichts zu suchen haben.



    Wer will, kann sich gerne einer Religion zuwenden, wenn er/sie erwachsen ist. Kindern sollte das nicht aufgezwungen werden.

    • @TeeTS:

      Leider sieht das bundesdeutsche Verständnis von Religionsfreiheit etwas anderes vor … akzeptieren Sie das oder kämpfen Sie auf politischer Ebene dagegen an. Ich persönlich finde, wir haben gute Gründe, dass unser Verständnis dazu - gedeckt durch das Grundgesetz - eben kein strikt laizistisches/säkulares ist - was ja bekanntlich auch in anderen Ländern nicht 1:1 so funktioniert, wie es deren Verfassung eigentlich vorsieht (s. Türkei, auch in Israel werden jüdisch-orthodoxen Sekten religiöse Rechte zugestanden, die andere Bevölkerungsgruppen nicht zustehen).



      Vor diesem Hintergrund liegt der Kommentar von Frau Betz doch richtig: die Diskussion um ein Verhüllungsverbot hierzulande mutet etwas skurril und scheinheilig an, nicht nur angesichts der Größenordnung, um die es hier tatsächlich geht.

    • @TeeTS:

      "Religiöse Symbole sollten generell in deutschen Schulen nichts zu suchen haben."

      Also keine Halskette mit Kreuz oder Davidstern !?

  • "Nicht zuletzt, dass CDU und AfD zugestimmt haben, zeigt: SPD und Grüne führen einen Kulturkampf – und geben es nicht mal zu."



    Man kann ja zu den Pro und Kontraargumenten stehen wie man will, aber dieser letzte Satz ist doch einfach nur Unsinn.

    • @Arthur Helwich:

      Das stimmt … wobei man den Vorwurf auch „umdrehen“ kann. Von der AfD ist sowieso nichts anderes zu erwarten, sie saugt aus dem islamophoben Kulturkampf ihren Honig. Dass die CDU da noch zustimmt? Möglicherweise nicht anders zu erwarten (jedoch erwarte ich was anderes von einer Partei, die „Brandmauer“ gegen Rechts sein will).



      Dass ausgerechnet SPD und Grüne in Hamburg in diesen sauberen Chor mit einstimmen - so ganz ohne Not, denn die haben dort eine satte Mehrheit? Das macht beide Parteien für mich unwählbar.

  • Principiis obsta

  • Ziemlich einseitiger Artikel mMn. nach, denn ebenso könnte man argumentieren, dass man den betreffenden Mädchen durch das Verbot einen Raum eröffnet, auch jenseits der strengen religiösen Vorgaben Differenzerfahrungen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen zu sammeln und es Alternativerfahrungen fördert. Dies kann sich auf eine differenzierte(re) Weltsicht auswirken. Zudem: Auf welcher Grundlage behauptet der Artikel, dass vielleicht zwei drei Eltern ihre Töchter zwingen würden, wenn gleichzeitig andererseits wissenschaftliche Evidenz gefordert wird? Auch der einleitiende Satz mit den gesundheitlichen Ausnahmen ist als Kritik schon insofern absurd, dass der Gesundheitsschutz bei Krankheit oder im Chemieunterricht wohl klar auf einer völlig anderen Ebene liegt und obligatorisch ist.

    Wie kommt man auf die Behauptung, SPD und Grüne wollten Schülerinnen lieber gar nicht in der Schule als mit Niqab oder Burka? Es gibt eine Schulpflicht in Deutschland und die Schülerinnen werden sicher nicht dem Unterricht fernbleiben, weil sie sich nicht verhüllen dürfen. Alles andere wäre ein (berechtigter) Fall für das Jugendamt.

  • Wer die Burka meint tragen zu müssen, der wird nicht diskriminiert sondern wendet grenzt sich bewusst ab. Ich kann nicht verstehen wie man das auch nur ansatzweise gut heißen kann und gebe der Senatorin vollkommen recht, wenn sie sagt man wolle der Radikalisierung die Stirn bieten.

    Grade die Linke hat doch mit recht und auch Erfolg lange für eine Befreiung von der Kirche und für Emanzipation gekämpft. Wie kann es da sein, dass man nicht erkennt, dass eine Verschleierung ein absoluter Rückschritt ist, sowohl in Bezug auf das ausbreiten von Religion in der Gesellschafft als auch in Bezug auf die Emanzipation?

    Zur Erinnerung: Das Verhüllungsgebot im Koran ist damit begründet, dass die Frau ihre Reize verhüllen soll um die Männer nicht zu erregen. Würde gesagt werden Mädels, tragt keine kurzen Röcke wenn ihr nicht belästigt werden wollte, dann wäre der Aufschrei, zu recht, riesig.

  • Ziel ist vielleicht auch nicht das einzelne Kind, dass eine Verhüllung trägt...? Allgemeine Gesetze um Individuen aus einer gesamtgesellschaftlichen marginalen Gruppe zu beeinflussen sind auch nicht sinnvoll, weil nicht erfüllbar.



    Ziel ist vielmehr die Außenwirkung auf die Allgemeinheit, die diese Einzelnen auf die Allgemeinheit, in diesem Fall andere Schüler haben, denn die ist ungleich größer als die reine Anzahl der Verhüllten.



    Das Signal, das die Verhüllung aussendet, übt auch Druck auf nichtverhüllte Muslime aus, diese geraten in einen Rechtfertigungsdruck. Es ist ein Signal von den Verhüllten sowie vom Gesetzgeber. Dass das individuell zu Problemen und Konflikten bei Verhüllenden führen kann lässt sich schlicht nicht verhindern und das ist auch individuell ungerecht, keine Frage (ich kenne persönlich eine Betroffene, die deshalb Probleme hat, was hochgradig ungerecht ist). Gesamtgesellschaftlich ist es aber dennoch richtig.



    Man blicke nur einmal auf die Kopftuchproblematik in der Türkei. Es geht um die Gesellschaft nicht um das Individuum.

    • @nutzer:

      Atatürk hat das Kopftuch genauso verboten wie den Fez. Da ging es nicht um Islamismus, sondern um angebliche Modernität. Die Türkei sollte europäische Sitten übernehmen.

      • @Francesco:

        eben! es geht auch nicht nur ums Kopftuch

    • @nutzer:

      Danke, ganz wichtige Punkte!

    • @nutzer:

      Ein sehr wichtiger Aspekt, den Sie ansprechen und dem ich zustimme.

  • Es sollten alle religiösen Symbole in allen staatlichen Gebäuden und Institutionen abgeschafft werden. Ob Kreuz, Davidstern oder eben der Niqab bzw. die Burka. Laizismus ist die einzig vernünftige Antwort auf religiöse Erwartungen an den Staat.

    • @Paul Meier:

      Genau so!

  • Es ist ein jahrzehntelang bekanntes Dilemma:



    Soll doch jede und jeder, wie gewünscht.



    Aber wenn sie dazu gezwungen wurden?

    Es hilft wohl schon, wenn wir uns daran erinnern, dass bei Paulus auch schon steht, dass die Frau in der Gemeinde das Haupt verhüllen solle und sich daran erinnern, dass in Gottesdienste die Omas immer noch Hüte oder kleine Kopftücher trugen. Etwas auf Islam reduzieren ist zumeist falsch.