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GentechnikEU schafft Pflicht zur Kennzeichnung ab

Kunden können künftig im Supermarkt nicht mehr erkennen, ob Essen gentechnisch verändert ist. Die Bio-Landwirtschaft stellt das vor Risiken.

Gentechnik oder Nichtgentechnik? Kunden könnten in Zukunft nicht mehr sofort erkennen, ob sie veränderte Lebensmittel kaufen Foto: Jochen Tack/imago
Eric Bonse

Aus Brüssel

Eric Bonse

Die Einigung kam mitten in der Nacht und sie dürfte Verbraucher und Bio-Landwirte noch lange beschäftigen: Um angeblich unschädliche neue Verfahren zu fördern, soll es in der EU künftig weniger Umweltprüfungen für gentechnisch veränderte Pflanzen geben – und keine verpflichtende Kennzeichnung im Supermarkt. Darauf haben sich Unterhändler des Europaparlaments und der Mitgliedsstaaten am Donnerstag in Brüssel geeinigt.

Die EU will mit dem Kompromiss den Einsatz sogenannter Neuer Genomischer Verfahren (NGT) erleichtern. Dafür werden zwei neue Kategorien für genetisch veränderte Pflanzen eingeführt. In die erste Kategorie fallen demnach Sorten mit begrenzten Eingriffen, etwa durch die „Gen-Schere“ Crispr-Cas. Hier werden die Vorschriften gelockert. Für stärker gentechnisch veränderte Pflanzen sollen hingegen weiter strenge Regeln gelten.

Was technisch klingt, hat handfeste – aber schwer nach-vollziehbare – Auswirkungen im Supermarkt. Denn es geht nicht nur um die Pflanzen, sondern auch um die Lebensmittel, die mit diesen Pflanzen erzeugt werden. Diese Lebensmittel sollen künftig keinen Hinweis tragen, wenn sie gentechnisch veränderte Pflanzen aus der ersten Kategorie enthalten. Gekennzeichnet wird nur noch das Saatgut.

Für die Kunden wäre damit nicht mehr ohne Weiteres ersichtlich, ob sie gentechnisch veränderte Lebensmittel kaufen, kritisieren Verbraucherschützer. Das sei „mehr als enttäuschend“, erklärte Alexander Hissting, Geschäftsführer des Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG). „Die ganz große Mehrheit der Ver­brau­che­r:in­nen will keine Gentechnik im Essen“, ist Hissting überzeugt.

Dieser Meinung ist auch der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling. Er spricht von einer „Bedrohung der gentechnikfreien Land- und Lebensmittelwirtschaft sowie für Umwelt und Verbraucherschutz in Europa“. Es gehe bei dem Beschluss nicht nur um die Pflanzen und die Verbraucher, sondern auch um die Industrie und die Patente: „Während die Agrar- und Gentechnikindustrie heute die Sektkorken knallen lässt, blickt der gentechnikfreie Sektor einer Zukunft voller Risiken und Unsicherheiten entgegen.“

Sektkorken knallen

Die industrielle Agrarlobby drängt seit Jahren darauf, neue gentechnische Verfahren wie Crispr-Cas aus der EU-Gesetzgebung herauszulösen. Außerdem will sie diese Verfahren und die Produkte patentieren lassen. Diesem Druck seien viele EU-Mitgliedstaaten und die konservative Mehrheit im Parlament bereitwillig gefolgt, klagt Häusling. Dabei gebe es keine wissenschaftliche Grundlage für die nun geplante Unterscheidung in zwei Kategorien.

Dem widerspricht der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese. „Neue Züchtungstechnologien bieten Landwirten und Verbraucherinnen und Verbrauchern viele Möglichkeiten“, sagte er. „Als Arzt mit Erfahrung in der Humangenetik bin ich fest davon überzeugt, dass die Risiken vollständig unter Kontrolle sind.“ Zudem habe das Parlament das Recht der Landwirte bekräftigt, ihr eigenes Saatgut auf ihren eigenen Feldern zu verwenden. Dies sei ein Fortschritt.

Von einem „historischen Tag“ sprach die konservative Europaabgeordnete Jessica Polfjärd. Europas Landwirte erhielten nun Zugang zu Nobelpreis-gekrönten Technologien und könnten Pflanzen züchten, die der Klimakrise besser widerstehen. Das sei auch wichtig für die Versorgungs-Sicherheit und die Wettbewerbsfähigkeit. Die EU-Kommission erklärt Wettbewerbsfähigkeit zum neuen Imperativ, ihr werden viele andere Ziele untergeordnet.

