piwik no script img

Expertin über Verhalten bei Wolfsbegegnung„Nicht weglaufen“

Kürzlich wurde ein Wolf in Hannover gesichtet. Nabu-Wolfsexpertin Marie Neuwald erklärt, warum so eine Begegnung für Menschen in der Regel ungefährlich ist.

Angst muss man vor ihm nicht haben: Wolf in der Stadt, hier in Berlin Foto: Heiko Anders / Nabu

taz: Frau Neuwald, kürzlich war in Hannover ein Wolfsrüde zu sehen. Ist das ungewöhnlich, wie so viele denken?

Marie Neuwald: Wir haben in Deutschland so gut wie kein Wolfsterritorium, das keine Siedlung einschließt. Wölfe werden oft so dargestellt, als bräuchten sie die Wildnis Alaskas, Sibiriens. Aber sie können sich gut an unsere Kulturlandschaft anpassen. Durch Städte ziehen sie jedoch nur auf Wanderung oder aus Versehen.

Aber sie suchen nicht aktiv den Menschen auf?

Das wäre sehr ungewöhnlich. Sie nutzen allerdings gern die menschliche Infrastruktur – Landstraßen, Dorfstraßen. Das ist energiesparender, als sich durch die Büsche zu schlagen. Dass ein Wolf mitten in einer Stadt gesichtet wird, kann vorkommen, ist aber äußerst unwahrscheinlich. Das sind dann meist junge Wölfe, die von ihrem Elternterritorium abwandern und sich verlaufen. Die Frage ist dann: Geht das Tier aktiv auf Menschen zu oder ist an seiner Körpersprache, seinem Bewegungsmuster, abzulesen, dass er aus der Stadt wieder raus will? Bei dem Wolf in Hannover scheint das der Fall gewesen zu sein.

Solche Begegnungen bereiten vielen Menschen Angst. Das ist grundlos, oder?

Die allermeisten solcher Begegnungen in Deutschland sind sehr unaufgeregt. Auch auf Waldwegen ist es nicht unnatürlich, dass der Wolf kurz stehen bleibt, um die Situation einzuschätzen. Danach geht er dann seines Weges.

Was sollte der Mensch tun, um unaufgeregt zu bleiben?

Das Wichtigste ist, Ruhe zu bewahren. Nicht weglaufen. Stehen bleiben und dem Wildtier die Möglichkeit geben, sich zurückzuziehen. Wer sich unwohl fühlt, kann sich groß machen, rufen, in die Hände klatschen. Eine Garantie, dass eine solche Situation unkritisch verläuft, gibt es natürlich nicht, aber das gilt genauso für das Wildschwein, das Haustier Hund. In den über 20 Jahren, die es in Deutschland Wölfe gibt, gab es kein aggressives Verhalten von Wölfen gegenüber Menschen. Wichtig ist, dass sie nicht lernen, dass die Nähe zu Menschen ihnen Vorteile bringt – etwa indem sie gefüttert werden.

Bild: Klemens Karkow
Im Interview: Marie Neuwald

ist Referentin für Wölfe und Beweidung beim Nabu-Bundesverband. Sie versucht insbesondere, den Herdenschutz voranzubringen.

Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies hat gesagt: „Junge Wölfe, die ihr Rudel verlassen und den Menschen nicht als Gefahr erfahren, können keine Scheu vor dem Menschen lernen.“ Heißt das, dass Wölfe den Menschen als Gefahr sehen sollten?

Es ist unnötig, Wölfen aktiv Angst vor dem Menschen beizubringen. Sie haben, wie die allermeisten Wildtiere, kein Interesse daran, ihm zu begegnen.

Aus der Jägerschaft kommt ja schnell die Forderung: Solche Tiere brauchen wir hier nicht, abschießen, fertig.

