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Rechtsextremismus bei der Polizei„Man schwimmt halt so mit“

M. war Mitglied eines rechtsextremen Polizeichats. Vom Dienst ist er bis heute suspendiert. Jetzt packt er aus.

Es gilt die Unschuldsvermutung, auch bei diesen Polizist:innen, die Anfang November in Dortmund eingeschworen wurden Foto: Jochen Tack/ddp
Mohamed Amjahid

Interview von

Mohamed Amjahid

In den vergangenen Jahren sind wiederholt rechtsextreme Chats unter Po­li­zis­t:in­nen aufgetaucht. Erst kürzlich in Niedersachen, Hamburg und Hessen. Die Wissenschaft spricht von einem großen Dunkelfeld. In einer deutschen Großstadt will ein Polizist auspacken. Er war mehrere Jahre Mitglied eines solchen Chats und will anonym bleiben. Beim Gespräch zeigt er Polizeiabzeichen und Ausweis. Er ist um die 40, trägt die Haare zurückgekämmt, einen gepflegten Bart und einen beigen Strickpullover.

taz: Herr M., Sie waren jahrelang in einem rechtsextremen Chat aktiv, der große Schlagzeilen produziert und neben den vielen anderen Fällen die deutsche Innenpolitik erschüttert hat. Wie landet man überhaupt in so einem Chat?

M.: Die Ursprünge dieses Chats liegen weit über zehn Jahre zurück. Es gab für jede Dienstgruppe damals halt so eine Chatgruppe, wo kurzfristige Dienstplanänderungen mitgeteilt wurden.

taz: Auf WhatsApp?

M.: Ja, auf WhatsApp. Da haben sich alle zum Sport verabredet oder zum Bierchen nach dem Dienst. Nun war es halt so, dass die Chefs da teilweise auch mitgelesen haben und manchmal möchte man sich halt einfach auskotzen über die Vorgesetzten oder was schief gelaufen ist bei den Einsätzen. Wie es in jeder Dienstgruppe oder in jedem Arbeitsumfeld so ist, gibt es immer so einen Kreis, der sich besser versteht. Dann formen sich kleinere Grüppchen.

taz: In einem dieser Nebenchats hat dann jemand angefangen Hitler zu glorifizieren, oder wie?

M.: Irgendwann ging es im Chat dann halt los mit diesen bescheuerten Bildern und Videos. Und im Laufe der Zeit ging es gar nicht mehr um die Inhalte, um die Message dieser Bilder. Es ging nur darum, wer wird das krassere Bild posten. Befeuert von toxischer Männlichkeit: Ich will ein krasseres Bild, eine krassere Aussage als der andere posten.

wochentaz

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taz: Coolness durch Holocaust-Relativierung oder Genozidfantasien?

M.: Ja. Einfach ein total kindisches, unerwachsenes und bescheuertes Verhalten. Was passiert, wenn man ein Bild geschickt bekommt? Man guckt sich das drei Sekunden an und es ist aus dem Sinn. Man vergisst es direkt. Ich würde den meisten in diesen Chats jetzt einfach mal unterstellen, dass es wirklich darum ging, noch was Krasseres zu posten als der Vorgänger. Unabhängig vom Inhalt.

taz: Verharmlosen Sie damit nicht diese Inhalte?

M.: Ich habe da tatsächlich keine rationale Erklärung für, man schwimmt da halt auch so ein bisschen mit.

taz: Antisemitismus, der Wunsch Geflüchtete, Schwarze Menschen, Muslim:innen, sollten in einer Reihe aufgestellt und exekutiert werden, Vergewaltigungsfantasien, purer Sexismus, Euthanasie-Witzchen gegen Menschen mit Behinderung. Außenstehend hat man den eindeutigen Eindruck, wer in diesem Chat war, ist rechtsradikal.

M.:… aber Sie kennen mich ja gar nicht. Ich würde schlichtweg entgegnen, dass Sie mich nur von irgendwelchen Nachrichten kennen.

taz: Ich habe den ganzen Chatverlauf gelesen.

M.: Sie kennen mich als User-Name in dieser Whatsapp-Gruppe. Sie kennen diese Bilder, aber Sie sehen den Menschen dahinter nicht. Rechtsradikal fängt für mich nicht damit an, dass man irgendwelche Bilder weiterleitet. Das fängt in Handlungen, Taten und Gedanken an. Das ist der entscheidende Unterschied.

Im Laufe der Zeit ging es gar nicht mehr um die Inhalte, um die Message dieser Bilder. Es ging nur darum, wer wird das krassere Bild posten. Befeuert von toxischer Männlichkeit.

Suspendierter Polizist, der jahrelang in rechtsextremem Chat aktiv war

taz: Solche menschenfeindlichen Chats über Jahre zu pflegen, das ist eine Tat.

