Gas aus Russland: Wort halten aus Kalkül
Vorläufig fließt wieder Gas aus Russland. Dennoch soll sich niemand auf Putin verlassen. Er kalkuliert und manipuliert nach eigener Manier.
E in Aufatmen: Das Gas fließt. Die Auslastung der Röhre Nord Stream 1 liegt bei 40 Prozent und damit so hoch wie vor der zehntägigen Wartung, die so viele Fragen aufgeworfen hatte. Der Kreml hat zwar Wort gehalten. Ruhe aber kehrt nicht ein. „Wir halten uns an unsere Verpflichtungen“, heißt es aus dem Mund des russischen Präsidenten Wladimir Putin immer wieder. „Wir sind zuverlässig“, so das russische Mantra. Die Realität ist eine andere.
Das Vertrauen hat Russland längst verspielt, auch wenn es die Schuld für dieses verlorene Vertrauen freilich nicht bei sich sieht, sondern im Westen sucht. Der Westen ist in den Augen des Kreml ohnehin für alles verantwortlich, was nicht den Vorstellungen des Kreml entspricht. Seit Jahren setzt Moskau seine Rohstoffe erfolgreich als Instrument der Erpressung ein.
Vor allem in Deutschland hatten viele jedoch jahrelang die Augen davor verschlossen und trotz allem auf billige russische Energie als stabile Säule der Versorgung gesetzt. Die russische Führung hingegen weiß sehr genau, wie zuverlässig die europäischen Ängste funktionieren. Ängste vorm Frieren im Winter, Ängste aber auch, dass die Menschen sich gegen ihre Regierungen wenden könnten und gewisse Politiker*innen damit raus aus der Politik wären.
Fast schon höhnisch sprechen russische Politiker*innen darüber, dass die Politiker*innen in Europa Wahlen gewinnen müssten und deshalb nach der Pfeife ihres Volkes tanzten. Moskau spielt mit diesen Ängsten, und zwar immer unverfrorener. Heute liefert es Gas, es will als zuverlässiger Partner gelten. Es will aber auch sein Gas verkaufen, nicht seine Bohrlöcher unwiderruflich schließen müssen. Die russische Wirtschaft ist ohnehin gebeutelt. Doch liefert es auch morgen noch Gas?
Russland weiß die Sorgen Europas für sich zu nutzen. Mit Verweisen auf technische Schwierigkeiten – sei es durch die gewartete Turbine aus Kanada, sei es aus anderen Gründen – kann Moskau die Gasmengen wieder drosseln, später hochfahren, auch einstellen. Der Schuldige wäre der Westen. Oder eben die Technik. Die Unberechenbarkeit hat Methode.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen