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Flüchtlinge an der EU-AußengrenzeMenschenwürde ist antastbar

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

In Krisen zeigt sich, wer man ist. Die EU rutscht in eine Legitimationskrise. Wie will dieses Europa eigentlich noch für Rechtsstaatlichkeit werben?

Campieren im Dreck: ein Kind in einem Flüchtlingslager nahe der türkisch-griechischen Grenze Foto: dpa

W as die Europäische Union sein will, was ihr wichtig ist und für wen sie da sein möchte, hat sie in ihrer Grundrechtecharta festgehalten. Sätze stehen dort, die leuchten wie Sterne in tiefster Nacht.

Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Artikel 2: „Jeder Mensch hat das Recht auf Leben.“

Artikel 3: „Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit.“

Auf der falschen Seite des Stacheldrahts

Was die Europäische Union ist, wie sie handelt und wen sie im Zweifel bekämpft, lässt sich seit gut einer Woche an der griechisch-türkischen Grenze beobachten. Die angebliche Wertegemeinschaft benimmt sich, als sei sie im Krieg. Die Würde des Menschen ist nämlich sehr wohl antastbar, jedenfalls dann, wenn er auf der falschen Seite des Stacheldrahts steht. Und seiner Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit darf sich der Mensch nicht allzu gewiss sein.

Seitdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan tausende Geflüchtete an die EU-Außengrenze schickte, wird mit jedem Tag klarer: Der Firnis der europäischen Zivilisation ist dünn. Griechische Grenzschützer treiben Geflüchtete mit Tränengas und Blendgranaten zurück, sogar scharfe Schüsse sollen gefallen sein. Mitarbeiter der Küstenwache schlagen mit Stangen auf Menschen in Schlauchbooten ein. Rechtsextreme patrouillieren auf Lesbos und machen Jagd auf Journalisten oder Mitarbeiter von Hilfsorganisationen.

Die EU könnte Erdoğan keinen größeren Gefallen tun, weil sie ihn mächtiger erscheinen lässt, als er ist. Sie reagiert mit Panik, kaum dass er ein paar Reisebusse rollen lässt. Der türkische Autokrat, der sich den Staat zu eigen macht, kritische Journalisten einsperrt und die Opposition unterdrückt, kann nun feixend kritisieren, dass die EU selbst die Menschenrechte mit Füßen tritt. Das Fürchterliche ist, dass man ihm nicht mehr widersprechen mag.

Die EU rutscht gerade in eine doppelte Legitimationskrise. Sie steht seit Längerem unter Druck, weil viele Menschen sie für einen teuren und bürokratischen Moloch halten, der den Nationalstaaten vorschreibt, was sie zu tun und zu lassen haben – siehe Brexit. Doch nun kommen auch Linksliberale in Rechtfertigungszwänge, die die EU – trotz all ihrer Mängel – verteidigen. Viele sagen: Das ist nicht mein Europa der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, kann es nicht sein. Wer kann es ihnen verdenken?

Kriegsrhetorik statt Nüchternheit

In Krisen zeigt sich, wer man ist – und nicht, wer man sein will. Führende Politiker der angeblichen Mitte greifen gerade zu einer verräterischen Sprache, statt auf Nüchternheit, Gelassenheit und Menschlichkeit zu setzen. Erdoğan benutze Menschen „als Waffe“ gegen die EU, kritisierte zum Beispiel Österreichs Regierungschef Sebastian Kurz – und sprach über einen „Ansturm von Migranten nach Europa“.

Nun kann niemand bestreiten, dass Erdoğan ein zynisches Spiel spielt. Aber Menschen als Waffe? Waffen sind lebensgefährlich, vor ihnen muss man Angst haben. Attentäter könnte man vielleicht so bezeichnen oder Auftragsmörder. Aber ganz sicher nicht Leute, die vor Krieg oder Armut fliehen. So redet wohlgemerkt kein durchgeknallter Rechtspopulist, sondern der Kanzler und ÖVP-Chef unseres Nachbarlandes, der neuerdings mit den Grünen koaliert.