Man darf nicht alle Jäger über einen Kamm scheren. Ich kenne viele Jäger, die dagegen sind, dass Wölfe ins Jagdrecht aufgenommen werden. Wenn ein individueller Wolf eine Gefahr für den Menschen darstellt, wenn er ungewöhnliches Verhalten zeigt, kann er entnommen werden, aber das sind dann jeweils Einzelfälle. Auch wir als Nabu stellen die Sicherheit des Menschen an oberste Stelle.

Gerade das Land Niedersachsen ist sehr schnell damit, Abschüsse zu genehmigen.

Bei den Abschüssen ging es um Angriffe auf Weidetiere, nicht Menschen. Leider wirkt die Kommunikation dazu eher verschleiernd. Ein essenzieller Faktor für die Normalisierung des Umgangs mit Wölfen ist Transparenz, gemeinsamer Austausch. Gerade beim Umweltministerium in Hannover ist da noch viel Luft nach oben.

Mancher Jäger sagt ja auch: Die Wölfe fressen den Wald leer.

Eine unbegründete Sorge. Nehmen wir ein durchschnittliches Rudel von acht Tieren. Sein Territorium ist rund 200 Quadratkilometer groß. Auf einer solchen Fläche gibt es eine enorme Dichte an Rehen, Wildschweinen, nicht zuletzt durch ein hohes Nahrungsangebot durch agrarwirtschaftliche Monokulturen. Die wenigen Wölfe allein können diese Zahl nicht signifikant reduzieren.

Was den Wolf angeht, ist also Beruhigung angebracht?

Genau. Leider fehlt vielen Menschen das Wissen über den Wolf. Viele sind dadurch ängstlich, unsicher, und das sollte man nicht belächeln. Der Wolf ist ja ein Umweltfaktor, der 150 Jahre in Deutschland nicht zu erleben war.

Was sollte ich tun, wenn ich einen Wolf gesehen habe? Es melden?

Ja, Monitoring ist wichtig. Je besser die Behörden Bescheid wissen, desto schneller können sie reagieren, falls es ausnahmsweise wirklich mal zu ungewöhnlichem Verhalten kommt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • An die Herdenhalter. Es wird immer ein Elektrozaun empfohlen. Leider sind die viel zu niedrig. Da springt jeder Pinscher drüber. Zwar kriegt der Wolf erst mal eine gefeuert, aber das hindert ein hungerleidendes Tier nicht. Schon gar nicht, wenn es Junge hat. Fatal ist dabei, daß wenn der Wolf über den Zaun gesprungen ist, und ein Schaf gerissen hat, kommt es mit seinem Opfer nicht mehr raus. Und dann folgt Stalingrad. Also - liebe Zaunhersteller - die Zäune müssen mindestens 1,5 Meter hoch sein. Oder besser 1,8m. Dann würden sie helfen. Übrigens gibt es in den osteuropäischen Ländern keine lautstarken Probleme, da der Wolf nie weg war. Man weiß scheinbar mit ihm umzugehen. Und auch bei uns waren früher Schutzhunde ganz normal. Warum geht das nicht mehr?

  • Woran, bitte, soll ich als Normalbürger erkennen, ob das Tier vor mir tatsächlich ein Wolf ist und kein Wolfshybride? Ohne Erfahrung in der Materie bin ich dazu nicht in der Lage, und vielen wird es ähnlich geben.

    Gerade Wolfshybride gibt es wohl einige Tausend in Deutschland, es leben genug davon wild und diese können auch für den Mensch durchaus gefährlich sein.

    Ich sehe daher die Angelegenheit weniger rosig als Frau Neuwald, wobei das Problem die Hybride sind. Aber dennoch - es ist ein Problem.

  • Warum macht es für die Presse einen Unterschied ob ein Wolf durch Hannover, Hamburg, Berlin oder durch Uelzen läuft?



    Ein Wolf kann nur ein natürliches Verhalten zeigen, alles andere ist eine menschliche Zuschreibung von erwünschten oder unerwünschten Eigenschaften.



