Gender Pay Gap: Abwarten reicht nicht
Man kann es nicht mehr hören. Aber man kann leider auch nicht so tun, als gäbe es das Problem Gender Pay Gap nicht.
F rauen haben 2019 in Deutschland durchschnittlich 19 Prozent weniger verdient als Männer, das gab das Statistische Bundesamt vergangene Woche bekannt. Der Gender Pay Gap lag damit 1 Prozent niedriger als im Jahr davor. Keine schlechte Nachricht. Aber auch keine gute. Eigentlich gar keine. Dass Frauen weniger verdienen, kann an niemandem mehr vorbeigegangen sein. Die taz zum Beispiel hat die neue Berechnung nicht einmal vermeldet. Auch ich habe länger überlegt, hier wirklich noch mal über den Gender Pay Gap zu schreiben. Irgendwie kann man es ja nicht mehr hören.
Aber man kann leider auch nicht so tun, als sei das Problem zwischenzeitlich kleiner geworden. Also doch: 1 Prozent kleiner. Ein Mann verdiente durchschnittlich 21,70 Euro pro Stunde, eine Frau 17,33 Euro. Das statistische Bundesamt erklärt, dass 3,09 Euro von den 4,37 Euro Unterschied strukturbedingt sind. Frauen arbeiten öfter in Branchen und Berufen, in denen man eher wenig verdient, kommen seltener in Führungspositionen und arbeiten häufiger in Teilzeit.
Das Bundesamt berechnet deshalb noch einen zweiten Gender Pay Gap, den bereinigten, für den es diese Effekte herausrechnet. Der Unterschied liegt dann deutlich niedriger, für 2018 bei 6 Prozent. Ach so, könnte man jetzt sagen, was soll denn dann das Drama?
„Eine so ausgerichtete Variablenkontrolle ergibt nicht, dass der Gender Pay Gap Fiktion ist, sondern sie besagt: ‚Frauen würden das Gleiche verdienen wie Männer, wenn wir alle Faktoren entfernen würden, die geschlechtsspezifische Benachteiligung am Arbeitsplatz verstärken und widerspiegeln‘“, schreibt die Ökonomin Linda Scott in ihrem Buch „Das weibliche Kapital“. Es sind also keine strukturellen Einflüsse, die man rausrechnen sollte, sondern strukturelle Einflüsse, die das Problem verursachen.
Bitte weiterdenken!
Übliche Vorschläge, was gegen die ungleiche Bezahlung helfen könnte: Mehr Frauen in Führungspositionen. Mehr Frauen in Männerberufen. Bessere Kinderbetreuung, damit mehr Frauen Vollzeit arbeiten. Aber wollen wir das wirklich? Und vor allem: Wie soll das funktionieren? Die Berufe, die überdurchschnittlich viele Frauen ausüben, sind ja keine, die wir als Gesellschaft nicht bräuchten. Wenn mehr Frauen Ingenieurinnen werden, ist das toll. Aber wer pflegt dann die Alten? Noch mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland? Das würde vielleicht dem Gender Pay Gap helfen, aber den Migration Pay Gap (ja, den gibt es auch) verstärken. Und wer übernimmt die Carearbeit, wenn alle Vollzeit arbeiten?
Der Gender Pay Gap sollte besser ein Anlass sein, weiterzudenken. Erstens darüber, ob eine Vollzeitstelle 40 Stunden umfassen sollte. Zwei 30-Stunden-Stellen ließen sich mit Kindern, Hausarbeit und Freizeit schon besser vereinbaren. Und zweitens darüber, wie sich erreichen lässt, dass Menschen, die so wichtige Berufe wie Pfleger:in oder Erzieher:in ergreifen, besser bezahlt werden.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Münchner Sicherheitskonferenz
Selenskyjs letzter Strohhalm