Auch in Deutschland wird das Leid der Geflüchteten kaum, umso mehr aber die deutsche Befindlichkeit thematisiert. Spitzenleute von CDU, CSU und FDP warnen unisono vor einem „Kontrollverlust“ wie im Jahr 2015. Ein Kontrollverlust scheint für deutsche Beamtenseelen schwerer erträglich zu sein als die Vorstellung, dass tausende Kinder im Flüchtlingscamp Moria im Dreck sitzen. Nicht anders handeln sie dann auch. Schon ein Kontingent von 5.000 Menschen aufzunehmen wird von CDU und CSU als Zumutung empfunden.

Überhaupt, wo ist eigentlich dieser Wertkonservatismus – die Betonung liegt auf „Wert“ –, wenn man ihn mal braucht? Ein völlig irrelevantes Linkspartei-Mitglied, das auf einem Strategiekongress bei einem missglückten Versuch, witzig zu sein, davon spricht, Reiche zu erschießen, bringt liberalkonservative Gemüter auf Twitter in Wallung. Aber sehr reale Tränengasgranaten auf Familien, das scheint für dieselben Leute in Ordnung zu sein.

Die Krise geht uns alle an

Die aktuelle Krise geht uns alle an. Sie wirft auch ein Schlaglicht auf gängige Verdrängungsmechanismen. Eine große Mehrheit der Deutschen ist geübt darin, das Unschöne unserer komplexer werdenden Welt zu ignorieren. Es ist nicht so, als seien die Zustände in griechischen Flüchtlingslagern unbekannt gewesen. Als sei es neu, dass da Kinder frieren, apathisch vor Zelten hocken oder zwischen Müllbergen spielen. Es hat nur kaum jemanden interessiert, auch von uns Journalisten viel zu wenige. Aber jetzt, da wieder Menschen zu uns kommen könnten, sind wir alarmiert.

Und im nächsten Europawahlkampf singen wir dann alle wieder das Loblied auf die EU? Auf den demokratischen Staatenbund, der Frieden und Wohlstand auf dem Kontinent garantiert, als Gegengewicht zu Trump, Putin und dem bösen China? Bitte nicht, die Verlogenheit hat Grenzen.

Die Frage ist ja, mit welcher Autorität europäische Staats- und Regierungschefs in Zukunft Trump kritisieren wollen, der eine Mauer an der Grenze zu Mexiko baut – und zur Abschreckung Kleinkinder von ihren Eltern trennen ließ. Europa benimmt sich im Moment ähnlich unanständig. Wie gesagt, in Krisen zeigt sich, wer man ist.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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44 Kommentare

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  • Bliebe eine interessante Frage:



    Wie würden sich wohl Politiker, Medien und die Bevölkerung im nahen Osten verhalten, wenn in Europa ein Krieg ausbrechen würde und plötzlich eine Welle eropäischer Flüchtlinge an deren Grenzen stünde?

  • Der einzige Unterschied zwischen trump und den europäischen Politikern ist nun nur noch, dass trump zu dieser Thematik immer im voraus ehrliche Ansagen gemacht hat.



    Die EU hat viele mackie messers

  • Dieses Vorgehen der Abweisung an der Grenze verstoße nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, teilte die Große Kammer des Gerichtshofes am Donnerstag, 13.2.2020 in Straßburg mit. Das Urteil ist nicht nur mit Blick auf Spanien von großer Bedeutung. Auch in anderen EU-Staaten werden Flüchtlinge direkt an der EU-Außengrenze immer wieder konsequent zurückgedrängt: in Ungarn, in Kroatien und in Griechenland. Deren Grenzschützer dürften sich durch die Entscheidung aus Straßburg bestätigt fühlen.



