Gefährliche Müllentsorgung in Kambodscha: Marken-Pulli im Brennofen verfeuert
In Kambodscha landen Reste aus Textilfabriken in Ziegelöfen. Greenpeace hat Beweise gesammelt und kritisiert die Unternehmen Nike, Reebok, Next und andere.
R este von Schuhen, Sweatshirts und Stoffen aus der Produktion globaler Kleidungsmarken landen in Kambodscha illegal im offenen Feuer von Brennöfen zur Ziegelproduktion. Das wirft die Umweltschutzorganisation Greenpeace Herstellern namhafter Marken wie Nike, Reebok, Clarks und anderen vor. Sie würden damit ihrer Verantwortung für die Entsorgung nicht gerecht.
Die Verbrennung von Textilienverschnitt und Produktionsabfällen im offenen Feuer widerspricht sowohl kambodschanischen Gesetzen wie den selbstgesteckten Umwelt- und Sozialstandards der Unternehmen. Laut Greenpeace würden Emissionen steigen und die ArbeiterInnen hochgiftigen Dämpfen ausgesetzt.
Zudem verweist die Organisation auf die schlechten Arbeitsbedingungen bei der Ziegelproduktion, bei der die Kleidungsreste verfeuert würden. Aufgrund eines Baubooms in dem südostasiatischen Land ist die Nachfrage nach Ziegeln hoch. Seit Jahren kritisieren Experten in den Ziegelbrennereien Kinderarbeit und Schuldknechtschaft, die als moderne Sklaverei bezeichnet wird.
Ein Team von Greenpeace aus Großbritannien habe Beweise für die illegale Müllverbrennung und die Entsorgungswege gesammelt, erklärte die Organisation. Nach monatelangen Recherchen veröffentlichte sie nun die Ergebnisse. Die taz konnte Dokumente, Fotos und Videos einsehen, die das Team im Dezember 2021 und Januar 2022 anfertigte.
Kambodscha gehört zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt, auch wenn die Wirtschaft schnell wächst.
In den rund 1.200 Bekleidungs- und Schuhfabriken arbeiten über 700.000 Menschen, die Mehrheit davon sind Frauen. Insgesamt hat Kambodscha 16 Millionen EinwohnerInnen.
Der Mindestlohn in der Bekleidungs- und Schuhproduktion beträgt aktuell 194 US-Dollar pro Monat, ein existenzsichernder Lohn läge Schätzungen zufolge bei über 400 US-Dollar monatlich.
Textilienexporte gehen hauptsächlich in die USA und nach Europa und machen etwa 70 Prozent des gesamten Exportvolumens aus, 2021 mit über 11 Milliarden Dollar.
Premierminister Hun Sen von der kambodschanischen Volkspartei regiert seit 1985 autokratisch. Das Land ist ein de-facto-Einparteienstaat.
Nach zunehmender Unterdrückung von Opposition und GewerkschafterInnen entzog die EU Kambodscha im August 2020 teilweise den zoll- und quotenfreien Zugang zum EU-Markt, der auf dem „Alles außer Waffen“-Abkommen für Entwicklungsländer basierte.
GPS-Daten verorten die Fotos an verschiedenen Standorten rund um die Hauptstadt Phnom Penh in der Nähe der Flüsse Mekong und des Tonle Sap. Sie zeigen Label der Marke Diesel, Reebok und Next, Überreste von Textilien von Polo von Ralph Lauren, Kleidungsstücke mit dem bunten Logo von Nike, Materialreste samt Verpackung und Auftragsnummern der Modemarke Michael Kors, einen halben Damenschuh und weitere Schuhteile von Clarks.
Die Müllsäcke türmen sich
Videoaufnahmen aus der südöstlichen Kandal-Provinz zeigen unter anderem einen Arbeiter, der mit nacktem Oberkörper und nur mit einem Paar Handschuhe geschützt an einem Brennofen schuftet. Erst mit den Händen, dann mit einer Stange, lang wie ein Besenstiel, drückt er Plastiksäcke mit Textilienresten in ein etwa 70 Zentimeter großes Loch. Flammen schlagen ihm entgegen. Hinter ihm türmen sich in einer dunklen Wellblech-Halle weitere Plastiksäcke mit weiterem Müll.
Eigentlich sollten Textilabfälle nicht auf diese Weise entsorgt werden. Doch mit Kambodschas Bauboom wuchs die Nachfrage nach Baumaterial und damit die Nachfrage nach Brennstoffen für die Ziegelbrennereien, erklärt Laurie Parsons, Dozent für Humangeografie an der Royal Holloway University in London, der taz. Parsons forscht zu sozialen und klimatischen Auswirkungen der Textil- und Ziegelproduktion in Kambodscha und hat auch Greenpeace bei deren Recherchen beraten. Textilabfälle seien ein günstigerer Brennstoff als Holz. Der Geograf schätzt, dass täglich mehrere Hundert Tonnen Bekleidungsabfälle in den Öfen verbrannt würden.
In den rund 500 Ziegelbrennereien des Landes arbeiteten bis zu 10.000 Menschen, erklärte Parsons. Darunter seien auch viele Kinder, einige von ihnen erst 12 Jahre alt. Die Arbeit an den Öfen, die Temperaturen von mehreren Hundert Grad erreichen, sei sehr gefährlich. „Bei der Verbrennung von Acrylkleidern, vor allem wenn sie zusammen mit Plastiktüten und anderen Abfällen verbrannt werden, wie es in Kambodscha der Fall ist, werden Plastikmikrofasern und andere giftige Chemikalien in die unmittelbare Umgebung freigesetzt, die die Gesundheit von Arbeitern gefährden“, so Parsons.