    Unserer Expertin vom NABU erklärt uns schon die Natur von Berlin aus.

    • @Landlüüt:

      Soll sie sich für das Interview für sie in den Wald stellen?

    • @Landlüüt:

      Warum macht es für den Kommentator einen Unterschied ob die Expertin vom NABU aus dem Sauerland, Hintertupfingen oder Berlin kommt?

      Ich denke, bei dem Wolf geht es darum, das Städte einfach dichter besiedelt sind als Wälder oder Land und eine Wolfsichtung dadurch einfach wahrscheinlicher ist. 200.000 Augen sehen mehr als 2. Und im Wald kann sich der Wolf gut verstecken.

      Jedenfalls kann man nur hoffen, dass Wölfe nicht einfach erschossen werden, nur weil sie sich in der Stadt befinden.

  • 0G
    03998 (Profil gelöscht)

    Ein Wolf der "unnatürliches Verhalten zeigt" kann gar nicht entnommen werden, weil man/frau ihn gar nicht identifizieren kann. Der Schafhalter, der morgens zu seiner Herde kommt und 20 tote Tiere vor sich hat und 10 die vor Schmerzen schreien und im sterben liegen, darf ja nichts unternehmen, sollte der Wolf noch vor Ort sein. Er muss einen Jäger benachrichtigen - und wie soll der dann noch mit Gewissheit diesen Wolf erschießen können? Es wird dann wohl irgendein Wolf "entnommen".



    Die Reviergröße von Wölfen schrumpft und lässt den Wolf näher an menschliche Siedlungen kommen, wenn es immer mehr Wölfe gibt - das kann man/frau sich eigentlich ausrechnen.



    In Groß Britanien wird die Diskussion rationaler geführt, erwiesen scheint wohl zu sein, dass die Anwesenheit des Wolfes in einem Ökosystem keinerlei Vorteile mit sich bringt. Es geht einzig und allein um die Vorliebe von Menschen, die den Wolf gerne in unserer Landschaft haben möchten versus dem Tierleid und den wirtschaftlichen Schäden durch den Wolf.

    • @03998 (Profil gelöscht):

      Tierleid... also jetzt wird es völlig neben der Spur!

      Der Wolf ist ein Raubtier und Fleischfresser. Natürlich macht der Jagd auf seine Beute und frisst sie, so und nicht anders ist die Natur!

    • @03998 (Profil gelöscht):

      In der Schweiz sind jetzt sogar Umweltverbände dafür das die ausufernde Population von Wölfen reguliert werden muss.



      www.jaegermagazin....-breitet-sich-aus/



      Hoffentlich geht unseren Fachleuten auch irgendwann ein Licht auf ...

  • Noch wird das Problem kleingeredet. Für die Hunderten von bereits getöteten Nutztieren ist halt irgendwie immer Geld als Kompensation vorhanden. Ich frage mich aber, was passiert, wenn die ersten Menschen von Wölfen angegriffen, verletzt oder gar getötet werden. Was dann? Totschweigen oder wohlfeile Erklärungen beruhigen dann nicht mehr. In Deutschland gibt es halt nur begrenzte Naturräume für Wolfsrudel. Begeben sie sich in dichter bewohnte Gebiete wird es unweigerlich zu (tödlichen?) Konfrontationen kommen.

    • @Karlmann:

      Warum malst du denn den Teufel an die Wand? In 20 Jahren gab es in Deutschland Null Angriffe von Wölfen auf Menschen. Das stand sogar im Artikel.



      "Ja aber wenn was passiert"...



      Ganz ehrlich, in der Stadt in der ich wohne habe ich viel viel mehr Angst, vor gewalttätigen Menschen.



      Und die Menschenpopulation wächst schneller als die der Wölfe.

