Finanzpolitik unter Christian Lindner: Koalitionsvertrag ohne Preisschild
Die Ampel wird sich ums Geld streiten, denn da bleibt das Bündnis vage. Und FDP-Chef Lindner ist als Finanzminister eine komplette Fehlbesetzung.
W ie lange hält die Ampel? Diese Frage beschäftigt nicht nur das Publikum, sondern auch die Koalitionäre. Der künftige Kanzler Scholz und FDP-Chef Lindner betonen stets, dass sie auf mehrere Amtszeiten zielen. Die Ampel soll kein Experiment sein, sondern eine strategische Option auf Dauer.
Das ist vernünftig. In den nächsten Landtagswahlen würden die Ampelparteien abgestraft, wenn die Bundesregierung wie eine chaotische Notlösung wirkte. Bleibt nur ein Problem: der Koalitionsvertrag. Er wird für sehr viel Ampelärger sorgen, obwohl es zunächst so scheint, als würde er halten, was der Titel „Mehr Fortschritt wagen“ verspricht. Unter anderem soll es mehr Ökostrom, mehr Bahn, mehr E-Autos, mehr Wohnungen, mehr Bafög und eine Grundsicherung für Kinder geben.
Doch leider fehlen die Preisschilder. Nirgends wird erwähnt, wie viel die einzelnen Maßnahmen kosten sollen. Das muss noch ausgefochten werden. In Wahrheit hat sich die Ampel gar nicht auf ein endgültiges Programm geeinigt – sondern den Streit nur verschoben. Im Text stehen Ziele, aber keine Wege. Unklar ist auch, wo das nötige Geld herkommen soll. Natürlich finden sich Andeutungen im Text, aber sie sind zwischen den Zeilen versteckt und meist allein für Finanzexperten verständlich. Die Ampel verkündet permanent, dass sie miteinander „auf Augenhöhe“ regieren will, aber die WählerInnen sind von diesem Versprechen ausgeschlossen.
Da Preisschilder fehlen, ist es einfach, Unwahrheiten zu verbreiten. Eine erste Kostprobe gab Lindner gleich beim Start ab, als er bei der Präsentation des Koalitionsvertrags seine Sicht darlegte: Ziel sei es, „die breite Mitte zu entlasten“. Das ist Unsinn. Die „Mitte“ kommt in dem Papier nirgends vor und wird auch nicht profitieren. Stattdessen werden vor allem die Unternehmer entlastet, die ihre Steuerlast drücken können und damit Milliarden geschenkt bekommen.
Für die Firmen gibt es 2022 und 2023 eine „Superabschreibung“, wenn sie in „Klimaschutz“ oder „digitale Wirtschaftsgüter“ investieren. Beide Begriffe sind so dehnbar, dass es den Betrieben nicht schwerfallen wird, fast alle Anschaffungen abzusetzen.
Die FDP hat also „geliefert“ und ihre Klientel bedient. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schätzt, dass dieses Geschenk bis zu 40 Milliarden Euro kosten könnte.
Eine Gegenfinanzierung gibt es nicht. Die FDP hat Steuererhöhungen strikt ausgeschlossen und dies auch durchgesetzt. SPD und Grüne wollten eigentlich eine Vermögenssteuer von 1 Prozent einführen sowie die Spitzensätze bei der Einkommenssteuer erhöhen, um die unteren Schichten zu entlasten. Davon ist nichts übrig. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass Steuererhöhungen sowieso unmöglich gewesen wären, weil der Bundesrat zustimmen muss – wo die Union eine Vetomacht hat.