M.: Das ist eine Tat, die innerhalb einer geschlossenen Gruppe stattfindet. Wenn ich jetzt mein ganzes Leben danach ausrichten würde, ich sage jetzt mal, ich stehe morgens auf und schlage die Hacken aneinander, dann könnte man definitiv so weit gehen und mich als rechtsradikal bezeichnen. Aber so ist es nicht. Wenn sich Polizisten im Dienst beispielsweise mit Kollegen verabreden: So! Heute gehen mir die Ausländer auf den Sack und ich mache was dagegen. Dann kann man definitiv Rechtsradikalismus unterstellen.

taz: Auch diese Fälle gibt es. Da haben sich zum Beispiel Po­li­zis­t:in­nen in Chats verabredet, „Obdachlose zu klatschen“. Es gibt den Komplex Nordkreuz, da haben Po­li­zis­t:in­nen mit anderen einen Umsturz geplant. Die vielen Einzelfälle formen eine Struktur.

M.: Ich weiß definitiv, dass manche Mitglieder dieser Gruppe diese rechtsextreme Gesinnung haben. Aber nicht alle.

taz: Sie haben trotzdem mitgemacht. Können Sie nachvollziehen, dass viele Menschen kein Vertrauen mehr in die Polizei haben? Vor allem viele Minderheiten.

M.: Zum Teil kann ich das nachvollziehen, zum Teil aber auch nicht.

taz: Was heißt das?

M.: Ich kann es nachvollziehen, wenn man von dem ausgeht, was in der Presse oder auf sozialen Medien erzählt wird. Dort kommen nur die krassen Fälle vor. In diesen Gruppen war es ja auch nicht so, dass jetzt alle fünf Minuten da ein problematisches Bild auftauchte. Ich will das Ganze nicht schönreden, nur transparent machen. Aber natürlich kann ich das von diesem Standpunkt aus komplett nachvollziehen. Ich kann es aber gleichzeitig nicht nachvollziehen, weil ich halt beide Seiten kenne. Ich bin Polizist, aber ich bin auch normaler Bürger. Polizist ist ein wahnsinnig belastender Beruf. Weil nie wirklich Zeit besteht, Sachen zu verarbeiten. Und was man als Polizist sieht und erfährt, das erfahren viele Leute so nicht. Die Schlägereien. Die Gerüche. Das Blut. Angespuckt zu werden. Ohne das jetzt schönreden zu wollen.

taz: Wie war das für Sie als der Chat aufgeflogen ist, in dem Sie waren?

M.: Schwierig, dafür ein Wort zu finden. Natürlich ist man erst mal überrollt, auch von der ganzen Berichterstattung. Es wurde anfangs auch sehr viel heftiger dargestellt, als es war. Als wir von unserem Chat in der Tagesschau erfahren haben, haben wir gedacht, das können wir doch gar nicht sein. Als wäre der „NSU 2.0“ aufgedeckt worden, als würden wir unter Bomben schlafen.

taz: Die Inhalte Ihres Chats waren extrem heftig.

M.: Also ich weiß, dass das heftig war, nur so wie es dargestellt wurde, in den ersten Tagen, war das nicht richtig. Zu krass. Das war ja so, als wären wir eine Terrororganisation gewesen. Nach so zwei Wochen war die weitere Berichterstattung meiner Meinung nach vollkommen gerechtfertigt, auch in der Härte. Die ersten zwei Wochen waren dagegen für mich hart und klar fühlt man sich da scheiße: Schuldgefühle, schlechtes Gewissen.

taz: Wenn solche Chatkomplexe überhaupt vor Gericht gelandet sind, wurden die entsprechenden Po­li­zis­t:in­nen freigesprochen mit dem Argument, es handle sich um „private Chatgruppen“. Es gibt auch den Fall, wo ein Gericht die chattenden Be­am­t:in­nen getadelt hat, dass sie auf Whatsapp geschrieben haben. Weil das so einfach zu knacken sei. Finden diese Chats nun besser gesichert statt?

M.: Ich habe da keinen Einblick mehr. Ich bin komplett raus. Ich kann es mir aber durchaus vorstellen, dass das wahrscheinlich nun auf Signal oder Telegram stattfindet. Telegram ist ja auch eine App, die nur Scheiße hervorbringt. Ich weiß, dass nachdem unsere Gruppe aufgeflogen ist, ganz viele Menschen, die bei der Polizei sind, erst mal ihre Handys aufgeräumt haben.

taz: Eine Razzia auf dem eigenen Smartphone quasi?

M.: Die haben erstmal alles durchgeguckt, ob irgendwo irgendwelche Bilder sind, ob irgendwelche komischen Kommentare von ihnen irgendwo auftauchen. Da haben viele befürchtet, dass es eine Welle gibt, wo alles geahndet wird.

taz: Hat sich Ihre Chatgruppe eigentlich nach ihrer Schließung irgendwie aufgefangen?

M.: Sehr wenig. Es wurden wenige Telefonate geführt, wo es eigentlich nur darum ging: 'Hallo. Wie war es bei dir? Wie geht es dir? Mal gucken, was jetzt kommt. Alles Gute, tschüss.’ Aber es wurde nie wirklich darüber geredet, was in einem jetzt gerade selber vorgeht.

taz: Gab es in Ihrem privaten Umfeld jemanden, der mit Ihnen kritisch darüber gesprochen hat?