    Aktenzeichen 8675/15 und 8697/15

    • @Vordenker112:

      Ja... hmm? ... Artikel 1,2 und 3 der EU `Verfassung´ erlauben ja einen sehr weiten Rahmen an Interpretation :



      Einerseits so etwas wie "Stillstand im nackten Überleben" , ohne Hoffnung..



      wie in Moria oder in Flüchtlingslagern in der Türkei, im Libanon , oder in Marokko.. oder andererseits dort wo unmittelbar Tod, Folter, Verhungern droht.. wie in Lybien (wodurch die bisherige NGO Lebensrettung , als auch die "SEEBRÜCKE" und "SICHERE HÄFEN" legitimiert ist.. zumindest formell (!) , im Sinne der EU Charta..)



      ----------------------



      Griechenland endete leider als `Handlanger´ von harter ökonomischer Interpretation der eigentlich human formulierten EU Charta..



      Und nun? Ne´ Scheiss- Situation...

  • ueberall viel zu viele menschen....dadurch natuerlich auch mehr not und elend...1 kind politik weltweit waere eine loesung.....aber an die reduzierung der menschenmassen denkt offen bar niemand..obwohl so naheliegend...

    • @bulli:

      Hat jetzt wenig mit der Flucht vor Krieg zu tun. Um aber auf ihren Kommentar einzugehen: ich fände eine 2 kind politik auch völlig ausreichend, denn dies bedeutet ebenfalls bevölkerungsrückgang (manche bekommen gar keine Kinder).

      Und ich finde jedes Kind sollte das Recht auf Geschwister haben. Europa ist aber dies bezüglich gar nicht das ,,Problem" mit 1,9 kindern gibt es hier einen Bevölkerungsrückgang (man braucht ja mindestens 3 kinder je paar (2 personen), damit ein wachstum entsteht).

      Das Problem liegt eher in Afrika mit durchschnittlich 7,5 Kindern je Frau(!). das bedeutet, dass einige auch deutlich mehr kinder als 7 bekommen.. Grund sind hier sicherlich fehelende aufklärung, fehlender Zugang zu Verhütungsmitteln und Vergewaltigungen von Frauen. Afrika ist dies bezüglich ein riesiges ,,Problem", und hier sollten Hilfen geleistet werden (kostenfreie verhütungsmittel, aufklärung und gegen vergewaltigungen härter vorgehen). meine meinung..

      • @Matthias Goethe:

        in afrika ist es natuerlich wesentlich schlimmer...aber europa ist doch auch vollkommen ueberbevoelkert......

  • Der Spiegel-Journalist Maximilian Popp berichtet davon, dass Flüchtlinge Kleidung und Papiere abgeben mussten, misshandelt und zurück in die Türkei gebracht wurden:

    twitter.com/Maximilian_Popp

  • Hier ein Artikel aus der Jungle World, der den moralischen Untergang der EU gut auf den Punkt bringt:

    jungle.world/blog/...P2CqlZXr5PQi-100aY

  • Mm

  • schutzbedürftigen menschen schutz zu verweigern und zu diesem zweck ihre menschenrechte zu missachten ist eines staates oder eines bundesstaates oder eines staatenbundes der sich zu demokratie und rechtstaatlichkeit bekennt unwürdig.



    darüber hinaus verstösst es auch gegen das universale moralgesetz..

    zu dessen verständnis tragen auch die verschiedenen religionen bei

    viele europäer*innen bekennen sich zum christentum und damit zu dessen gründer

    dieser hat gesagt:



    Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, empfangt das Reich als Erbe, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist! Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben oder durstig und dir zu trinken gegeben? Und wann haben wir dich fremd gesehen und aufgenommen oder nackt und dir Kleidung gegeben? Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.

    und in der bergpredigt heisst es:

    Behandelt die Menschen stets so, wie ihr von ihnen behandelt werden möchtet. Denn das ist die Botschaft des Gesetzes und der Propheten

    wie kann man sich zum christetum bekennen und diese vernünftigen edlen und guten grundsätze an der eu-aussengrenze missachten.

    für heiden sei daran erinnert dass der könig der olympischen götter Zeus Xenios heisst :der beiname bedeutet der Fremde denn wer die rechte von fremden missachtet missachtet Zeus der dem heidnischen mythos zufolge nicht selten anonym als ein solcher kommt wenn er die menschen besucht

    • @satgurupseudologos:

      es gibt kein individuelles Recht auf Einreise nach Europa. Die Türkei ist ein sicheres Land, also kann Asyl dort gewährt werden.

