Gescheiterter Klimavolksentscheid Berlin: Das Klima verpflichtet zum Handeln
Wenn es verboten ist, ohne Führerschein Auto zu fahren, müsste es auch eine politische Beteiligungspflicht geben, findet unsere Kolumnistin.
W ählen ist eine tolle Sache. Man merkt das nicht unbedingt, wenn man sich bei der Briefwahl konzentriert, die Bögen in die jeweils richtigen Umschläge zu stecken. Aber in einer maroden Grundschule einen Wahlschein in eine umfunktionierte Mülltonne zu werfen, finde ich oft erstaunlich feierlich.
Wer das Recht hat, zu wählen – und es gibt immer noch viel zu viele, denen dieses Recht aus diskriminierenden Gründen vorenthalten wird – hat die Möglichkeit zur Beteiligung. Bloß: Eine Möglichkeit ist keine Pflicht. Zuletzt ist der Berliner Klimavolksentscheid genau daran gescheitert.
Ich weigere mich, pauschal über Nichtwählende herzuziehen. Menschen haben Gründe, warum sie ihre Stimme nicht abgeben, und viele davon sind individuell nachvollziehbar. Meine Mutter zum Beispiel misstraut Politiker*innen. Sie hat in Maos China erlebt, wie Privatsphäre und persönliche Freiheit für eine „größere Sache“ eingeschmolzen und mit Füßen getreten wurden.
Wie das Private nicht nur politisch ist, sondern die Politik sich das Private unterwerfen kann, egal in welchem Toilettenspülkasten du seine Reste noch zu verstecken versuchst. Klar weiß meine Mutter, dass das im heutigen Deutschland anders ist. Aber Demokratie ist für sie nicht das Glück der Beteiligung, sondern das Glück des erlaubten Rückzugs. Andere wiederum haben resigniert.
Raushalten ist ein Problem
Weil es doch zum Beispiel 2021 in Berlin einen erfolgreichen Volksentscheid gab, bei dem sich knapp über 59 Prozent der Wählenden für eine Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne aussprachen, aber das Vorhaben seitdem blockiert wird und bezahlbarer Wohnraum in den meisten Städten weiterhin eher Luxusgut statt Menschenrecht ist.
Und manche erleben nie oder zu selten, dass der Staat sich für sie interessiert. Wem man ständig zeigt, dass er hier nicht gewollt ist, von dem kann man nicht einfach Beteiligung einfordern, ohne auf die eigenen Verfehlungen zu schauen.
Trotzdem ist Raushalten ein Problem. Bei knapp über 35 Prozent lag die Wahlbeteiligung beim Klima-Volksentscheid in Berlin. Ich fand das fast schmerzhafter, als wenn es mehr Nein- als Ja-Stimmen gegeben hätte. Bei der Klimakrise stößt das Prinzip des Dürfens an seine Grenzen.
Es geht ums Überleben
Wenn es verboten ist, in trockenen Wäldern Feuer zu machen und ohne Führerschein Auto zu fahren, wenn es eine Gurt- und eine Brandschutzpflicht gibt – wäre es nicht logisch, dass es in Sachen Klimakrise auch eine politische Handlungs- und bürgerliche Beteiligungspflicht geben muss? Dass es ums Überleben geht, ist längst wissenschaftlich erwiesen.
Klar könnten wir auch dann noch ins Verderben rasen. Eine Kann-mir-nicht-egal-sein-Pflicht könnte niemandem eine Meinung vorschreiben. Aber wegsehen ginge nicht. Die Erde krepiert und das Klima braucht uns, wir brauchen uns.
Dazu muss man sich aktiv verhalten, mindestens. Alles andere ist unterlassene Hilfeleistung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Plädoyer im Prozess zu Polizeigewalt
Tödliche Schüsse, geringe Strafforderung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Olaf Scholz in der Ukraine
Nicht mit leeren Händen