Wenn aber Steuererhöhungen von vornherein ausgeschlossen sind, ist es von Grünen und SPD erst recht fahrlässig, die Unternehmen mit Milliardengeschenken zu beglücken. Dieses Geld wird für andere Ampelprojekte schmerzhaft fehlen. Zunächst wirkt es kurios, dass die FDP ihre Klientel beschenkt, ohne eine Gegenfinanzierung zu bieten. Denn die Liberalen gerieren sich stets als Hüter der Schuldenbremse, die für eine schwarze Null sorgen. Als der Koalitionsvertrag vorgestellt wurde, pries sich Lindner hemmungslos als „Anwalt solider Finanzen“. Das war die zweite Lüge. Der FDP sind ausgeglichene Haushalte egal, solange die Reichen beschenkt werden.
Während also die Einnahmen durch Steuergeschenke sinken, sollen die Staatsausgaben deutlich steigen. Das geplante „Jahrzehnt der Investitionen“ (Scholz) wird nämlich sehr teuer, wie die Ampel selbst zugibt. Wo das Geld herkommt, wollte Grünen-Chef Habeck lieber nicht erläutern, als das Papier vorgestellt wurde. Knapp sagte er nur: „Wir wissen genau, wie wir es bezahlen.“
Unklare Finanzierung
Zwischen den Zeilen wird deutlich, dass die Ampel vor allem auf vier Tricks setzt, um die nötigen Milliarden herbeizuschaufeln. Erstens: Die Coronaschulden von derzeit 371 Milliarden Euro werden nicht bis 2042 getilgt, wie es die Schuldenbremse bisher vorsah. Stattdessen wird der Zeitraum bis 2058 gestreckt. Pro Jahr muss also deutlich weniger zurückgezahlt werden.
Zweitens: Im Jahr 2021 wurden nicht alle Coronakredite aufgebraucht, sodass die restlichen Milliarden nun in einen „Klima- und Transaktionsfonds“ fließen. Nächstes Jahr soll dieser Trick wiederholt werden – indem die Ampel wegen der Pandemie auch für 2022 eine „außergewöhnliche Notsituation“ ausruft. Diese Milliarden könnten dann erneut zum Teil in den Klimaschutz fließen.
Drittens: Die Kriterien der Schuldenbremse werden verändert, damit der Staat auch im regulären Betrieb mehr Kredite aufnehmen kann. Die Details sind aber zu kompliziert, um sie hier zu erklären.
Viertens: Es entstehen Schattenhaushalte. Nicht der Staat nimmt die Kredite auf, sondern öffentliche Unternehmen verschulden sich, um zu investieren. Ein gutes Beispiel ist die Deutsche Bahn: Bis 2030 soll sie doppelt so viele Personen befördern wie heute und nach einem „Deutschlandtakt“ fahren, was für die wichtigsten Verbindungen einen Zug pro halbe Stunde bedeutet. Gleichzeitig sollen mehr Städte einen ICE-Anschluss erhalten und diverse Strecken neu eröffnet werden. Diese Ziele sind alle richtig – und kosten Milliarden. Also soll sich die Bahn verschulden.
Kredite sind auch nötig, um die geplanten 100.000 öffentlich geförderten Wohnungen pro Jahr zu bauen. Diese Schulden sollen unter anderem bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben landen.
Signal an die FDP-Basis
Ähnlich dürfte es bei den Ladestationen für E-Autos laufen. Derzeit gibt es in Deutschland knapp 50.000 Ladesäulen, wie die Bundesnetzagentur meldet. Es werden aber eine Million davon gebraucht, wenn bis 2030 etwa 15 Millionen E-Autos auf den Straßen rollen sollen. Die nötigen Ladesäulen werden jedoch kaum privat entstehen, weil sich ein Henne-Ei-Problem ergibt: Ladesäulen lohnen sich nur, wenn dort E-Autos tanken. E-Autos werden aber nur gekauft, wenn die Ladesäulen schon existieren. Also dürfte mal wieder der Staat einspringen und Ladesäulen errichten – mit einem eigenen Unternehmen.