      • 7G
        74450 (Profil gelöscht)
        @Monika Frommel :

        "es gibt kein individuelles Recht auf Einreise nach Europa."

        Das stimmt juristisch. Es ist allerdings eine andere Frage, ob ein reicher Kontinent mit über 400 Millionen Einwohnern einfach so zusehen darf, wie viel kleinere und ärmere Länder (Türkei, Libanon, Jordanien) den Großteil an Flüchtenden aufnimmt. Es ist eine Schande, wenn Europa in diesem Moment nur zusieht anstatt zu helfen.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @satgurupseudologos:

      Das mit den "Heiden" ohne Anführungszeichen finde ich gar nicht nett. Agnostiker oder Atheisten hätte es doch auch getan - oder?

      Davon ab, wissen wir doch als erfahrene und gebildete Menschen: Bekenntnis und Alltagsverhalten sind zwei Paar Schuhe. Bei Jedem von uns.

      Die Konfrontation mit den eigenen Ansprüchen läuft meines Erachtens ins Leere. Ich habe auch kein passendes Mittel zur Hand.

      Man könnte es mal mit schockierenden Bilder ohne große Worte versuchen. Und die Dinge danach beim Namen nennen, wie @HOMBRE es treffend formuliert.

      Die niedlichen kleinen Jungs und Mädels möchte natürlich jeder retten. Was aber ist mit denen, die nicht mehr so niedlich sind? Wollen 'wir' die auch alle hier???

  • Man kann nur zwei Sachen machen, auch gleichzeitig:

    1. Nach Lesvos fahren und gegen die unionsrechtbrüchigen Griechen kämpfen, den Flüchtenden helfen.

    2. Verstehen, dass die Grausamkeiten vor Ort das Resultat einer Reihe schwerer Fehler in der innereuropäischen Politik sind, diese Grausamkeiten nicht zum ersten Mal passieren und wenn die Fehler nicht behoben weren, es auch immer wieder passieren wird.

    Fehler Nummer Eins ist die innereuropäische Ausbeutungspolitik, die von der CDU maßgeblich mitorganisiert wurde. Das von den Nazis (AfD und Co.) geforderte 'Zurück' zu reiner Wirtschaftsunion ist eine typische Lügenforderung, denn innereuropäisch gibt es freies Fluten fast ausschließlich für das Kapital bzw. dessen jeweils zu deckenden Bedarf an Arbeitskraft. Die deutsche Regierung hat die EU vor allem dafür benutzt, dem deutschen Kapital Zugriff auf die Märkte der kleineren Staaten zu ermöglichen, was zu massiven Verschlechterungen der Situation in diesen Ländern beitrug. Wenn die Menschen vor Ort sich damit nicht länger abfinden wollten und Links gewählt haben, hat Deutschland mittels Wirtschaftskrieg versucht die Etablierung einer sozialen Politik zu brechen. Siehe Griechenland.



    Man lese sich die jeweiligen Bedingungen zur Aufnahme neuer EU-Mitgliedskandidaten durch, um zu verstehen, welche Rolle Deutschland den neu beizutretenden Staaten zugedacht hat. Hauptverpflichtungen war die (weitere) Einführung neoliberaler Politik sowie die Übernahme der Funktion "Flüchtlingspuffer". Man muss und sollte kein Verständnis für die Nazis, die jetzt in Lesvos rumziehen haben, um zu verstehen, dass sich Bürger anderer EU-Staaten ein wenig verwundert über die plötzliche deutsche Großherzigkeit sind, da sie selbst Deutschland nur als den großen Ausbeuter kennen, der sich symbolische Großherzigkeit leistet, während faktisch immer die Anderen für die Flüchtenden zuständig sind.

