Friedensbewegungen und die Ukraine: Keine Solidarität, nirgends
Große Teile der Friedensbewegung geben ein groteskes Bild ab – die Rolle Russlands wird kleingeredet. Dabei wären Alternativen gerade jetzt nötig.
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W o ist eigentlich die Friedensbewegung? In Kommentaren und Tweets fiel diese Fragen in den vergangenen Wochen immer wieder, rein rhetorisch gemeint und formuliert meist von jenen, denen die Friedensbewegung schon immer suspekt war. Der Subtext: Beim kleinsten Verdacht auf eine imperialistische Aggression der USA stehe die Bewegung sofort auf den Hinterbeinen. Beim russischen Imperialismus, der sich aktuell in der Bedrohung der Ukraine offenbart, zucke sie aber nur mit den Schultern.
Am Wochenende hat sich die Friedensbewegung nach langem Schweigen dann endlich auf der Straße gezeigt. Und was soll man sagen: Sie hätte es mal lieber sein lassen. Ein Teil der Bewegung hat die vorweggenommene Kritik auf groteske Weise bestätigt.
Bei Kundgebungen vor dem Brandenburger Tor am Freitag und auf dem Münchner Marienplatz am Samstag führte diese Fraktion ein Revival des Jahres 2014 auf: Damals wie heute klammert sie sich im Konflikt um die Ukraine so fest an alte Feindbilder, dass daneben für die neue Realität kein Platz bleibt. Die Münchner Demo anlässlich der Sicherheitskonferenz stand unter dem Motto „Stoppt den Kriegskurs der Nato-Staaten“.
Weder im Titel noch in einer ergänzenden Erklärung zum Ukraine-Konflikt benennt das Veranstalterbündnis die Rolle der russischen Regierung. Die Linken-Abgeordnete Sevim Dağdelen, die auf beiden Kundgebungen auftrat, konnte sich gerade mal zum knappen Eingeständnis durchringen, dass der russische Truppenaufmarsch „vielleicht bedrohlich wirken kann“. Ansonsten aber schob sie in ihren Redebeiträgen die komplette Verantwortung für die aktuelle Eskalation auf Nato, USA, Kiew, die Medien und die Fracking-Gas-Industrie.
Schlichte Logik
Wer diesen Konflikt auch nur durch die Brille der Äquidistanz sehe, so Dağdelen explizit, der spreche Washington und den Westen von „ihrer Verantwortung und Schuld frei“. Auf den Feind meines Feindes darf ich nichts kommen lassen – das ist die schlichte Logik dahinter.
Fatal ist das, weil die Friedensbewegung gerade jetzt gebraucht würde. Konfliktzeiten bergen immer die Gefahr, dass das bellizistische Hurra den kühlen Kopf verdrängt. Einwände und Zwischentöne sind in diesen Zeiten nötig. Hinweise auf doppelte Standards des Westens, auf geopolitische Fehler der Vergangenheit und auf zivile Mittel der Konfliktlösung dürfen nicht fehlen.
Es gibt auch einen Teil der Friedensbewegung, der zu diesen Einwürfen in der Lage ist, ohne die Aggression des Kremls auszublenden. Teilnehmer*innen der Münchner Friedenskonferenz, die am Wochenende parallel zur Siko stattfand, haben es durchaus geschafft, vom Podium aus das russische Verhalten als illegitim zu bezeichnen.
Solidarität mit Machteliten im Kreml
In der Aufmerksamkeitsökonomie sind solche differenzierten Positionen aber immer unterlegen, solange nebenan obskure Demos stattfinden, auf denen wie am Samstag Nordkorea-Flaggen neben Peace-Fähnchen wehen, auf denen in Parolen die „internationale Solidarität“ beschworen wird, aber doch nur die Solidarität mit den Machteliten im Kreml gemeint ist.
Wovon dort nichts zu sehen ist: Solidarität mit Menschen in Belarus und Kasachstan, deren prodemokratischen Proteste niedergeschlagen wurden. Solidarität mit linken Akteuren in Mittelosteuropa, die sich vor der russischen Politik fürchten. Solidarität mit der Bevölkerung der Ukraine, die jederzeit mit einem flächendeckenden Angriff rechnen muss. Und Solidarität mit den russischen Soldaten, die für Putins Machtphantasien sterben müssen, falls der Konflikt eskaliert.
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