Die neue EU-Regulierung muss noch im Plenum des Parlaments und im Ministerrat gebilligt werden, damit sie in Kraft treten kann. Dabei richten sich wieder alle Blicke auf Deutschland. Häusling rechnet mit einem „German vote“, also einer Enthaltung. Allerdings dürfte dies nicht reichen, um den Entwurf noch zu Fall zu bringen.

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9 Kommentare

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  • Bei bald 12 Milliarden Menschen wird es wohl nicht ohne Genome Editing gehen um den Flächenverbrauch zu beschränken. Von daher wohl eine gute Entscheidung.

  • Ein Grund mehr, nur noch Selbstangebautes zu essen.



    Uns fehlt zum Glück nur noch ein beheizbares Treibhaus für Pfeffer und Konsorten, ansonsten kommt bei uns schon lange nur auf den Tisch, was bei uns oder Nachbarn vom Baum gefallen, aus der Erde gekommen, gelegt wurde oder rumgelaufen ist.



    Saft, Moscht, Likör, Schnaps auch - nur das Bier, das holen wir im südlichen Ausland (Bayern🤭)

  • Haben wir alle nicht immer schon "Gentechnik" im Essen, infolge der Neolithischen Revolution? CRISPR/Cas-modifiziertes Material ohne Fremd-DNA unterscheidet sich durch Tempo und Zielgerichtetheit der Herstellung von traditionellen Zuchtmethoden, aber nicht kategorisch. So weit ich weiß.

  • Mich würde auch interessieren, wie sich die genveränderten und patentierten Lebensmittel der Großkonzerne, langfristig auf die Preise auswirken werden. Ich habe da große Bedenken, die Lebensmittelversorgung abhängig von wenigen Agrarkonzernen zu machen. Die Kontrolle von Lebensmittel ist wie eine Gelddruckmaschine.

  • Die große Mehrheit der Verbraucher hat bestimmt gar keine Ahnung von Gentechnik, die müsste man erst mal neutral informieren.



    Genauso, wie die große Mehrheit der Verbraucher auch keine Ahnung von Atomkraft hat und dagegen ist, aber Kohlekraftwerke durchwinkt.



    Aber wenigstens ist die Anti-Gentechnik-Lobby nicht von den Russen unterwandert... glaube ich zumindest.

    Biobauern, keine Sorge, ich kaufe weiter Bio.

  • Gentechnik als das Böse zu verteufeln ist und bleibt ein Marketinggag der Bio-Lobby. Die nicht vorhandenen Risiken sind hier vermutlich sogar besser erforscht als die Unwirksamkit von Globoli.

  • Mutwillige Verbrauchertäuschung



    So lange es auf der Packung steht, wenn es Gen-manipuliert ist, ist es mir egal. Aber dass es nicht mehr drauf steht und ich als Verbraucher es nicht mal wissen darf, ist Lobby-Manipulation der übelsten Art.



    Prinzipiell sehe ich in Crisp auch gute Chancen den Einsatz von Pestiziden und Schädlingen vermeiden zu können und mehr Erträge in trockenen und weniger fruchtbaren Böden zu erzeugen. Ich bin also nicht prinzipiell gegen Gen-Food a la Crisp, aber nur mit klarer Kennzeichnung.

  • Heute Morgen wurden in der Früh noch Verbote gegen Autos, fossile Brennstoffe und tierische Produkte im Kampf gegen die Klimakrise gefordert, also Zwang gegen die Bevölkerung.



    Heute laufen auch die Tastaturen in der taz-Redaktion heiß, weil die EU durch Genmanipulation erzeugte klimarobuste Pflanzen durch weniger Transparenz fördern möchte. Das ist genau die gleiche Art von Zwang.



    Wer entscheidet welcher Zwang richtig oder falsch ist? Die taz-Redaktion? Die grüne Opposition? Schwierig.

  • Das ist schlimmer als Zwangs-Impfungen.

    Denn bei Zwangs-Impfungen gibt es zumindest noch die Begründung, dass dies für die Gesundheit des Menschen, der zwangsgeimpft wird, wichtig ist sowie für die Gesundheit der Menschen, die mit diesem Menschen zusammentreffen.

    Aber Menschen dazu zu zwingen, etwas zu essen, was er oder sie nicht essen würde, wenn sie oder er dies aus eigener Entscheidung nicht machen würden, nur weil dies den Herstellern einen wirtschaftlichen Vorteil bringt, ist schlimm, sehr schlimm. So etwas sollte in einem demokratischen System nicht möglich sein. Dies gibt es normalerweise nur in diktatorischen Systemen. Oder umgekehrt. Wenn so etwas gemacht wird, zeigt dies, dass es nicht mehr um eindemokratisches System handelt.