In einem Video von Greenpeace berichtet ein Mann, er habe mit 15 Jahren angefangen, in der Ziegelfabrik zu arbeiten. Jeden Tag kämen zwei, drei Lastwagen mit Textilabfällen. Von dem Rauch bekomme er Nasenbluten. Und er erzählt, dass er mit der Arbeit angefangen habe, weil seine Familie Schulden bei einem Geldverleiher aufgenommen hatte. Er müsse sich wiederum vom Inhaber des Brennofens Geld leihen, weil er nicht genug zum Leben habe.
Diese derart beschriebene Schuldknechtschaft sei bei ArbeiterInnen in der Ziegelproduktion sehr verbreitet, erklärt Parsons. Viele von ihnen seien ehemalige Landwirte, die Mikrokredite aufgenommen hätten und deren Ernten unter anderem aufgrund des Klimawandels nicht ausfielen wie erhofft. Die Besitzer der Brennöfen würden dann die Kredite übernehmen und die Menschen – teilweise über Generationen – in Abhängigkeit für sich arbeiten lassen.
Scheinheilige Kampagnen
Die Entsorgung von Produktionsresten unter derart schlechten Bedingungen für Mensch und Umwelt widerspricht den selbstgesteckten ethischen Standards, mit denen internationale Markenhersteller mittlerweile werben. So startete Nike 2019 eine Kampagne, um den Co2-Ausstoß und Müll auf null zu reduzieren. Reebok hat Kollektionen mit Schuhen aus pflanzenbasiertem und recyceltem Material, Ralph Lauren erklärt auf seiner Webseite, Lieferanten sollten Abfälle minimieren und gefährliche und nicht gefährliche Abfälle ordnungsgemäß entsorgen.
Dass Abfälle aus der Bekleidungsindustrie dennoch in den Brennöfen landen, liegt an einem System aus Abfallzwischenhändlern in Kambodscha. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) veröffentlichte 2021 einen Untersuchungsbericht über die lokale Abfallwirtschaft. Formal würde der Abfall auf lizensierten Mülldeponien entsorgt, erklärt Hanna Guy, Autorin des GIZ-Berichts, der taz. Allerdings bestehe eine blühende informelle Abfallindustrie, bei der der Abfall mehrfach weiterverkauft würde.
„Erst wird er vielleicht an einen Großhändler verkauft, dann in kleineren Portionen weiterverkauft, manchmal vier oder fünf Mal“, so Guy. „Am Ende kauft jemand Lkw-Ladungen voller Abfälle. Darin können Markenetiketten enthalten sein, aber auch Plastik aus anderen Fabriken oder Flaschenreste.“
Viola Wohlgemuth, Expertin für Kreislaufwirtschaft und Modeabfälle bei Greenpeace, erklärte, die Unternehmen seien in jedem Fall in der Pflicht, Umweltzerstörung und moderne Sklaverei überall in ihrer Lieferkette zu unterbinden. „Es ist unerträglich zu sehen, wie Modeabfälle von führenden Marken zu giftigem Sondermüll in offenen Brennöfen werden, an denen moderne Sklaven beschäftigt sind.“ Wohlgemuth wirft den Unternehmen, die mit der Reduzierung von Abfall und CO2-Emissionen werben, Heuchelei vor. „Die Modeindustrie produziert am laufenden Band Berge von toxischem, nicht recycelbarem Abfall an beiden Enden ihrer Lieferkette und immer wieder sind es die ärmeren Communitys im globalen Süden, die darunter leiden.“
Die Unternehmen und Mutterkonzerne von Nike, Reebok, Ralph Lauren, Diesel und Michael Kors reagierten trotz mehrfacher Nachfrage nicht auf Anfragen der taz.
Ein Sprecher von Clarks erklärte: „Die Vorwürfe verstoßen gegen unsere Unternehmenswerte, Grundsätze und Geschäftspraktiken.“ Man werde nun eine gründliche Untersuchung durchführen. Die Zulieferer würden Abfälle an ein staatlich zugelassenes Entsorgungsunternehmen übergeben. Es handele sich bei dem beschriebenen Fall um eine Ausnahme.
Die Firma Next erklärte, man sei bereits im Februar von Greenpeace auf die Vorfälle aufmerksam gemacht worden und habe um mehr Details gebeten. Erst im Juli habe Greenpeace Bilder von Etiketten übersandt. „Es hat den Anschein, dass es möglicherweise zu einem Verstoß gekommen ist, weil sich die Lieferanten von Next in Kambodscha nicht an die vertraglich vorgeschriebene Entsorgungspolitik gehalten haben“, erklärte ein Sprecher des Unternehmens. Auch Next will den Vorfall nun untersuchen. Die Firma habe Ethik-Teams vor Ort, die in Kambodscha die Vertragsfabriken regelmäßig auf Einhaltung ethischer Standards überwachten. Es sei eine Herausforderung, den Verschnitt zu einem bestimmten Lieferanten zurückzuverfolgen. Aber wo das gelänge, würden „notwendige Maßnahmen“ ergriffen.
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