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Fragen und Antworten zum Gaza-AbkommenDroht jetzt der Frieden?

Unter dem Druck von Donald Trump haben sich Israel und die Hamas auf eine Waffenruhe geeinigt. Was im Abkommen steht und warum es immer noch wackelt.

Khan Younis, Gaza, 17. Januar: ein Mann inspiziert die Zerstörungen nach einem israelischen Militärschlag Foto: Hatem Khaled/reuters

Die Verhandlungen um einen Waffenstillstand in Gaza liefen seit Monaten. Wieso kommt die Einigung ausgerechnet jetzt?

Das Abkommen von Doha ist nicht neu. Der Plan, den Krieg in drei Phasen zu beenden, lag in etwa dieser Form spätestens seit Ende Mai auf dem Verhandlungstisch. Die Gespräche aber waren mehrfach gescheitert.

Im Mai, weil der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu im letzten Augenblick abgelehnt hat. Dabei schien sein Vorgehen häufig getrieben von den Drohungen der messianischen Siedler in seiner Koalition, im Falle eines Abkommens die Regierung zu Fall zu bringen. So beharrte er lange auf dem „absoluten Sieg“ über die Hamas, entgegen dem Rat seiner eigenen Armeeführung. Mehr als 10.000 Palästinenser, mindestens acht Geiseln und über 120 israelische Soldaten bezahlten die Verzögerung mit ihrem Leben. Militärisch hat sich seither wenig verändert.

Nun ist der Druck des künftigen US-Präsidenten Donald Trump, der die zuletzt festgefahrenen Verhandlungen unter Vermittlung der USA, Katars und Ägyptens wieder in Bewegung gebracht hat. Ein Mix aus Drohungen und Unberechenbarkeit scheint bewirkt zu haben, was Trumps Vorgänger Biden mit monatelanger Diplomatie nicht gelungen war.

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Das liegt auch daran, dass Biden sich zwar zunehmend über Netanjahus Starrsinn beschwert, aber nie Konsequenzen gezogen hat. Die Bomben, mit denen Israel den Gazastreifen in Schutt und Asche gelegt hat, wurden weiter geliefert. Die Hamas konnte sich indes mehrfach verhandlungsbereit präsentieren, ohne ihre Ernsthaftigkeit unter Beweis stellen zu müssen.

In Israel erwarten viele die Unterstützung des starken Manns aus Washington gegen den Iran, beim Siedlungsbau im Westjordanland und in der Normalisierung der Beziehungen mit Saudi-Arabien. Die Hamas hingegen kann sich gute Chancen ausrechnen, in Abwesenheit eines Nachkriegsplans an der Macht zu bleiben.

Am Donnerstag wackelte das Abkommen, Netanjahu verschob mehrfach die entsprechende Sitzung des Sicherheitskabinetts. Doch was steht überhaupt in dem Plan?

Ab Sonntag oder ab Montag Mittag, so das Abkommen, sollen die Waffen schweigen. Außerdem sollen die ersten drei Geiseln freigelassen werden. Insgesamt sollen in den 42 Tagen der vorläufigen Waffenruhe nach und nach 33 Geiseln freigelassen werden, zuerst Frauen und Kinder, dann Verwundete und Männer über 55 Jahren, die noch lebenden zuerst. Unter ihnen neben den am 7. Oktober entführten Geiseln auch Avera Mengistu und Hisham al-Sayad, die seit 2014 und 2015 in Gaza festgehalten werden.

Die jungen und unversehrten Männer unter den Geiseln kommen erst in einer potentiellen Verlängerung der Waffenruhe frei. Wie viele der Geiseln noch am Leben sind, sollte nach einer Woche klar werden. Dann, so das Abkommen, lässt die Hamas Israel eine Liste mit den Namen aller Geiseln und ihrem jeweiligen Zustand zukommen.

Das israelische Militär soll im Gegenzug den Netzarim-Korridor verlassen, mit dem es den Gazastreifen in einen nördlichen und südlichen Teil getrennt hat. Außerdem soll es der Bevölkerung erlauben, in den abgeriegelten Norden zurückzukehren. Der Deal sieht vor, dass täglich 600 Lastwagen mit humanitären Gütern die Menschen im Gazastreifen versorgen.

Die Anzahl der freizulassenden palästinensischen Gefangenen richtet sich nach dem Zustand der Geiseln. Zum Beispiel: Für neun verwundete Israelis sollen 110 palästinensische Gefangene entlassen werden, die lebenslängliche Haftstrafen in israelischen Gefängnissen verbüßen.

Die Waffenruhe soll 42 Tage gelten. Und dann?

Wie es danach in einer zweiten Phase des Waffenstillstands weitergeht, soll ab dem 16. Tag der Waffenruhe ausgehandelt werden. Angepeilt ist für diese Phase die Freilassung der restlichen 65 Geiseln und der Rückzug des israelischen Militärs aus dem sogenannten Philadelphi-Korridor an der Grenze zu Ägypten. Außerdem soll sich die Armee aus dem Gazastreifen zurückziehen bis auf eine Pufferzone zu den benachbarten israelischen Ortschaften.

Wird das halten?

Vielleicht. Netanjahus rechtsextreme Koalitionspartner wollen eine Fortsetzung des Krieges und üben Druck auf ihren Regierungschef aus. Trump, der sich als Friedensbringer inszenieren will, übt Druck in die andere Richtung aus, sowohl auf Israel als auch auf die Hamas und auf Katar als zentraler Verhandler.

Trump strebt wohl eine längerfristige Lösung an, die dann wiederum die Basis für ein Normalisierungsabkommen zwischen Israel und Saudi-Arabien sein soll. Am Ende aber schwebt die Frage über allem, ob Netanjahu und die Hamas ein Interesse daran haben, zu einer längerfristigen Lösung zu kommen.

Gleichzeitig gibt es einige Fallstricke im Abkommen. Für die Hamas könnte es eine – tatsächliche oder vorgeschobene – Herausforderung werden, alle Geiseln zu finden. Einige sind ja in den Händen anderer Milizen. Kritisch dürfte auch der Moment werden, in dem Israel die Liste der noch lebenden Geiseln erhält. Streit um die Freilassung der palästinensischen Gefangenen – wer und wie viele entlassen werden sollen – könnte zu einem Platzen der Waffenruhe führen.

Gaza ist völlig zerstört, die Hamas nicht. Was passiert nach dem Krieg mit dem Küstenstreifen?

Endet der Krieg jetzt, hat Israel sein Ziel, die Hamas zu zerschlagen, verfehlt. Einen ernsthaften Nachkriegsplan hat die israelische Regierung zumindest öffentlich nie diskutiert. Den Gazastreifen unter die Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) zu stellen, hat Netanjahu mehrfach abgelehnt.

Vor wenigen Tagen hat US-Außenminister Antony Blinken Pläne für die Verwaltung des Gazastreifens nach dem Krieg vorgelegt, die er an den designierten Präsidenten Donald Trump übergeben wird. Die Idee: eine reformierte PA an der Spitze des Gazastreifens. Internationale Partner sollen dabei helfen, eine Übergangsverwaltung einzurichten. Eine Sicherheitstruppe soll aus Kräften der Partnerländer und überprüftem palästinensischem Personal gebildet werden.

Nach einer langsamen Kehrtwende hat der Premier der PA, Mohammed Mustafa, am Dienstag erklärt, die Führungsrolle im Gazastreifen übernehmen zu wollen. Unter der palästinensischen Bevölkerung hat die PA allerdings kaum Rückhalt, auch nicht im Westjordanland, wo sie regiert. Viele werfen ihr vor, der verlängerte Arm der israelischen Besatzung zu sein.

Um ihre Führungsrolle gegenüber anderen Gruppierungen zu untermauern, geht sie derzeit verstärkt gegen bewaffnete Gruppen im Westjordanland vor, verspielt damit allerdings weiter ihre Glaubwürdigkeit. Die Hamas wurde in den vergangenen 15 Monaten des Krieges massiv geschwächt, aber hat ihren Führungsanspruch in Gaza nie aufgegeben.

Eine gigantische Herausforderung wird der Aufbau der zerstörten Enklave sein. Neun von zehn Häusern in Gaza, so hieß es zuletzt in einem Bericht der UN, sollen beschädigt oder zerstört sein. Ägypten hat sich am Dienstag bereit erklärt, eine internationale Konferenz zum Wiederaufbau des Gazastreifens auszurichten.

Zerbricht Netanjahus Regierung an diesem Abkommen?

Seit die Einigung am Mittwochabend in Doha verkündet wurde, ist ein Bruch der Koalition in Jerusalem näher gerückt. Netanjahus rechte Likud-Partei ist auf die Unterstützung ihrer ultraorthodoxen und religiös-nationalistischen Partner angewiesen. Der extremistische Siedler und Polizeiminister Itamar Ben Gvir hat angekündigt, im Falle eines Abkommens die Koalition zu verlassen.

