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Fall Oury JallohBrandsimulation stützt Mordthese

Ein Sachverständiger hat den Brand in der Dessauer Polizeizelle originalgetreu simuliert – mit einem eindeutigen Ergebnis.

Mahnwache für Oury Jalloh vor der Landesvertretung Sachsen-Anhalt in Berlin am 7.1.2021 Foto: Florian Boillot

Berlin taz Die Details waren bekannt, so zu sehen waren sie noch nie: Fast 17 Jahre nach dem Tod des Sierra Leoners Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle hat eine private Initiative einen Film über die detailgetreue Nachstellung des Brandes präsentiert. Die zeigt, dass der an Händen und Füßen gefesselte Jalloh vor seinem Tod mit Brandbeschleuniger übergossen, also ermordet worden sein muss. Nur so, sagte der britische Sachverständige Iain Peck bei der Präsentation des Films am Mittwoch in Berlin, sei der Grad der Verbrennung in der Zelle erklärbar.

In einer aufwändigen Rekonstruktion hatte ein Team um Peck die Zelle Nummer 5 im Dessauer Polizeirevier nachgebaut. In Auftrag gegeben hatte dies die Initiative Gedenken an Oury Jalloh, die dessen Familie beim Klageverfahren unterstützt. Um die Brandeigenschaften eines menschlichen Körpers zu simulieren, ließ Peck Schweinehaut und Schweinefleisch auf ein Plastikskelett nähen. Dem Dummy wurde die gleiche Kleidung angezogen, wie Jalloh sie am Tag seines Todes trug: eine schwarze Cordhose und ein weißes T-Shirt.

30 Minuten lang ließ Peck das Feuer lodern – genau so viel Zeit war 2005 zwischen dem Feueralarm und dem Eintreffen der Feuerwehr in der Zelle vergangen. Schließlich, und das ist wohl das Entscheidende, übergoss Peck die Matratze mit 2,5 Litern Benzin. „Wir wissen nicht, welcher Brandbeschleuniger beim realen Brand verwendet wurde, und wir können die genaue Menge nicht bestimmen“, sagte Peck am Mittwoch. Klar sei aber, dass solcher zum Einsatz gekommen sein muss. „Das bloße Entzünden der Matratze oder der Kleidung würde niemals einen solchen Grad an Verkohlung nach sich ziehen.“

Die Initiative stellte am Mittwoch Bilder vom ausgebrannten Zellennachbau und stellte diese neben das – aus bis heute ungeklärten Gründen abgebrochene – Tatortvideo der sachsen-anhaltischen Polizei. Nach Aussage Pecks entspricht der darauf zu erkennende Zustand der Zellwände, der Matratze sowie der Leiche Jallohs weitgehend jenem seiner Simulation. „Ich bin sehr zufrieden mit dem Grad an Übereinstimmung, den wir erzielen konnten.“

Alle Verfahren eingestellt

Die Staatsanwaltschaft hatte während mehrerer Gerichtsverfahren lange auf eine Brandsimulation verzichtet. 2013 beauftragte die Initiative deshalb einen ersten Brandgutachter. Der stellte bereits damals fest: So restlos verkohlt, wie Jallohs Leiche war, muss Brandbeschleuniger verwendet worden sein. Der Dessauer Oberstaatsanwalt Folker Bittmann sprach damals von „sehr ernsten, überraschenden und zum Teil erschreckenden Informationen“. Drei Jahre später, im August 2016, ließ die Staatsanwaltschaft einen Brandversuch am Institut für Brand- und Löschforschung im sächsischen Dippoldiswalde durchführen. Dessen Anordnung wich in einer Reihe von Punkten allerdings von den Bedingungen im Polizeirevier ab.

Bald darauf aber schreibt Bittmann in einem Aktenvermerk, er gehe davon aus, dass Jalloh bereits vor Ausbruch des Feuers „mindestens handlungsunfähig oder sogar schon tot“ war. Vermutlich sei er mit Brandbeschleuniger besprüht und angezündet worden. Dies legten sechs Gutachter nahe, die Bittmann konsultierte.

Das Motiv könnte nach Auffassung Bittmanns gewesen sein, dass dem Asylbewerber zuvor zugefügte Verletzungen vertuscht werden sollten. Der Staatsanwalt benennt konkrete Verdächtige aus den Reihen der Dessauer Polizei. Die aber sind bis heute unbehelligt – der Fall wurde Bittmann entzogen, alle Verfahren wurden eingestellt. Die Justiz geht offiziell davon aus, dass Jalloh sich selbst mit einem Feuerzeug anzündete, das bei seiner Durchsuchung übersehen worden war.

