Boykott der Winterspiele 2022 in Peking: Olympia mit politischem Anstrich

Die US-Regierung hat angekündigt, die Pekinger Winterspiele diplomatisch zu boykottieren. Für Chinas Image könnte das Folgen haben.

Ein Snowboarder trägt ein Kuscheltierkostüm

Ungewöhnliches Kuscheltier in Zhangjiakou: Hier finden im Februar die Winterspiele statt Foto: Thomas Peter/reuters

BERLIN taz | Es gibt Proteste, die muss man erst einmal erklären, damit sie überhaupt wahrgenommen werden. Dazu zählt neuerdings der diplomatische Boykott der Olympischen Winterspiele in Peking, den die US-Regierung am Montag verkündete. Das Kabinett von Präsident Biden werde wegen des fortdauernden „Völkermords und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ an den muslimischen Uiguren in der Provinz Xinjiang und anderer Menschenrechtsverletzungen keine diplomatischen oder offiziellen Vertreter nach China schicken.

Aufgrund des extrem strengen Coronahygienekonzepts hätte sich wohl ohnehin kein US-Vertreter nach China verirrt. Schon im August bei den Olympischen Sommerspielen in Tokio waren wegen der Pandemie zur Eröffnungsfeier lediglich Staatsgäste aus rund 15 Ländern angereist. So versehen die US-Politiker:innen ihre Abwesenheit auf den Stadionsitzen in Peking leichterhand mit einem politischen Anstrich.

Die Reaktionen der chinesischen Regierung bewegten sich möglicherweise auch deshalb zwischen Belustigung und Verärgerung. Außenamtssprecher Zhao Lijian sagte am Dienstag, niemand würde die Anwesenheit von einzelnen Politikern bei den Olympischen Winterspielen bemerken. Eine ähnliche Reaktion war in der staatlichen chinesische Boulevardzeitung Global Times zu lesen: „Um ehrlich zu sein, sind die Chinesen erleichtert über diese Nachricht, denn je weniger US-Beamte kommen, desto weniger Viren werden eingeschleppt.“

Außenamtssprecher Zhao Lijian betonte, dass die Protagonisten die Sportler seien. Andererseits forderte er, die USA sollten endlich aufhören, den Sport zu politisieren, und kündigte „entschiedene Gegenmaßnahmen“ an. Das deutet darauf hin, dass die chinesische Regierung selbst diese symbolpolitische Boykottform der USA als Gesichtsverlust wertet und sie zum Politikum macht.

Diese Entwicklung wäre überhaupt nicht im Sinne des Internationalen Olympischen Komitees, das im steten Streben, die Sphären Politik und Sport voneinander zu trennen, die US-Entscheidung nicht bewerten wollte. „Das ist eine rein politische Diskussion. Auch in dieser Frage ist das IOC politisch neutral.“ Partei ergreifend will das IOC auch weiterhin nicht im Fall der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai sich positionieren.

Stille Diplomatie versus Boykott

Seitdem die 35-Jährige über soziale Netzwerke Vergewaltigungsvorwürfe gegen einen chinesischen Spitzenpolitiker erhoben hat, kann sich die Sportlerin offensichtlich nicht mehr frei äußern. Ihre Anklage wird verschwiegen. All das beförderte die Boykottdiskussionen rund um die anstehenden Olympischen Winterspiele. Das IOC wirbt dagegen um Vertrauen auf seine stille Diplomatie.

Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen

„Dass keine Regierungs-mitglieder der USA teilnehmen, halte ich für richtig“

Bereits vor den Olympischen Sommerspielen 2008 in Peking hat es wegen der Menschenrechtsverletzungen in Tibet Debatten gegeben, ob Sport­le­r:in­nen fernbleiben sollten. Mit Verweis auf die einschneidenden Olympiaboykotte während des Kalten Krieges, als 1980 etliche Staaten die Spiele in Moskau wegen des russischen Einmarsches in Afghanistan boykottierten und umgekehrt als Reaktion wiederum etliche Länder den Spielen 1984 in Los Angeles fernblieben, wird von Regierungen und Sport­funk­tio­nä­r:in­nen diese Form des Protests jedoch immer wieder abgelehnt. Auch die US-Regierung erklärte zur aktuellen Lage, einen kompletten Boykott wollen man nicht, um die Sport­le­r:in­nen nicht zu bestrafen.

Mit dem Mittel des diplomatischen Boykotts werden nun selbst für die olympischen Sportstätten sportliche und politischen Sphären voneinander abgegrenzt. Unpolitisch ist das Aktionsfeld der Protagonist:innen, politisch sind die unbesetzten Plätze auf den Ehrentribünen. Als der Bundespräsident Joachim Gauck bei den Winterspielen 2014 in Sotschi sein Fernbleiben mit den Menschenrechtsverletzungen in Russland begründete, wurde das mehr als individuelle Protesthaltung wahrgenommen.

Breiter und struktureller aufgestellt war schon der Protest während der Fußball-Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine. Die EU-Kommission und viele europäische Regierungschefs nahmen Einladungen zu den Spielen in der Ukraine aus Protest gegen die Inhaftierung der Oppositionspolitikern Julia Timoschenko nicht an. Diese damals recht neue Form, diplomatisch zu protestieren und mit Abwesenheit zu glänzen, bekam kaum jemand mit.

Die Entscheidung der US-Regierung, in zwei Monaten den Winterspielen in Peking fernzubleiben, erhält dagegen eine ganz andere Aufmerksamkeit. Viele andere Staaten werden nun überlegen müssen, wie sie sich zu dem amerikanischen Vorstoß verhalten wollen. Die Ampelkoalition ließ es noch offen, ob sie sich dem Boykott anschließen wolle. Der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte enge Abstimmungen mit den Partnerländern an und warb für Dialog: „In einer Welt, die zusammenarbeiten muss, geht es auch darum, dass man die Signale der Zusammen­arbeit nutzt.“

Beim Koalitionspartner, den Grünen, forderte der außenpolitische Sprecher Omid Nouripour im „Inforadio“ wiederum unverblümt, dem Beispiel zu folgen. „Das, was die Amerikaner sagen, dass keine Regierungsmitglieder daran teilnehmen, das halte ich für eine richtige Herangehensweise. Ich hoffe, dass sich Deutschland dem anschließt.“

Sollten sich weitere Länder dem Boykott anschließen, wird dies den Ablauf der Olympischen Winterspiele nicht beeinträchtigen. Eine große ­Koalition der unsichtbaren Boykotteure würde den Spielen ­jedoch zweifellos etwas an propagandistischem Glanz nehmen.

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