Sein Fraktionskollege und Finanzminister Bezalel Smotrich sprach sich gegen ein Ende des Krieges aus, scheint aber einen vorübergehenden Waffenstillstand bis zum Ende der ersten Phase akzeptieren zu wollen. Würde er danach ebenfalls austreten, steht Netanjahus Regierung ohne Parlamentsmehrheit da. Die Oppositionsführer Benny Gantz und Jair Lapid allerdings versicherten, die Koalition stützen zu wollen, solange das Abkommen eingehalten werde.

Und dann kommt der Frieden?

Der Waffenstillstand ist nach 15 Monaten ein Hoffnungsschimmer. Doch die größte Aufgabe beginnt erst danach. Die Worte Frieden und Versöhnung waren in der Region schon vor dem 7. Oktober kaum noch gefallen. Eine palästinensisch-israelische Umfrage vom September 2024 ergab, dass 80 Prozent der Palästinenser finden, dass das Leid unter der Besatzung und der Blockade des Gazastreifens vor dem 7. Oktober rechtfertigt, was die Hamas am 7. Oktober getan hat. 84 Prozent der jüdischen Israelis wiederum finden, dass das, was die Hamas am 7. Oktober getan hat, die Kriegsführung Israels im Gazastreifen rechtfertigt.

Die westlichen Staaten, allen voran Israels wichtigste Waffenlieferanten Deutschland und die USA, haben ihr politisches Kapital bei den Palästinensern verspielt, indem sie dem Töten in Gaza mehr als ein Jahr lang mit kraftlosen Mahnungen begegneten. Trump dürfte indes eigene Pläne für die Region haben. Eine gerechte und sichere Zukunft für die Menschen zwischen Fluss und Meer werden darin kaum die oberste Priorität haben.

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5 Kommentare

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  • "Ägypten hat sich am Dienstag bereit erklärt, eine internationale Konferenz zum Wiederaufbau des Gazastreifens auszurichten." D.h. Israels Regierung zerstört den ganzen Gazastreifen und die internationale Gemeinschaft sammelt dann Milliarden, um das wieder aufzubauen? Warum zahlt Israel nicht dafür? Woher wissen wir ob die nächstes Jahr nicht wieder Bomben werfen? Je nachdem wer dann an der Regierung ist?

  • Frieden wird es wohl erst geben, wenn der illegale Siedlungsbau und die illegale Mauer zurückgenommen und palästinensische Selbstbestimmung und Souveränität - über Land, Wasser, Ressourcen (inkl. der Gasfelder vor der Küste Gazas, die unrechtmässig von Israel vergeben wurde), Steuern, Bevölkerungsregister, Bewegungsfreiheit, Im- und Export, kurz alle Belange - selbstbestimmt und ohne tödliche Besatzungsmacht geregelt werden können.

  • Mich wundert wirklich, wieso die Trumpsche Schulhofschlägerdiplomatie von der taz dermaßen abgefeiert wird. Zumal das überall kolportierte Bild von der Hölle, die bei nichtgelingen in Gaza Einzug halten würde, eigentlich einen bockigen Netanjahu wenig beeidrucken sollte.

  • "The Donald" ist alles anderes als ein Friedensstifte. Er ist auch kein Krieger. Er ist nur ein faschistisches, unterbelichtetes Werkzeug.

  • Viele Araber in den USA aber auch im Nahen Osten feiern aktuell Trump, weil er vermeintlich den ersehnten Waffenstillstand für Gaza bringt. Ich vermute, dass die ein böses Erwachen erleben werden.

    Auch Israel kann sich den Krieg nicht ewig leisten, braucht einen Exit.



    Aber Netanyahu hatte kein Interesse, Biden einen Erfolg zu bescheren. Er macht Trump jetzt aber ein riesiges Antrittsgeschenk, denn Netanyahu erhofft sich, unter Trump die Hälfte der Westbank annektieren zu können. Die Pläne hat Netanyahu schon 2019 offiziell vorgestellt und angeblich hatte er schon damals grünes Licht von Trump. Die Annexion wurde dann wegen der Abraham Accords erst mal verschoben, aber die Pläne wurden nie aufgeben. Es ist zu vermuten, dass Netanyahu sie während der zweiten Amtszeit von Trump umsetzen will.