„Die Einstellung des Verfahrens ist in keinem Punkt nachvollziehbar“, sagte am Mittwoch Nadine Saeed von der Initiative. „Alle Sachverständigen kamen aus wissenschaftlicher Sicht immer zum gleichen Ergebnis: dass ausgeschlossen ist, dass er sich selbst angezündet hat.“ Die Behauptung der Politik, der Fall könne heute nicht mehr aufgeklärt werden, sei falsch. Die Täter seien namentlich bekannt.

Klage vor Verfassungsgericht

Beim Bundesverfassungsgericht ist ein sogenanntes Klage­er­zwin­gungsverfahren anhängig. Es richtet sich gegen eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg. Das hatte im Oktober 2019 entschieden, dass es rechtens sei, dass ein Mordermittlungsverfahren zuvor eingestellt wurde. Saeed sagte, die Initiative werde auf Grundlage des neuen Gutachtens von Peck rechtliche Schritte einleiten, unter anderem eine Anzeige wegen „Strafvereitelung im Amt“ stellen.

Zudem appellierte sie an den Generalbundesanwalt, den Fall doch noch an sich zu ziehen. Man habe in den vergangenen Jahren gelernt, dass man die Justiz zu nichts zwingen könne – außer dazu, „ihre Lügen immer weiter zu spinnen“, so Nadine Saeed.

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29 Kommentare

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  • Ich sage es nicht zum ersten mal, aber wir legen zu sehr den Fokus auf den Rassismus Teil.



    Dadurch bekommt das Systemische Problem der Behörden kaum Aufmerksamkeit und die Forderungen der einzelnen Bewegungen werden gespalten.

    Dieser Fall zeigt, wie viele andere, dass es eine unabhängige Strafverfolgungs und Ermittlungseinheit gegen Polizisten geben muss.

    Es kann schlicht nicht sein, dass Kollegen gegen Kollegen ermitteln die sich kennen, befreundet sind, oder später wieder aufeinander angewiesen (Serpico ist dazu ein echt guter Film).

    Der Rassismus Teil muss sich nachher empfindlich beim Strafmaß wiederfinden, wie alle Hass Verbrechen müsste es bei einem Schuldspruch die automatische Entfernung aus dem Dienst und z.B. eine verdoppelung der Strafe nach sich ziehen.

  • "Dieser [der Rechtsstaat] scheint für Menschen wie Jalou nicht zu gelten."

    Bis hierhin kann ich Ihren Beitrag unterschreiben. Aber an der Stelle biegen Sie meiner Meinung nach falsch ab.

    Zum einen ist der Rechtsstaat immer noch mit diesem Fall beschäftigt, siehe der Hinweis auf das Klage­erz­win­gungsverfahren im Artikel. Auch die genannte Initiative sitzt nicht locker und wird alles tun, das das Verfahren wieder aufgenommen wird.

    Zum anderen ist fraglich, ob ein Fall eines hypothetischer Kevin Musternicht, 37 Jahre alt, deutsch, weiß, geboren in Dessau, der Justiz bekannt durch Drogenkonsum und -handel, der durch einen Brand in Untersuchungshaft stirbt, eine ähnliche Aufmerksamkeit erhielte - sowohl von den Behörden als auch den Medien und der Gesellschaft.

    Sie sprechen im Prinzip ein großes Problem an: Rechtssicherheit. Die Gesetzgebung ist in nahezu allen Belangen dermaßen komplex und teils widersprüchlich, dass man im Ernstfall ohne teure anwaltliche Expertise auf verlorenem Posten kämpft. An dieser Stelle kommt Geld ins Spiel. Wer es hat, kann sich direkt gut vertreten lassen. Wer es nicht hat, bekommt bestenfalls mediale Aufmerksamkeit, die genutzt beispielsweise werden kann, um das nötige Geld zu generieren. Und es mag zynisch klingen, aber an dieser Stelle stehen die Erfolgschancen bei vermeintlicher rassistisch motivierter Polizeigewalt wahrscheinlich nicht schlecht.

    Über diese Problematik ließe sich noch viel ausschweifender debattieren, aber das führt hier zu weit. Der Fall Oury Jalloh wirft sicherlich kein gutes Licht auf den deutschen Rechtsstaat.

  • Wurde in dieser Brandsimulation ebenfalls kein Brandbeschleuniger nachgewiesen?

    • @Rudolf Fissner:

      Wieso "ebenfalls kein Brandbeschleuniger nachgewiesen"? Wurde denn bei der ursprünglichen Beweisaufnahme vor fast 17 Jahren überhaupt eine Untersuchung auf Brandbeschleuniger vorgenommen? Später waren dann doch die Beweise, um dies noch nachzuweisen, unbrauchbar.

