Weniger arbeiten dank Corona: Eine neue Vollzeit

Eine 40-Stunden-Woche bedeutet für viele: Dauerstress. Dabei bringt viel arbeiten nicht unbedingt viel. Jetzt ist ein guter Moment für etwas Neues.

Person mit Kind am Laptop

40-Stunden-Woche? Vielleicht kann Corona und das Homeoffice da eine Abkehr von bringen Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Arbeiten, Bad putzen, einkaufen, kochen (frisch und gesund), Wäsche waschen, Haare auch, Sport, Freund:innen, Ehrenamt, schlafen. Ja, das ist mein Leben und Ihres wahrscheinlich auch, Sie kennen den Struggle. Was ich sagen will: Das ist viel, auch ohne Kinder. Seit ich arbeite, habe ich das Konzept der Hausfrau verstanden.

Die Politikwissenschaftlerin Anne-Marie Slaughter hat ihren Job im US-Außenministerium unter Hillary Clinton geschmissen, um mehr Zeit mit ihrer Familie zu haben. In einem Essay im Atlantic („Why Women Still Can’t Have It All“) erzählt sie von einer Anwältin, die sich fragte, wie sie Zeit für Kinder und Karriere haben kann, und zu Slaughter sagte: „Ich schaue nach Vorbildern und finde keine.“

Das habe ich auch oft gedacht und von Freund:innen gehört. Sind wir alle nur Menschen begegnet, die es schlicht nicht hinbekommen? Wenn es so schwierig ist, welche zu finden, dann liegt der Fehler wohl eher im System.

In Deutschland arbeiten heute viel mehr Frauen als noch vor 10 oder 20 Jahren. Natürlich ist das super, aber es ist ja nicht so, dass deshalb wahnsinnig viele Männer ihre Arbeitszeit reduziert hätten. Das, was vorher der Vollzeitjob einer Hausfrau war, ist hinten übergekippt und soll irgendwie nach Feierabend erledigt werden. Selten funktioniert das gut. Würde die Work-Life-Balance bei den meisten eine Balance sein, würden wir nicht ständig darüber reden.

„Time Macho“-Kultur

Wir arbeiten in einer Welt, die von einer „Time Macho“-Kultur geprägt ist, wie es Anne-Marie Slaughter nennt: Viele arbeiten viel, oft mehr, als ihnen ihre Verträge vorschreiben. Weil viel arbeiten angeblich viel bringt.

Dabei lässt die Konzentration irgendwann nach, eine Studie der Universität Melbourne zeigt: Schon ab 25 Stunden pro Woche. Einzelne Unternehmen haben ihre Arbeitszeit reduziert, manche 5-Stunden-Tage eingeführt und davon Gutes berichtet. Natürlich kann, wer will, in Teilzeit arbeiten. Bisher machen das vor allem Frauen. Aber so wie es heute läuft, läuft das dann eher schlecht für eine:n selbst: Man wird seltener befördert, verdient weniger, bekommt weniger Rente.

Corona verändert, wie wir arbeiten. Homeoffice ist in Unternehmen normal geworden, in denen es vorher undenkbar war. Wir sollten die Krise als Chance sehen, in der vieles anders werden kann. Auch das, was wir unter Vollzeit verstehen. Die 40-Stunden-Woche fiel nicht vom Himmel, sondern wurde eingeführt, damit die Menschen weniger arbeiten und gesünder leben. Genauso ließe sich die 40 gegen eine 30 tauschen oder eine 4-Tage-Woche zum Standard machen, wie es die IG Metall fordert.

Wer das utopisch und naiv findet, sich vielleicht sogar fragt, was er mit der Zeit anfangen soll, die er dann hätte, kann ja mal darüber nachdenken, wer an seiner statt die Arbeit in seinem Haushalt und für die Gesellschaft erledigt. Ich zumindest habe wenig Lust auf 40 Jahre Dauerstress.

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Susan Djahangard arbeitet von Hamburg aus als freie Journalistin. Für die taz schreibt sie vor allem die Kolumne "Sie zahlt" über Feminismus, Geld und Wirtschaft.

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