Entwicklung der Pandemie in Deutschland: Wer stoppt die zweite Coronawelle?

Ist es an Deutschlands Bürger*innen oder an der Politik, einen zweiten Lockdown zu verhindern? Zwei Taz-Autor*innen sind unterschiedlicher Meinung.

Zwei Polizisten vor einer Kneipe.

Sperrstunde in Berlin: zwei Polizisten im Einsatz als Erzieher Foto: Christophe Gateau/dpa

Die Gesellschaft

Die Gesellschaft ist gefragt, etwas zu unternehmen, nämlich uns so verhalten, wie es uns der klare Menschenverstand auferlegt. Statt monatelang darüber zu diskutieren, ob wir mehr oder ­weniger Restriktionen, Beherbungsverbote und Restaurantschließungen brauchen, sollten wir uns so verhalten, dass kein neuer Lockdown nötig ist. Die meisten hierzulande verhalten sich auch so. Und doch debattieren Politiker*innen und Ge­sund­heitsexpert*innen über weitere Einschränkungen.

Für so manche Menschen, die einen Großteil ihres Lebens in der DDR verbracht haben, muss das anmuten wie aus einer vergangenen Zeit. Zu wach noch sind die Erinnerungen an die politische Elite in der DDR, die „für das Volk“ entschieden hat: Was ist richtig, was ist falsch? Vertrauen in die Entscheidungsfähigkeit der Bürger*innen gab es nicht.

Und zu wach mögen jene Zuschreibungen sein, die Ostdeutsche zuhauf nach der Wende erfahren haben: Die warten auf Ansagen, was sie tun sollen, von allein kommen die doch nicht aus dem Knick. Doch. Menschen kommen von allein aus dem Knick. Das zeigt sich in Krisenzeiten besonders deutlich. Und das erleben wir jetzt: Die meisten verhalten sich vorbildlich. Es geht schließlich um ihre eigene Gesundheit, um das eigene Leben – und um die eigene Freiheit. Freiheit, die alle aktiv gestalten sollten.

Damit ist mitnichten jener diffuse Freiheitsbegriff der Coronaleugner*innen gemeint, sondern die Freiheit in die eigene Verantwortlichkeit: Maske tragen, keine Tanzpartys und Massenaufläufe, Hygienestandards … Nicht der Staat ist für die Gesundheit der Menschen zuständig, sondern jede und jeder einzelne selbst. Der Staat sollte vielmehr dafür sorgen, dass das Gesundheitssystem gut ausgestattet ist, er sollte vor Risiken warnen und dafür sorgen, Umweltschädigungen zu vermeiden.

Der Staat verbietet ja auch nicht das Rauchen und Trinken, er verordnet keinen Sport und bahnt keine Ehen an, damit die Menschen nicht in Einsamkeit sterben. Dafür müssen sie selbst sorgen. Diese Selbstverantwortung sollte auch in einer Pandemie selbstverständlich sein. Simone Schmollack

Kanzlerin Merkel mit Söderun dMüller.

Kanzlerin Merkel am 14. Oktober nach dem Treffen mit den MinisterpräsidentInnen Foto: Stefanie Loos/reuters

Die Politik

Die Politik ist gefragt, über klare Maßnahmen zu entscheiden, weil die Minderheit der Unvernünftigen nicht auf freundliche Appelle hört. Die Unvernünftigen sind jedoch der Schlüssel dafür, diese Pandemie zu stoppen. Die große Mehrheit der Bürger:innen hat sich bislang richtig verhalten. Sie hält sich an das, was die Wissenschaft ihnen geraten hat: Masken ­tragen, Hände waschen, häufiges Lüften und viel Abstand halten reichen völlig aus, um seine Verbreitung zu stoppen.

Wenn sich alle daran halten würden, dann wäre das Virus unter Kontrolle. Doch genau das passiert nicht. Eine Minderheit meint zu glauben, Covid-19 stelle für sie keine Gefahr dar. So verständlich es ist, dass sie die Einschränkungen leid sind und nur ungern auf ihren wohl verdienten Herbsturlaub verzichten mögen – hier geht es um den Schutz fast der Hälfte der Bevölkerung. Nicht weniger als 40 Prozent der Deutschen gehören zur Risikogruppe.

Sie sind entweder über 60, sie rauchen, leiden unter Vorerkrankungen oder Übergewicht. Und auch das Ärzte- und Pflegepersonal ist qua Tätigkeit gefährdet. Sie alle gilt es zu schützen. Die Zeit drängt. Erneut befinden wir uns inmitten der exponentiellen Phase. Sollte es in den nächsten zwei Wochen nicht gelingen, sie zu stoppen, droht auch hierzulande die Pandemie außer Kontrolle zu geraten.

So hart es ist: Kneipen, Clubs, Bars und Restaurants, in denen die Abstandsregeln nicht eingehalten werden können, gehören geschlossen, ebenso Fitnessclubs und Kultureinrichtungen, die kein umfangreiches Belüftungskonzept vorweisen können. Ordnungsämter sollten sowohl gegen Großfeiern vorgehen als auch gegen Massenansammlungen, auf denen keine Masken getragen werden. Und Reisen? Infektiologisch bringen Beherbungsverbote wenig. Dennoch geht um die Signalwirkung.

Wenn keine dringende Notwendigkeit besteht, ist jetzt nicht die Zeit, zum Vergnügen quer durch die Republik zu reisen. All das sollte auf drei Wochen befristet sein. Sobald das exponentielle Wachstum gestoppt ist, muss rasch wieder gelockert werden. Auch dafür trägt die Politik die Verantwortung. Felix Lee

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.

war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.