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Geplante Chatkontrolle der EUDeutschland muss sich dagegen wehren

Gastkommentar von Andreas Gran

Die EU-Kommission plant eine weitreichende Chatkontrolle. Dann könnten Chats aller Art mitgelesen werden. Das widerspricht dem Briefgeheimnis.

Wir driften tiefer ins Digitale ab und tauschen uns weitestgehend über Chats aus – dienstlich, privat Foto: Pond5/imago

W eitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit wird die Chatkontrolle vorbereitet, also das staatliche Recht, private Korrespondenz digital mitzulesen. Die EU-Kommission plant mit einer neuen Verordnung ein massives Überwachungsgesetz, das es erlaubt, alle Chats mitlesen zu können. Deutschland sollte sich vehement gegen eine weitreichende Kontrolle aussprechen, nicht zuletzt wegen unserer Erfahrungen mit Überwachungsstaaten. Wir brauchen stattdessen mehr Bewusstsein für die Gefahren von staatlicher Überwachung.

Wir driften tiefer ins Digitale ab und tauschen uns weitestgehend über Chats aus – dienstlich, privat, zur Organisation von Veranstaltungen, Demos und anderer Protestaktionen. Insbesondere junge Menschen nutzen soziale Netzwerke sowie digitale Kommunikationswege überaus häufig, oft hemmungs- und sorglos.

Andreas Gran

ist Rechtsanwalt in Frankfurt am Main und Hochschullehrer an der privaten International School of Management (ISM) in Berlin und Frankfurt.

Anders als beim klassischen, verschlossenen Brief, ermöglicht IT den unbemerkten Einblick durch Dritte, bei intimen Liebesbriefen bis hin zu oppositioneller politischer Kritik. Der Zweck soll – mal wieder – jegliche Mittel heiligen, die Bekämpfung von Kriminalität soll Transparenz der Menschen rechtfertigen.

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Mit dem blinden Vertrauen in künstliche Intelligenz, das viele Menschen haben, überlassen sie mehr und mehr dem Computer. Das Unbehagen beim Gefühl, dass bei jeder Nachricht jemand über die Schulter schaut, ist ein emotionales Argument gegen eine Chatkontrolle.

Wichtiger indes ist, dass erst einmal eingeführte Kontrollmaßnahmen in einer Autokratie systematisch gegen politisch Andersdenkende und gegen gesellschaftliche Minderheiten genutzt werden können. Unsere freiheitliche Gesellschaft basiert aber auf dem Briefgeheimnis und der Meinungs- und Pressefreiheit. All das gilt es zu schützen – heute mehr denn je.

Wir sollten nicht jegliche Mittel zur Bekämpfung von Kriminalität hinnehmen, sondern gleichwohl den dahinter verborgenen Dolch wahrnehmen: einen übergriffigen Kontrollstaat. Der ist angesichts aktueller politischer Entwicklungen schärfer als gedacht.

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14 Kommentare

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  • Wenn jetzt Kriminelle wissen, dass die Chats nicht mehr sicher sind, nutzen sie eben andere Kanäle. Oder zusätzliche Verschlüsselung. Gleichzeitig wird die Polizei bei der Unmenge von Chatdaten mit einer Vielzahl von falschen Verdachtsmomenten konfrontiert, wenn auch mit KI vielleicht irgendwann vieles vorsortiert wird. Ach ja, dann wissen wir, dass die NSA sowas auch bearbeitet und an uns IS Fälle weitergeleitet hat bisher.

    Ich glaube, da wollen hilflose Politiker demonstrieren, dass sie das im Griff haben.

    Will man

  • Schon wieder diese Diskussion?!



    Bevor irgendwelche Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation von Bürgern auch nur diskutiert werden, sollte sämtliche Kommunikation aller gewählten und ungewählten Vertreter grundsätzlich veröffentlicht werden. Nach 10 Jahren der Evaluierung können wir dann nochmal sprechen

    • @Fckafd Somuch:

      Die Diskussion geht seit einiger Zeit zwischen den Positionen verschiedener Staaten hin und her - Netzpolitik.org verfolgt das ganze Recht konsequent.