    • @Jens Kröger:

      Es war genau diese deutsche Lüge, die 2015 ausgelöst hat. Deutschland ist Hauptexporteur für Waffen in Kriegsgebiete und benutzt die Staaten an den EU-Außengrenzen, die Türkei, Libyen und andere als Puffer, das Elend aus diesen Kriegsprofiten fernzuhalten.

      Fehler Nummer Zwei ist der Fehler der DemokratInnen in Deutschland, die eine solche Politik nicht mittragen wollen, aber es praktisch tun und damit ein solidarisches Europa verhindern. Solidarität als Einmalhandlung angesichts ertrunkener Kinder ist verständlich und richtig, aber kann nicht Solidarität als allgemeines, europäisches Prinzip ersetzen. Nur wenn wir die Vereinigung Europas als soziales Europa erreichen, ist mittelfristig auch eine Abkehr von der menschenfeindlichen Flucht-Politik denkbar. Dafür wird aber zu wenig getan. Gleiches gilt übrigens auch für die Klimapolitik - wer, wie viele Osteuropäer ohnehin keine Zukunft sieht, interessiert sich verständlicherweise auch einen Dreck für das Klima.

      TL;DR Die europäische Fluchtpolitik hängt entscheidend vom Zustand der europäischen Sozialpolitik ab. Ringen wir dort nicht um mehr Demokratie, Verbesserungen für Alle, ist der Kampf für eine menschenwürdige Fluchtpolitik in-sich-widersprüchlich und (so gern man auch möchte) letztlich nicht zu gewinnen.

  • Die Europäische UNION sei eine Wertegemeinschaft usw. bla bla. Diese EU schmückt sich mit Werten die im Falle des Falles nicht belastbar sind. Das kann jeder selbst wahrnehmen, wenn er die Zustände im Hinblick auf die Menschenrechte an der griechischen Grenze beobachtet.



    Die Briten haben irgendwie mit ihrem Brexit recht. Was will man in einer solchen verlogenen UNION in Europa.

    • @Nico Frank:

      die Briten, zumindest die, die für den Brexit gestimmt haben, fanden das die EU noch zu viele Werte hat...



      got it?

    • 0G
      06313 (Profil gelöscht)
      @Nico Frank:

      Sie meinen also, dass die Briten den Brexit gewollt haben, weil die EU keine Wertegemeinschaft ist? Wieviel Flüchtlinge haben denn die Briten denn nach dem Brexit aufgenommen? Die Einwanderung von EU-Bürgern, vor allem aus Polen und anderen ehemaligen Ostblockstaaten, war eines der Hauptgründe, warum die Brexiteers nach dem Brexit schrien. Der Ausländerhass hat in Britannien extrem zugenommen und spiegelte sich in der EU-Feindlichkeit.

  • Wo liegt der Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit? Laut UN Verträgen gibt es nur ein Recht auf Ausreise und nicht auf Einreise. Straffrei einreisen darf nach Artikel 31 der Genfer Flüchtlingskonvention nur, wer aus einem Land einreist, in dem ihm Gefahr für sein Leben oder seine Freiheit droht. Das ist bei der Türkei nicht der Fall.

    • @kamera mann:

      ein "Recht auf Ausreise" hat ohne ein "Recht auf Einreise" keinen inhalt und kann nicht ausgeübt werden .Ausserdem ist die "Einreise " keine straftat,wie es Ihre rede von "straffrei einreisen" suggeriert ,und darf auch nicht dazu erklärt werden.



      insbesondere das strafgesetzbuch darf keine unterschiede zwischen den menschen machen und sie nicht nach ihrer herkunft diskriminieren.denn vor dem gesetz sind wie es auch im grundgesetz heisst und wie die vernunft lehrt alle menschen gleich



      Sie sollten mal lesen was der philosoph Immanuel Kant dazu geschrieben hat.

      www.ksta.de/politi...echtlinge-23389074

  • Danke für diese klare und gleichzeitig sehr engagierte Analyse.