    • @Karlmann:

      Ich wohne hier im Wolfsland und die Rehe kommen mit den Kitzen inzwischen bis an den Gartenzaun wegen der Wölfe im Wald. Die Wölfe meiden aber menschliche Nähe wie die Pest. Hören Sie auf diese Schauermärchen zu erzählen. In den vergangenen zwanzig Jahren gab es 18 Angriffe von Wölfen auf Menschen in Europa und Nordamerika zusammen fast alle in Zusammenhang mit Tollwut. Das Risiko ist so wahnwitzig gering. Ich kenne hier viele die seit Jahrzehnten hier wohnen aber noch nie einen Wolf auch nur gesehen oder gehört haben.

    • @Karlmann:

      Genetisch bestimmbar: Der Inhalt der Losung.



      Vielfach genetisch bekannt: Die Rudel und deren Verbreitung.



      Interessen können meistens irgendwie ausgeglichen werden, Ängste sind oft noch diffus./



      //



      www.bund-niedersac...kte-und-loesungen/

    • @Karlmann:

      Es werden alljährlich Menschen bei Verkehrsunfällen verletzt oder getötet, die durch Begegnungen mit Wildtieren verursacht werden (2017: 10 Tote, 600 Schwer- und 2300 Leichtverletzte).



      Hauptursache: Bambi.



      An der Stelle würde ich Ihnen recht geben, das Problem (+Forstschäden durch Wildverbiss, etc. pp.) wird seit Jahrzehnten kleingeredet.

    • @Karlmann:

      Immer die selben Argumente: Was passiert denn, wenn ein Mensch durch ein Wildschwein angriffen wird? Was passiert, wenn ein Mensch durch fehlende Reserveantibiotika stirbt. Lesen Sie doch mal, was die NABU - Expertin schreibt!

      • @Axel Donning:

        Oh ja, die fehlenden Reserveantibiotika.



        Die dürfen dem Menschen zwar nicht gegeben werden aber sie werden an Tiere verfüttert. Indirekt nimmt der Mensch also diese Reserveantibiotika auf. Auch das führt zu Resistenzen. Ich könnte wetten, das durch die von der Fleischindustrie ausgelösten Resistenzen viel mehr Menschen töten, als Wildtiere

  • Wölfe werden nicht 'entnommen', sie werden banal abgeschossen, manche sagen abgeknallt. Wölfe fressen auch Aas, das ist sogar nützlich, wie bei Geiern. Menschen, die Hunde halten, sollten Wölfe schützen, wie Gisbert:



    //



    www.oberlausitz-ra...rameaktuelles.html

  • Ich versuche seit Jahr und Tag in den rumänischen Karpaten einen Wolf vor die (Foto-)Linse zu bekommen. Es ist unmöglich. Nun sind die Karpaten weniger dicht besiedelt als Deutschland, dafür ist die Wolfspopulation größer. Ich kann nur sagen, einem Wolf zu begegnen ist nahezu unmöglich. Die Wahrscheinlichkeit, dass man einem Bären (in Rumänien) begegnet, ist deutlich höher; die gehen dem Menschen nämlich nicht aus dem Weg.

    Wenn hierzulande von Schäden am Wildbestand oder Nutzvieh geredet wird, sind das meiner Erfahrung nach vorgeschobene Gründe. Die Schäden durch Wildverbiss sind in Deutschland derart hoch, dass die Förster aus anderen Ländern nur noch die Köpfe ob dem Beharrungsvermögen deutscher Jäger schütteln. In Rumänien wird der Bestand an Schalenwild und Schwarzkitteln auch von den Ämtern aus in Maßen gehalten, damit Verbissschäden gar nicht erst zum großen Problem werden. Bei diesem Thema den Wolf überhaupt in die Betrachtungen einzubeziehen, löst bei rumänischen Förstern und Jägern nur mitleidiges Kopfschütteln aus wie überhaupt die deutsche Unart alles regeln, hegen und pflegen zu müssen.

    Vor einiger Zeit fragte ich nach einer Umsiedlungsmöglichkeit für Biber an. Die Antwort lautete schlicht: Wozu - last ihn doch machen.