      • @Jonas Goldstein:

        Ja. Es konnte keiner festgestellt werden. Das muss eine Simulation mit Brandbeschleuniger natürlich auch aufzeigen.

    • @Rudolf Fissner:

      Ein Nachweis hinsichtlich Brandbeschleuniger wurde doch nie geführt:



      „Infolge eines erneuten Brandgutachtens, das ausschloss, dass Oury Jalloh sich und seine Matratze selbst angezündet habe, leitete die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau im April 2014 erneut ein Ermittlungsverfahren ein. Das ARD-Magazin Monitor berichtete im November 2017, die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau halte mittlerweile stattdessen den Einsatz von Brandbeschleuniger und die Beteiligung Dritter für wahrscheinlich. Der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau war das Verfahren jedoch entzogen und an die Staatsanwaltschaft Halle übergeben worden. Diese stellte das Verfahren im Oktober 2017 mangels Tatverdacht gegen Dritte und weil „eine weitere Aufklärung nicht zu erwarten“ sei ein.“

      „Ein neues forensisches Gutachten des Radiologieprofessors Boris Bodelle vom Universitätsklinikum Frankfurt kam im Oktober 2019 zu dem Ergebnis, dass Oury Jalloh vor seinem Tod schwer misshandelt wurde.“ (Wikipedia)

    • @Rudolf Fissner:

      Wenn Sie den Artikel gelesen haben wissen Sie, dass nachgewiesen wurde, dass ein Brand beschleuniger benutzt worden sein muss.

      • @Mainzerin:

        Süddeutsche: "Dass kein Brandbeschleuniger nachgewiesen wurde, belege nicht, dass es keinen gab. Eine Nachstellung der Szene mit "zwei Litern Benzin" komme dem Brandergebnis am nächsten. Insgesamt "erscheint es mir wahrscheinlicher, dass eine dritte Person das Feuer entzündet hat", so Peck [Der im Artikel genannte Sachverständige]. Ein weiterer Forensiker sagte hingegen, es gebe "keine belastbaren Schlüsse" auf Brandbeschleuniger. " www.sueddeutsche.d...heinlich-1.2710537

        Von absoluten Wahrheiten spricht der Sachverständige Pack also nicht. Und der Artikel lässt den Leser im unklaren darüber ob er seine Simulation auch dahingehend überprüft hat, ob der von ihm verwendete Brandbeschleuniger danach nicht mehr nachweisbar war.

        • @Rudolf Fissner:

          Tatsache ist, dass man erst gar nicht auf Brandbeschleuniger - die hier ja ganz offensichtlich verwendet worden sein müssen - untersucht hat. Stattdessen hat man das Verfahren lieber ganz schnell eingestellt. Auch diese völlig unprofessionelle Art des Umgangs mit Beweismitteln ist geradezu typisch in Fällen, wo Polizisten als Tatverdächtige infrage kommen.

  • why?

  • Zitat:"...sie waren Faschisten, sie sind Faschisten und werden immer welche bleiben..."!

  • Das der Mann sich irgendwie selbst angezündet haben könnte, ist doch ohnehin vollkommen unglaubwürdig. Mord verjährt nicht, aber dass manche Mörder sogar von der Justiz gedeckt werden, hat in diesem Land durchaus schon eine lange Tradition.



    Der Polizist, der Benno Ohnesorg damals aus kurzer Distanz gezielt in den Hinterkopf schoss, wurde auch nie belangt.

    de.wikipedia.org/wiki/Benno_Ohnesorg

  • Wie Mick Jagger schon sang "every cop is a criminal".



    Über die Justiz gab es leider keine Liedzeile.



    Mich wundert es übrigens, dass einige Kommentatoren aufgrund des Falls am Rechtsstaat zweifeln.



    Ich kann nicht nachvollziehen, dass man jemals an den Rechtsstaat geglaubt hat.

  • Herzlichen Dank für Eure unablässige Weiterbearbeitung, zur Aufklärung.



    Ihr werdet erfolgreich sein, und die Wahrheit finden und für alle begreifbar machen. Selbst für die Täter und deren Beschützer. Jalou wird Gerechtigkeit erfahren. Dieser Fall schreibt jetzt schon Rechtsgeschichte.



    Danke Euch im Namen unserer Gesellschaft.

    • 9G
      96177 (Profil gelöscht)
      @Sonnenhaus:

      schließe mich aus vollem Herzen an und werde erneut eine Spende an diesen unermüdlichen Haufen von Aufklärern absenden initiativeouryjall...press.com/spenden/

  • Zuerst wurde Oury Jalloh totgeschlagen, dann angezündet, um die Spuren zu vernichten.