Diese Schattenhaushalte machen viele Liberale nervös, die dem Staat misstrauen und eine Lizenz zum Gelddrucken wittern. Daher war es folgerichtig, dass Christian Lindner unbedingt Finanzminister werden wollte. Er muss seiner Basis signalisieren, dass er die Ausgaben kontrolliert. Schon vor der Wahl zog er „rote Linien“ und kündigte an, dass er „öfter Nein sagen“ werde, wenn SPD und Grüne mit ihren Wünschen kommen.
Konflikte sind also programmiert – zumal ja die Preisschilder fehlen. Als Finanzminister wäre ein leiser Stratege und Moderator gefragt, doch Lindner hat einen starken Geltungsdrang und neigt zum Autoritären. Außerdem ist er schnell gekränkt, wenn sein Image leidet. Die Persiflage „Alle 11 Sekunden verliebt sich ein Liberaler in sich selbst“ des NDR-Satiremagazins Extra 3 war ja nur deswegen so lustig, weil sie absolut zutrifft. Dieses enorme Selbstbewusstsein ist aber nicht durch irgendeine Regierungserfahrung gestützt. Lindner war noch nie Minister. Damit diese fehlende Kompetenz nicht auffällt, dürfte er noch mehr „rote Linien“ ziehen.
Für die Ampel ist es zudem eine Bürde, dass Lindner aus Nordrhein-Westfalen stammt. Denn die NRW-Liberalen haben allesamt den Eindruck, dass Koalitionen stets so funktionieren, wie sie es unter Armin Laschet erlebt haben, der ab 2017 in Düsseldorf regiert hat und dann 2021 als CDU-Kanzlerkandidat gescheitert ist. In NRW hatte Laschet kaum eigene Pläne, sondern machte gern, was die FDP vorschlug. Laschet wollte nicht so sehr regieren, sondern auch feiern. In der Sendung „Maischberger“ hat er kürzlich erzählt, was er als Ministerpräsident so schön fand: „Man ist Regierungschef eines großen Landes, aber man ist auch Repräsentant dieses Landes, trifft sehr viele Menschen im Ehrenamt, hat viele festliche Ereignisse, wo der Ministerpräsident gefragt ist.“
Lindner macht sich angreifbar
Laschets Gute-Laune-Programm hat bei der FDP den Eindruck hinterlassen, dass Regieren heißt, dass die Liberalen zu 100 Prozent bestimmen – obwohl sie bei der Bundestagswahl nur 11,5 Prozent erzielten. Dieses autoritäre Gehabe erzeugt bei vielen Wählern momentan den Eindruck, dass sich die Liberalen beim Ampelvertrag durchgesetzt hätten.
Für die Liberalen kann es jedoch gefährlich werden, dass Lindner so unbedingt Finanzminister werden wollte. Das Amt ist heikel. Selbst ein gewiefter Politiker wie Olaf Scholz kam mehrfach in Bedrängnis, weil nicht zu überblicken ist, was in den nachgeordneten Behörden schiefläuft. Besonders krisenanfällig ist die Bankenaufsicht Bafin, die unter anderem beim Wirecard-Skandal durchgängig gepennt hat. Schwierig ist auch der Zoll, weil er nebenher für Schwarzarbeit und Geldwäsche zuständig ist. Die Steuerkriminalität ist ebenfalls ein Problem, über das ein Finanzminister eventuell stolpern kann. Es wirkt gewagt, dass sich Regierungsneuling Lindner dieses Amt zumutet.
Für den neuen Finanzminister könnte auch gefährlich werden, dass er ausgerechnet Scholz beerbt, der das Haus fest im Griff hatte. Durch diese langjährigen Kontakte wird Scholz auch als Kanzler bestens informiert sein, was im Finanzministerium passiert – und was schiefläuft. Das macht Lindner angreifbar und erpressbar.
Aber vielleicht lernt Lindner ja dazu und verzichtet künftig darauf, ständig rote Linien zu formulieren. Dann kann die Ampel halten.
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