      Ja diese Vertreter verlieren halt vollkommen straffrei ihr Handy wenn sie danach gefragt werden. Manche auch mehrmals.

  • Wo Dummheit siegt entsteht Gewalt. Das ist beim Datenschutz nicht anders. Was das heißt? Die Balance zwischen Freiheit und Verantwortung ist schwierig. Allerdings, wo Freiheit aufgegeben oder von Konservativen faktenfrei oder -arm genommen wird, folgt meistens Gewalt gegen Andersdenkende und Wissenschaft.

  • Seien wir doch ehrlich, wer nen aktuellen Win 11 PC oder ein Handy benutzt, bei dem wird sowieso immer mit gelesen. Entweder durch die KI, oder durch ne Hintertür für den NSA, oder weil man sich was eingefangen hat das der Virenscanner noch nicht kennt, oder weil...



    Ich bin mir sicher, ich wäre durch einen amerikanischen Geheimdienst erpressbar wenn die dafür nen Grund hätten, und das gilt wahrscheinlich für die allermeisten von euch auch...

    • @Rikard Dobos:

      Das mag stimmen, aber dann braucht es mehr und strengere Gesetze gegen so etwas - und nicht die anlasslose Massenüberwachung durch Chatcontrolle und Palantir.

  • Das darf auf keinen Fall passieren. Das ist ein antidemokratischer Angriff auf unsere Bürgerrechte.

  • Warum soll es denn erst eine Autokratie brauchen damit solche Maßnahmen gegen Andersdenkende verwendet werden? Das werden sie doch heute bereits schon, nur sind wir natürlich der Meinung wenn wir das selbst in bester Absicht tun, hätte es schon seine Richtigkeit.

  • Zunächst wäre zu klären, auf welcher rechtlichen Grundlage ein solcher Eingriff stattfinden soll. Der Bereich der Sicherheit obliegt allein den Mitgliedsstaaten und die EU hat insoweit keine Regelungskompetenz. Schon wegen dieser Selbstermächtigung sollte dagegen vorgegangen werden.

  • Ich finde die Argumentation etwas schwachbrüstig - als würde sich ein potenzieller diktatorischer Staat der Zukunft an unsere Datenschutzgesetze halten.... Viel wichtiger wäre es die Demokratie durch einen wehrhaften Rechtstaat zu stärken.

    • @Samvim:

      Natürlich würde der sich nicht an sowas halten. Aber man muss dem ja nicht zusätzlich noch eine Datenbank mitgeben, in der auch schon die Daten von vorher gesammelt sind.

  • Mit dem Briefgeheimnis hat ein Chat m. E. wenig zu tun. Vielmehr ist diese Form der Kommunikation eher mit dem Telefonieren zu vergleichen.

    Heutzutage sind die meisten Chats Ende-zu-Ende-Verschlüsselt, die IT hat somit (einfach so) keinen Einblick in die Kommunikation.

    "Insbesondere junge Menschen nutzen soziale Netzwerke sowie digitale Kommunikationswege überaus häufig, oft hemmungs- und sorglos."

    ist es nicht eher die ältere Generation die geringeres technisches Verständnis mitbringt und sich der Tragweite ihrer digitalen Handlungen kaum bewusst ist. Die jüngere Generation ist doch längst sensibilisiert ... allerdings auch unvernünftig und neugierig - da liegt das Problem.

  • Schön zu sehen, dass sich die EU bei ihrer Gesetzgebung wieder einmal offenbar an China ein Vorbild nimmt.



    Davon abgesehen, ist das Breifgeheimnis ja schon bei EMails abgeschafft. zB Google sendet ja gerne personalisierte Werbung, die komischerweise dazu psst was in den letzten Emails so drin stand.

    • @T-Rom:

      Eine EMail ist die digitale Variante einer Postkarte, da greift das Postgeheimnis ebensowenig.

      Frei nach Karl Lagerfeld: Wer Software von Google nutzt hat die Kontrolle über seine Daten verloren.