Erste Auslandsreise der Außenministerin: Veränderte Wagenreihung
Annalena Baerbock rückt bei ihrer ersten Auslandsreise als Außenministerin das Klima in den Vordergrund. Dieser Schritt birgt auch Risiken.
Inszenierung muss sein bei den Grünen, könnte man jetzt sagen. In der Opposition haben sie sich fleißig darin geübt, in der Regierung geht es nun weiter – selbst wenn dafür der morgendliche Berufsverkehr warten muss.
Wer möchte, kann die Szene aber natürlich auch wohlwollend betrachten, an Baerbocks zweitem Tag im Amt und während ihrer ersten Reise als Außenministerin: Wer sich in Paris nicht vor dem Eiffelturm fotografieren lassen würde, der werfe den ersten Stein. Und wer sich über seinen neuen Job freut, der wird das ja wohl allen zeigen dürfen.
Ja, Freude verspürt Annalena Baerbock am Tag nach ihrem Amtsantritt. Es könnte auch anders sein nach diesem Jahr. Die Mühen des Wahlkampfs, ihre Fehler, die Häme, der Schritt zurück hinter Robert Habeck und direkt danach die Koalitionsverhandlungen – das muss geschlaucht haben. Dazu kommen all die Krisen, die im Außenministerium auf die Grünen-Chefin warten, zuvorderst die neue Kriegsgefahr an der ukrainischen Grenze.
Mundwinkel erstaunlich weit oben
Auf ihrer Antrittsreise wirkt Baerbock aber weder geschlagen noch getrieben. Sie wirkt glücklich darüber, endlich in der Regierung angekommen zu sein. Auf der Pressekonferenz nach ihrem Treffen mit dem französischen Außenminister Jean-Yves Le Drian, wenige Minuten vor dem Foto-Stopp auf der Seine-Brücke, sind ihre Mundwinkel am Donnerstagmorgen erstaunlich weit oben. Sogar als schwierige Fragen kommen, wie die nach einem Boykott der Olympischen Winterspiele in Peking (die Antwort übrigens: Dazu stimmen wir uns in der Bundesregierung und mit den europäischen Partnern noch ab).
Ein Grund für Baerbocks Freude: Sie hat es geschafft, eines ihrer Kernthemen mit ins neue Amt zu ziehen. Vor ihrer Zeit als Parteichefin hatte sie sich im Bundestag als Fachpolitikerin für Klimafragen profiliert. Im Außenministerium, so hat sie es angekündigt, wird sie jetzt „Klimaaußenpolitik“ betreiben.
Den Begriff muss sie zwar erst noch mit Leben füllen. Dass es nicht bei einer Floskel bleiben wird, zeigt aber eine Entscheidung vom Mittwochabend. In einem ersten Erlass hat Neu-Kanzler Olaf Scholz angeordnet, dass die Zuständigkeit für die internationale Klimapolitik vom Umwelt- ans Außenministerium übergeht. Auf Klimakonferenzen wird Baerbock die Bundesregierung vertreten.
„Beim Thema Klimapolitik schließt sich hier in Paris auch für mich persönlich ein Kreis. 2015 war ich hier bei der Pariser Klimakonferenz, eine Sternstunde der internationalen Diplomatie“, sagt sie auf der Pressekonferenz am Donnerstagmorgen. Damals konnte sie auch sehen, wie es bei den Franzosen läuft: Dort sind die Klimaverhandlungen bereits im Außenministerium angesiedelt, ebenso in den USA.
Es könnte sein, dass das Thema durch die Verlagerung innerhalb der Bundesregierung aufgewertet wird, ins Zentrum der Diplomatie rückt, zumal mit einer Ministerin an der Spitze, die sich unbestreitbar auskennt. Der Schritt birgt aber auch Risiken.
Das Umweltministerium wird entkernt. Voraussichtlich muss Personal verschoben, müssen eingespielte Abteilungen zerrissen werden. Und wenn gerade mal auch anderweitig die Welt brennt, könnte das Klima im Außenministerium hinten runterfallen. Zumal, nachdem die Grünen das Haus irgendwann wieder abgegeben haben werden.
Aber gut, jetzt ist erst mal Baerbock zuständig. Und sie bekommt in Paris auch gleich zu spüren, welche Konflikte in der Klimaaußenpolitik lauern. Frankreich erzeugt den Großteil seines Stroms mit Atomenergie und möchte weitere Kraftwerke bauen, um den CO2-Ausstoß zu senken. Von der EU erhält Paris dabei Rückenwind: Die Kommission will Atomkraft in Zukunft offenbar als nachhaltig labeln. Dadurch würde sie Investitionen in Kernkraft in Zukunft begünstigen.
Um die entsprechende EU-Verordnung zu stoppen, müsste eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten dagegen stimmen. Diese Mehrheit ist aber nicht in Sicht. Vor ihrem Ausscheiden aus dem Amt sagte Ex-Kanzlerin Angela Merkel, sie glaube nicht, dass die Einstufung der Atomkraft als nachhaltiges Investment noch zu verhindern sei. Kommt es tatsächlich so, wäre das für die Ampelkoalition und vor allem für die Grünen ein erster heftiger Dämpfer auf internationaler Ebene.
Auf der Pressekonferenz mit dem Franzosen Le Drian spricht Baerbock den Konflikt von sich aus nicht an. Als ein Journalist danach fragt, muss sie aber auf den Streit eingehen. Sie macht es knapp. „Das ist ein Thema, über das wir auf allen Ebenen sprechen. Nicht nur als Außenministerinnen und Außenminister, sondern auch der Präsident und der Bundeskanzler und natürlich auch gemeinsam auf der europäischen Ebene in Brüssel. Dass wir zu der Frage ‚nuklear‘ unterschiedliche Positionen haben, das ist ja bekannt.“
Jedes Wort wiegt mindestens doppelt
Drei Sätze. Keine große Szene. Am Anfang des Jahres hätte Baerbock auf die Frage wohl schärfer geantwortet, aber damals war sie noch in der Opposition und jetzt sitzt sie in der Regierung. Jedes Wort wiegt mindestens doppelt und bei der Außenministerin wird es sogar zur Nachricht, wenn sie sagt, dass es nichts Neues gibt. „Baerbock lehnt französische Pläne zu ‚grüner‘ Atomkraft weiterhin ab“, meldet keine halbe Stunde später die Deutsche Presse-Agentur.
Da ist der Stopp auf der Seine-Brücke auch schon wieder vorbei und Baerbock auf dem Weg zum Bahnhof. Mit dem Zug geht es weiter nach Brüssel. Josep Borrell wartet dort, der EU-Außenbeauftragte. „Ihr neuer Job ist keiner, der viel Freude macht“, wird er zur Begrüßung sagen. Baerbocks Mundwinkel bleiben stabil.
Am Nachmittag ein Termin bei der Nato, dann einer mit John Kerry. Der US-Amerikaner macht mittlerweile auch mit in Sachen Klima. Am Freitagmorgen soll der Regierungsflieger die Ministerin abholen und direkt nach Warschau bringen. Flüchtlinge, Justizreform, Kohlekraft – viel Spaß auch. Am Nachmittag ein kurzer Abstecher nach Hause, am Abend zur G7 nach Liverpool, am Montag schon wieder Brüssel. Das Klima ist bis dahin wohl nicht gerettet. Ein paar Erinnerungsfotos könnten in der ersten Woche aber noch zusammenkommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt