Gedenkfeier zur Schlacht um Stalingrad: Der Diktator als Opfer

Am 80. Jahrestag gedenkt Putin des sowjetischen Siegs in der Schlacht von Stalingrad. In seiner Rede mutiert Russland vom Aggressor zum Verteidiger.

Putin vor einem Denkmal, neben ihm stehen uniformierte Soldaten

Putin nimmt an einer Gedenkfeier des 80. Jahrestages der Schlacht von Stalingrad teil Foto: Dmitry Lobakin/Pool Sputnik Kremlin

Eins muss man Wladimir Putin lassen: Russlands Präsident hat ein Händchen für Gedenktage – vor allem dann, wenn sie für viele Rus­s*in­nen immer noch in hohem Maße identitätsstiftend und daher politisch leicht zu instrumentalisieren sind. So gesehen hält sich der Erkenntnisgewinn in Grenzen, was die Rede des Kremlchefs zum 80. Jahrestag der Schlacht um Stalingrad angeht. Dort ließen bekanntlich auch viele ukrainische Soldaten ihr Leben, was die Kreml-Propaganda geflissentlich ausblendet.

Doch Ignoranz ob Putins Auftritt wäre absolut fehl am Platze. Denn von dem Ort des Sieges über Nazi-Deutschland, dem heutigen Wolgograd, führt der Weg direkt in die Ukraine. Dort kämpft Russland nicht nur einen heldenhaften Kampf gegen vermeintliche Faschisten – eine abstruse Behauptung, die seit fast einem Jahr als Begründung für Moskaus Angriffskrieg gegen den Nachbarn herhalten muss und auch in einschlägigen westlichen Kreisen immer noch auf fruchtbaren Boden fällt.

Nein, mittlerweile ist Moskau im Krieg mit dem „kollektiven Westen“, der sein hässliches faschistisches Antlitz zeigt und das Land, auch mit deutschen Leopard-Panzern, bedroht. Putins Reich ist vom Aggressor zum Verteidiger mutiert. Die perfekte Umdeutung einer Täter-Opfer-Relation – so einfach ist das.

Wer, so das offizielle Narrativ, in einer derart hehren Mission unterwegs ist und sich im Besitz der Wahrheit wähnt, kann gar nicht anders agieren denn nach dem Grundsatz: Der Zweck heiligt die Mittel. Dabei legitimiert der Rückgriff auf Geschichte Gewalt – und das immer wieder aufs Neue. Will heißen: Ukrainische Städte und Dörfer werden weiter dem Erdboden gleich gemacht, Leben von Zi­vi­lis­t*in­nen ausgelöscht. Russische Soldaten werden ohne Rücksicht auf Verluste sinnlos verheizt, Kri­ti­ke­r*in­nen der sogenannten Spezialoperation im eigenen Land mit brutalsten Methoden zum Schweigen gebracht.

Wo soll da noch Raum für Verhandlungen sein? Das mögen diejenigen erklären, die diese Option immer noch für einen gangbaren Weg halten und sie lautstark einfordern. Und sie müssten eins dazu sagen: Dass sie bereit wären, um des lieben Friedens willen, die Ukraine zu opfern. Und nicht nur sie.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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