Erster Veteranentag in Deutschland: Machbar, aber fragwürdig
Am 15. Juni begeht Deutschland seinen ersten Veteranentag. Die Idee mag berechtigt sein, ist aber weder unstrittig noch alternativlos.
W er sich noch an die Bonner Republik erinnert, mit Friedensbewegung und Böll und Heinemann und ihrer doch recht pazifistischen Grundhaltung, dem muss die neue deutsche Einstellung zum Militär wunderlich vorkommen. Gewiss: zum Teil ist es richtig, dass sich hier etwas geändert hat. Man kann Aggressoren wie Wladimir Putin nicht mit Ostermärschen beikommen, dem Himmel sei's geklagt. Und zu glauben, dass er, nach der Ukraine, „keine territorialen Ansprüche in Europa“ mehr hat, ist geradezu gefährlich naiv.
unterrichtet Völkerrecht an der Edinburgh Law School der Universität Edinburgh in Schottland. Seine besonderen Forschungsgebiete sind Völkerstrafrecht, Diplomatenrecht und LGBTIQ-Rechte.
Mit dieser Einsicht gehen andere Dinge einher: wenn uns unsere Verteidigung wichtig ist, müssen wir auch Respekt im Umgang mit den Streitkräften zeigen. Und vor allen Dingen müssen Soldatinnen und Soldaten, die mit posttraumatischen Belastungsstörungen, mit seelischen und körperlichen Wunden aus Konfliktzonen zurückkehren, umfassende und unbürokratische Versorgung erhalten. Es ist richtig, dass der Bundestag das kürzlich gefordert hat.
Ein weiterer Beschluss aber ist von ganz anderer Natur. Es ist der „Veteranentag“, der in der Zukunft an jedem 15. Juni gefeiert werden soll. Er zeigt, wie kaum eine andere Entscheidung, den Wandel, der sich in der Gesellschaft vollzogen hat. Und kaum eine Stunde hat dies klarer gemacht als die Bundestagsdebatte, die diesem Entschluss vorausging.
Beginnend mit dem Eröffnungsredner Johannes Arlt (SPD), der, wie eine Bundeswehrbroschüre, von einer „Zeit von Kameradschaft und sinnstiftender Tätigkeit“ sprach, die man mit Auslandseinsätzen verbinden darf. Und dann den Kameraden auf der Besuchertribüne (erschienen in militärischem Grau, mit Ehrenzeichen) „semper talis“ zurief („stets gleich“, altes preußisches Motto). Nils Gründer von der FDP kann auch Latein und rief „Virtuti pro patria – der Tapferkeit für das Vaterland“, das Motto seiner „Heimatbrigade“.
Weitgehend unreflektiert aufgenommen
Es hätte eine Folge von „Navy CIS“ sein können. Nur nicht ganz so spannend. Zum Schluss bat Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPA) um Unterstützung des Antrags und zwar als „Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt“. Sowas hätte es unterm Willy nicht gegeben. Nicht einmal unter Helmut Schmidt. In der Tat hat bislang noch keine Bundesregierung einen solchen Tag für nötig gehalten. Seine Annahme durch fast alle Parteien ist bemerkenswert – und bedenklich.
Auch in den Medien wurde der Veteranentag, mit einigen Ausnahmen, weitgehend unreflektiert aufgenommen. Bei manchen Schlagzeilen gehen einem die Augenbrauen hoch. Ein „nationales Bekenntnis zur Truppe“? So der Wortlaut in einer regionale Zeitung. Wenn aber ein Veteranentag auf so breite Zustimmung stößt, gibt es dann am Ende vielleicht gar keinen Grund zur Besorgnis? Die Entwicklung in einigen anderen Staaten, einschließlich Großbritanniens, weist in eine andere Richtung.
Hier war die Einstellung der Gesellschaft zum Militär seit langem positiv. Das ist auch verständlich: ohne seine Streitkräfte wäre die Insel, wie so viele europäische Staaten, unter den Stiefel der Naziherrschaft geraten. Nur: Diese positive Einstellung ist, über Jahre hinweg, zu einer wahrlichen Bewunderungshaltung ausgebaut worden, angefeuert von Politikern, die eine Chance witterten, die eigene Popularität zu stärken.
Tony Blair schließlich führte einen „Veterans Day“ ein, später „Armed Forces Day“ genannt. Dieser Tage Kritik an „unseren Jungs“ in der Armee zu üben, das ist fast eine Sünde wider den Heiligen Geist. Eine solche Entwicklung lässt sich auch in Deutschland befürchten; die ersten Schritte sind getan. Dabei ist es doch, wenn man sich die Sache recht überlegt, bizarr.
Kritik muss machbar sein
Wir fühlen uns ganz unbefangen dabei, gegen jede Sektion der Gesellschaft Kritik zu üben, selbst gegen diejenigen, deren Beruf es ist, Leben zu retten – von Krankenpflegern bis zu Feuerwehrleuten. Nur Veteranen sollen ohne jede Einschränkung gefeiert werden. Dabei ist es gerade hier wichtig, das eigene Denken nicht vor der Tür zu lassen. Es gibt sie, die Soldaten, denen die Gesellschaft viel schuldet, in einigen Fällen ihr eigenes Überleben.
Es gibt die Sanitäter, die, ohne Waffen und unter Einsatz des eigenen Lebens, verwundete Soldaten retten. Aber jeder militärische Konflikt birgt auch Potenzial für Missbrauch und Menschenrechtsverletzungen. Und es gibt daher auch Angehörige der Streitkräfte, die selber in Kriegsverbrechen verstrickt sind.
Der Folterskandal im Gefängnis Abu Ghraib im Irak, in dem US-Personal involviert war, und die Untersuchungen des Internationalen Strafgerichtshofes zu britischen Kriegsverbrechen im selben Land zeigen, dass selbst Streitkräfte einer Demokratie an solchen Taten beteiligt sein können.
Kritikfähigkeit ist ein Gut, das nicht leichtfertig um eines Feiertags Willen geopfert werden darf. Militäreinsätze können notwendig sein – selbst die Charta der Vereinten Nationen akzeptiert das und erlaubt solche Einsätze in engen Grenzen (im Fall der Selbstverteidigung und wenn ein Staat mit Autorisierung des UN-Sicherheitsrates handelt). Die Schöpfer der UN waren keine unrealistischen Träumer: Sie sahen militärische Gewalt als einen Schritt, der manchmal unausweichlich ist. Ein Grund zum Feiern ist er nicht.
Und es gäbe Alternativen zu einem Veteranentag. Ein befreundeter Arzt, der Afghanistan Veteranen behandelte, schlug einen Tag vor, um „Ärzte ohne Grenzen“ zu ehren, die Organisation, die schon seit Jahrzehnten medizinische Hilfe in Kriegsgebieten leistet und mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Für Völkerrechtler klingt das nach einer großartigen Idee: Sie stellt Personen in den Vordergrund, die sich dem Schutz der menschlichen Unversehrtheit widmen; sie schließt weder eine kritische Bewertung der Militäreinsätze aus noch derer, die an ihnen teilnehmen.
Sie hat natürlich keine Aussicht, von der Politik aufgegriffen zu werden. Dafür ist sie zu vernünftig. Und wenn wir darüber reden, Militäreinsätze und Feiern zu verbinden, dann hat die Vernunft schon lange Abschied genommen.
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