M.: Nein. Nie wirklich in der Tiefe. Die Polizeigewerkschaft hat ein Gesprächsangebot gemacht. Aber da besteht auch ein gewisses Misstrauen. Also das ist halt die Quintessenz dieser ganzen Sache für mich, dass die Polizei auch untereinander sehr viel misstrauischer geworden ist. Auch wenn suggeriert wird, dass einem geholfen wird.

taz: Sie sind seit Jahren beurlaubt, bekommen ein steuerfinanziertes Gehalt, arbeiten aber nicht und sitzen Zuhause. Überlegen Sie ganz auszusteigen?

M.: Das darf man ja nicht. Du bist ja weiterhin Beamter. Ich dürfte jetzt beispielsweise keine neue Ausbildung beginnen, das würde nicht gehen.

taz: Dann sind Sie jetzt in einem Wartemodus?

M.: Das ist genau das richtige Wort, weil keiner genau weiß, wie lange dieser Prozess jetzt dauert. Ich weiß nicht, was wann wie passieren wird. Es gibt gar keinen Kontakt zu meinem Arbeitgeber gerade. Es ist ein kompletter Schwebezustand.

taz: Wie geht es Ihnen damit?

M.: Das geht ja mittlerweile mehrere Jahre so. Man lernt irgendwie, sich damit zu arrangieren. Es gibt viele Kollegen, die beispielsweise in der Zeit gestorben sind, teilweise Selbstmord begangen haben, dem Alkohol verfallen sind, in eine andere Sucht abgerutscht sind. Also man kann daran schon sehen, was das mit den Leuten macht. Ich habe meine Situation angenommen. Gut geht es mir nicht dabei. Auch wenn der Job manchmal doof war, hat man ja trotzdem irgendwie gerne auch was für sein Geld getan und wurde gebraucht. Das ist komplett weggefallen.

taz: Warum sind Sie überhaupt Polizist geworden?

M.: (lacht) Aus gar keiner besonderen Motivation. Ich wollte einfach mal probieren, ob ich das schaffe.

taz: Wie meinen Sie das?

M.: Ich war neunzehn Jahre alt und bin in die Ausbildung gerutscht. Ich wollte einfach mal gucken, ob ich es schaffe. Ich hatte nie wirklich eine besondere Motivation. Die ersten zwei Jahre der Ausbildung hatte ich auch schlichtweg gar keinen Bock. Muss ich auch ehrlich sagen.

taz: Einfach durchziehen?

M.: Man hat halt verschiedene Unterrichtsblöcke in der Ausbildung. Du hast Strafrecht, du hast Eingriffsrecht, also Polizeitaktiken. Was gibt das Polizeigesetz her? Du hast Einsatzlehre. Du hast Psychologie und Ethik. Du hast die verschiedenen Trainings. Das ist mir alles relativ leicht gefallen. Es hat auch teilweise Spaß gemacht, es hat auch manchmal keinen Spaß gemacht. Aber welcher Beruf macht schon grundsätzlich immer Spaß? Ich habe mich damit irgendwie abgefunden. Die Motivation für den Job, die entstand erst im letzten Ausbildungsjahr. Wo mir wirklich klar war, dass ich es schaffen werde.

taz: Wurden Sie in Ihrer Ausbildung gut vorbereitet?

M.: Ja und nein. In den Trainingscentern musst du Glück haben. Die Trainings sind teilweise sehr realitätsfern. Man kriegt auch gar nicht zu jedem Sachverhalt wirklich ein Rollenspiel. Ich zum Beispiel habe nie ein Rollenspiel machen müssen in Richtung Versammlungsrecht, Demonstrationen. Da war ich immer nur Zuschauer. Du bist dann vier, fünf Tage in diesen Trainings und bist immer nur Zuschauer wie andere Leute Polizei spielen. Das bringt nichts.

taz: Es gab Recherchen dazu, dass in der Polizeiausbildung rassistische Inhalte vermittelt werden.

M.: Die Ausbildung ist bei mir so lange her. Aber ich kann mich an das Fach Soziologie erinnern. Da haben wir sogenannte „Peer Groups“ besprochen. Man merkt sich dann: Die Araber mögen die Juden nicht, die Russen können nicht so gut mit den Italienern. Dann hieß es, wenn die beiden Gruppen aufeinander treffen, müsse man aufpassen. Vielleicht ist es ein doofes Wort, aber das hatte etwas von Zierfischhaltung: Die kannst du zusammenpacken, die nicht. Das hat mich nicht wirklich aufs echte Leben und die Arbeit vorbereitet.

taz: Können Sie sich vorstellen, in den aktiven Dienst zurückzukehren?

M.: Da es ja sehr viele verschiedene Arbeitsbereiche bei der Polizei gibt, irgendwie schon. Der operative Dienst draußen auf der Straße wäre für mich aktuell nicht mehr vorstellbar.

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