    • @tomás zerolo:

      Ich schließe mich an.

      Die EU hat die Menschenrechte teilbar gemacht. Für uns gelten sie, für die Flüchtlinge dort nicht.

      Ihrer Unteilbarkeit beraubt, verlieren sie ihre Bedeutung.

      • @Jim Hawkins:

        Gelten die Menschenrechte auch für die Türkei und die Ölscheichs? Warum handeln die nicht danach?

        • @El-ahrairah:

          Nein, die sind befreit.

          Hallo?

          Bloss weil Ihr Nachbar vielleicht jemanden eins über die Rübe gibt fühlen Sie sich berechtigt, dasselbe zu tun?

          • @tomás zerolo:

            Wenn ich es denn getan hätte, warum werde nur ich deswegen vollgekeift? Wegen der Hautfarbe?

  • Die EU hat keine Legitimationskrise.

    Verpflichtete sind allein die jeweiligen Mitgliedsstaaten der EU, nicht die EU selbst. Kommen die betroffenen Mitgliedsstaaten ihren Pflichten nicht nach, sind die übrigen Mitgliedsstaaten oder die EU als Ganzes nicht einstandspflichtig.

    Schengen und Dublin regeln klar und eindeutig, wer für die Grenzsicherung und Durchführung von Asylverfahren zuständig ist.

    Ferner gelten die Regeln der EU natürlich nur innerhalb der EU. Steht man außerhalb, kann man keine Rehcte geltend machen. Hierzu hat der EMRK bereist mehrfach geurteilt (insbesondere kein Anspruch auf humaitäres Visum, kein Anspruch auf Asyl bei gewaltsamer überschreitung von Grenzen, u.s.w.).

    Und wenn die EU dann zukünftig andere Länder wegen deren Politik nicht mehr maßregeln kann ist das um so besser. Dieser ständig erhobene Zeigefinger nervt ganz gewaltig.

    • @DiMa:

      so ist es: "Die EU hat keine Legitimationskrise.



      Verpflichtete sind allein die jeweiligen Mitgliedsstaaten der EU, nicht die EU selbst. Kommen die betroffenen Mitgliedsstaaten ihren Pflichten nicht nach, sind die übrigen Mitgliedsstaaten oder die EU als Ganzes nicht einstandspflichtig."

  • ja, macht Europas Grenzen dicht, für all die Rohstoffe, Nahrungsmittel, Produkte, Manager, Wirtschaftsberater, Waffen ...



    Nach 14 Tagen praktischer Bildung in Sachen Versorgung, weltweiter Arbeitsteilung und weltweitem Austausch kann die Diskussion eröffnet werden darüber, wie eine gerechte und humane Welt aussehen kann. Für das neoliberale Projekt Europa haben die Lernenden dann wahrscheinlich nur noch ein bitteres Grinsen übrig.

  • Es ist einfach, die Schuld den Politikerm zuzuschieben, aber was soll die EU denn machen? Wenn wir die faschistoiden Wutbürger, die Wohlstandsbesorgten Leidignoranzbürger und die aktualhypigen 5-Min-Gedächtnisbürger inlk. Endlich-Ruhe-im-Karton Despotenverstehern sowie die fundamentalistischen über Leichen gehenden Thoughts-and-Prayers Pazifisten zusammenrechnen, dann haben wir eine klare Mehrheit fürs Wegschauen und Aussitzen.



    Leider verfiel Europa nach dem kurzen Erwachen während der Kosovokrise wieder laut labernden Nichtstun.



    Und nun? EU veenichten, weil sie den Maximalforderungen der Nationalisten und der Salonphilantrophen nicht entspricht?



    Die Neofaschos bekomnem EU-weit Massen auf die Straße und ins Wahllokal, wenn man wirklich etwas machen für die Flüchtlinge will, müssten wur alle hinfahren und helfen. Die paar Morgenrote Schläger würden doch in der geballten Masse europäischer Hilfbereiter untergehen.