    Das von den rassistischen Polizisten, von denen die afrikanischen Leute Dessaus seit langem berichteten.

  • Warum musste man für so einen Brandsachverständigen bis nach Großbritannien gehen? Gibt es soetwas in D nicht?

    • @Samvim:

      Fragen Sie das doch die Initiative. Eventuell wird es ja manchen deutschen Sachverständigem etwas heiß, wenn er da gegen die polizeilichen Behörden agiert? ;)

    • @Samvim:

      Doch.



      Die haben doch auch schon berichtet. Trotzdem wurde das Verfahren eingestellt.



      „Alle Sachverständigen kamen aus wissenschaftlicher Sicht immer zum gleichen Ergebnis: dass ausgeschlossen ist, dass er sich selbst angezündet hat.“



      Manchmal hat ein ausländischer Gutachter mehr Glaubwürdigkeit. Er steht schließlich nicht im Verdacht, da irgendwelche persönlichen Verstrickungen zu haben.

  • Jeder, der in die widerwärtigen Abgründe der menschlichen Seele gucken will, lese sich die Kommentare zu der entsprechenden Meldung bei welt.de durch.

  • Das ist ja nicht der einzige merkwürdige Fall der Polizeidirektion Dessau.



    1997: HANS-JÜRGEN ROSE



    2002: MARIO BICHTEMANN



    2005: OURY JALLOH



    2007: Man muss nicht alles sehen - Affäre



    2016: LI YANG JIE

    • 9G
      96177 (Profil gelöscht)
      @noctuaNigra:

      danke für die Zusammenstellung - Rechtsstaat wie aus dem Bilderbuch. Da bleibt einem die Luft weg vor soviel hingebungsvoller Fürsorge fürs Wohlergehen von Rechtsextremisten (2007: Man muss nicht alles sehen - Affäre) und anderen Straftätern und deren fest zum Täter stehenden, am Rechtsstaat zweifelnden Angehörigen (2016: LI YANG JIE) im Korps von Generalstaats- Oberstaatsanwälten, Polizei, Amtsärzten.

  • Was ich nicht verstehe ist wieso bei einem Todesfall, der unter so seltsamen Umständen geschieht und bei dem es seltsamerweise keine Videoaufnahmen gibt nicht alles mögliche versucht wird es aufzuklären.

    Es kommt das ungute Gefühl auf, dass das Leben eines Menschen, weniger Wert ist als die Ehre des Staates.

    Ehrlich gesagt lässt mich der ganze Prozess Ansicht am Rechtsstaat zweifeln.

    Dieser scheint für Menschen wie Jalou nicht zu gelten.



    Tja wäre er nur ein weißer. Oder noch besser der Sohn, die Tochter von jemandem der was zählt, von jemand reichem oder einer Politikerin. Die Untersuchungen hätten nicht von einem privaten Gutachten durchgeführt werden müssen!

    Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. Und manche gleicher.

    • @Obscuritas:

      aus meiner Sicht würde die Ehre des Staates mit einer endlich durcchgeführten lückenlosen Aufklärung dann doch noch so gerade gerettet.

      Und:

      Jedes Verfahren kann wieder aufgenommen werden, wenn sich unabweisbare neue Erkenntnisse ergeben.



      Dies scheint hier mit der jetzigen Untersuchung der Fall zu sein.

      • @Friderike Graebert:

        Da bin ich ganz der selben Meinung.

        Was die Motivation und der Grund für die Unlust wenn nicht gar Behinderungen der Ermittlungen ist mag ich nicht zu sagen.

        Selbstverständlich wäre eine Lücke lose Aufklärung besser, auch für die Gesichtswahrung der Polizei.

        Das hier ein Mord vertuscht werden soll und Kollegen gedeckt werden ist, nun mal leider die Alternative. Und leider glaube ich letzteres eher, meine Aussage war her ironischer Natur.

  • Nicht gerade ruhmreich für Staatsanwaltschaft/Polizei.

    Wieviele Gutachten braucht es denn noch?

    • @tomás zerolo:

      Es braucht exakt so lange neue Gutachten, bis eines das sagt, was die Staatsanwaltschaft / Polizei hören will.

    • @tomás zerolo:

      Ist jetzt nicht so das alle Gutachten hier gesagt hätten war Mord - im Gegenteil.

    • @tomás zerolo:

      Egal - Wieviele.



      Das Ergebnis steht eh fest.



      Was in D nicht sein darf, kann eben nicht sein!