    Doch halt, ich hab die Perfekte Ausrede: Coronapanik!

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Ein Kommentar für Menschen, die einfache Erklärungen suchen oder sich mit solchen zufrieden geben.

    Die Gemengelage ist komplexer als die Äußerungen von Herrn Schulte zum Thema dies vermuten lassen.

    Herrn Erdogan ist sicherlich für vieles zu kritisieren. Dass die mediale und politische Aufmerksamkeit in der EU erst einsetzt, als Tausende Flüchtlinge an der griechisch-türkischen Grenze stehen, liegt in der Verantwortung ALLER Akteure, nicht allein von Erdogan.

    Wochen und Monate vorher standen Millionen an der syrisch-türkischen Grenze. Wer hat sich dafür sichtbar interessiert?

    Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

  • Ich bin etwas irritiert.



    Die Menschen dort leben. Die EU tastet ihre Würde nicht an. Und sie sind körperlich und geistig unversehrt. Die Nennung von Menschenrechten ist in diesem Zusammenhang vollkommen unangebracht. Das wäre anders, wenn die Menschenrechte lauten würden: Jeder Mensch hat das Recht auf Migration in beliebige Staaten. So lauten die Menschenrechte aber nicht. Zudem muss die EU politisch vorsichtig sein. Die Schleusen in Griechenland zu öffnen und so kurzfristig 4 weitere Millionen Menschen mit mehr als bescheidenen Asylchancen einzulassen, wird die Gesellschaft hart nach rechts rücken lassen. Zuerst in Frankreich, wo Le Pen bereits in den Startlöchern sitzt. Dieser Rechtsruck wird die EU als solche zerreissen. Es ist Selbstschutz geboten.

    • @Jan Ströher:

      Jeder Mensch darf einen Asylantrag stellen. Wenn das nicht mehr geht, weil die Personen vorher zurückgeschoben werden, wie es jetzt passiert, dann ist das Asylrecht faktisch aufgehoben. Angesichts staazlicher Verfolgung durch Assad hätten viele Asylanträge wohl Chancen.

    • @Jan Ströher:

      Was sich derzeit an der Grenze abspielt, ist schon ein Rechtsverstoß. Allerdings glaube ich auch nicht, dass die Krise kleiner wäre, wenn täglich Tausende über eine offene Grenze nach Griechenland einwandern. Und die Gespräche mit Erdogan wären unter solchen Verhältnissen noch schwieriger. Er hätte die EU dann da, wo er sie haben möchte. Ich denke, es muss bald eine Lösung gefunden werden. Dieser Rechtsverstoß kann nicht lange so weitergehen und er schadet allen.

    • @Jan Ströher:

      Dazu ein Zitat aus dem Kommentar: „ Und im nächsten Europawahlkampf singen wir dann alle wieder das Loblied auf die EU? Auf den demokratischen Staatenbund, der Frieden und Wohlstand auf dem Kontinent garantiert...“



      Genau! Frieden und Wohlstand für den Kontinent. Von der ganzen Welt ist da keine Rede. Es ist in diesen Zeiten schon schwer genug, intern Einigkeit zu erzielen und somit den europäischen Bürgern zu dienen. Das Letzte, was wir aktuell brauchen, sind noch mehr Streitigkeiten und das weitere Erstarken EU-feindlicher Parteien. Wer die EU erhalten möchte, muss damit leben, dass dafür die Außengrenzen geschützt werden. Man kann nicht immer alles haben. Wer hier wirklich dringend unserer Hilfe Bedarf sind die Griechen und ganz besonders die Einheimischen auf den Inseln. Sie baden es aus, was seit 2015 alles versäumt wurde.

      • @Franz Strauß:

        "Genau! Frieden und Wohlstand für den Kontinent. Von der ganzen Welt ist da keine Rede. "

        bei mir schon.Ich will aus der eu auf dem einzigen möglichen weg -dass heisst durch den endgültigen oder vorläufigen ausschluss solcher staaten die dafür zu reaktionär und nationalistisch sind einen souveränen



        vom kapital nicht erpressbaren standortkonkurrenzlogiken völlig unzugänglichen globalen bundesstaat im dienst der sozialen gerechtigkeit des friedens des klimaschutzes und der bewahrung der schöpfung machen.

      • @Franz Strauß:

        Die Menschenrechte sind universell. Dabei die Rechte des einen gegen die des anderen auszuspielen, konterkariert diese universelle Geltung. Und wenn (auch deutsche) Polizisten im Namen der EU dort Gewalt gegen Menschen anwenden, dann ist das natürlich auch an den von der EU proklamierten Grundrechten zu messen, anderes zu behaupten, ist hanebüchen.

        "Die Menschen dort leben." - Und genau darin erschöpft sich die Menschenwürde nicht, in weiß Gott welcher Existenz, Hauptsache am Leben. Recherchieren sie mal die Objektformel. Wenn Menschen ohne individuelle Anhörung, ohne Berücksichtigung der Einzigartigkeit ihres Falles mit Gewalt zurückgehalten werden, als wären sie eine "Welle" oder "Waffen", liegt eine Missachtung ihrer Würde extrem nahe.

        Wenn wir die Werte aufgeben, die uns ausmachen, was schützen wir dann vor unbewaffneten Menschen an der Grenze? Nicht mehr und nicht weniger als unsere eigenen Privilegien, unser Schlaraffenland (das ja eben nicht erstrebenswert ist, so die Moral von der Geschicht). Der Kommentar von Herrn Schulte beginnt nicht von ungefähr mit "In der Krise zeigt sich, wer man ist." Wenn Haltung und Mitgefühl einfach wären, wären sie nichts wert. Und es kostet uns denkbar wenig, Menschen, die alles verloren haben, mit dem Nötigsten zu versorgen. Dass dabei das notwendige Mindestmaß an demokratischem Konsens verloren gehen würde, sehe ich ehrlich gesagt nicht. Es ist eine laute Minderheit, die da schreit, und nur aus Angst überholt die sog. Mitte die AfD gerade rechtsaußen (entschuldigen Sie die Floskel). Einigkeit im Dinge von Uniformität gibt es nur in faschistischen oder kommunistischen Diktaturen, alles andere ist harte, immerwährende Arbeit.

  • Wird man über die gezielten Schüsse auf Flüchtlinge im EU-Ministerrat dann auch bald Lobeshymden auf griechische und Frontexsoldaten hören wie dereinst in Posen: Es wäre "ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte“ , und dabei noch „anständig geblieben zu sein"? So hat es Himmler seinen Helfern erklärt. Auf welche abschüssige Bahn sind wir da nun dank AfD-Politik geraten? Müssen wir nun auch Presse- und Redefreiheit beschneiden, um das Morden vor unserer gutwilligen Bevölkerung zu vertuschen? Das ist eine absolute moralische und politische Sackgasse! Schneller kann man Europa nicht zerstören, wir haben aus dem Schierlingsbecher getrunken.

  • "kann nun feixend kritisieren, dass die EU selbst die Menschenrechte mit Füßen tritt. Das Fürchterliche ist, dass man ihm nicht mehr widersprechen mag."

    Tja, leider ist diese Feststellung zu 100% richtig.



    Und da stellt sich die Frage, was ist meine Rolle in dem Spiel: gewählt habe ich diese Politik nicht. Und in unserer Rechtsordnung ist etwas nicht wählen das einzige was man legal tun kann. Trotzdem bürdet man mir diese Schande auf. Werden spätere Generationen über mich richten? Bin ich ein Mitläufer weil ich nichts aktiv gegen diese Verbrechen an der Menschlichkeit meiner Regierung unternehme?

    Seien wir ehrlich, Protest äußern, für Petitionen stimmen, das geht unseren christlichen, rechten Konservativen sowas von am Ar.... vorbei. Die ziehen Ihr Ding durch. Egal wie viele dieser armen Menschen leiden und oder sterben werden!