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Krise der Konsum­kathedrale

Modernes Regieren bedeutet nicht, zu einer Wohlstandsvollkasko degenerieren zu müssen, der überdies jede langfristige materielle Basis fehlt

Illustration: Katja Gendikova

Von Niko Paech

Multiple Gegenwartskrisen decken nicht nur aufgestaute Unvereinbarkeiten auf, die sich vorübergehend hinter einer scheinbaren Normalität verbergen ließen. Sie gewähren auch Einblicke in den mentalen Überbau einer auf Sand gebauten Konsumkathedrale. Dafür liefert der Gaspreis-Blues ein mehrstrophiges Schaustück.

Verhöhnte es nicht jeden Sinn für Vorsorge, den Wohnraum innerhalb weniger Jahrzehnte derart expandieren zu lassen, dass seine Beheizung mittels heimischer Energievorräte in weite Ferne rückte? Immerhin hätten die begrenzten Gasvorräte durch Holz, Solarthermie, Geothermie und Nahwärmesysteme ergänzt und Neubau an den Passivhausstandard gebunden werden können.

Aber dies hätte sich nicht mit der Ideologie des Wohnraumangels vertragen, hinter der sich vorwiegend Luxusprobleme verstecken. Etwa das vermeintliche Recht, nach Belieben in jede Metropole ziehen zu können, während anderswo der Wohnraum und ganze Regionen verfallen. Oder ein Überhang an Vermögen, dessen Anlage in Eigentumswohnungen und Häusern keineswegs nur für Eliten lukrativ ist. Jedenfalls hat sich der pro Kopf beanspruchte Wohnraum seit Mitte der 50er Jahre mehr als verdreifacht.

Parteiübergreifende Klimaschutzforderungen, schädliche Handlungen zu verteuern, um Sparanreize zu setzen, entpuppen sich nunmehr als Gewissen beruhigendes Ritual. Denn kaum wird durch äußere Umstände oktroyiert, wovor sich die Politik jahrzehntelang drückt, will eines der reichsten Länder außerstande sein, Energiepreise zu zahlen, die nicht (mehr) auf ökologischem Dumping und einer riskanten Aufgabe ökonomischer Autonomie basieren. Sind die Preise eingedenk der unbestrittenen Logik ökologisch „wahrer“ Kosten derzeit zu hoch oder waren sie vorher zu gering? Dem lässt sich elegant ausweichen, indem auf drohende Armut verwiesen wird, die sich sodann zu einem Schutzschild aufblasen lässt, hinter dem die anderen 85 Prozent ihren Wohlstand ebenso wirksam gegen notwendige Mäßigungen verschanzen können.

Mit der sogenannten „Energiewende“ wurde die Klimarettung bei gleichzeitig wachsendem Komfort versprochen. Wäre dieser grünen Wachstumsutopie auch nur geringer Erfolg beschieden gewesen, müsste sich das in dieser Stunde der energiepolitischen Wahrheit zeigen. Und? Stromimporte, Kohlekraftwerke, schmutzige Geschäfte mit Katar, ökologisch desaströse LNG-Terminals und drei Reserve-AKWs sind nach einem Vierteljahrhundert die Quittung für eine erneuerbare Technologiebrechstange, mit der zwar Landschaften traktiert, aber weder Versorgungssicherheit noch nennenswerte Emissionsminderungen erreicht wurden. Nun wird das Gaspedal der Planierraupe erst recht durchgedrückt, indem geschützte Naturareale geschliffen werden sollen – vom ersten grünen Wirtschaftsminister.

Heizkostenrechnungen bilden das Produkt aus Preis und Menge. Die aufgeregte Blickverengung auf den Preis soll wohl die bequeme, aber ulkige Vorstellung befördern, dass deutsche Haushalte bislang nichts anderes zu tun hatten, als ihre Heizungsanlage, die durchschnittliche Raumtemperatur, das Lüftungsverhalten, den Warmwasserverbrauch, insbesondere die Duschhäufigkeit, den Zustand der Gebäudehülle und – vor allem – eine energiebewusste Kindererziehung derart zu optimieren, dass nun alle Einsparpotenziale ausgeschöpft seien.

Spaß beiseite. Tatsächlich besteht derzeit die Chance, endlich einen realistischen Umgang mit Energie einzuüben. Dazu reicht es nicht, vorhandene Immobilien und das Nutzerverhalten anzupassen, sondern keinen Quadratmeter Fläche mehr durch Wohnraum zu zerstören, der alle Einsparbemühungen auffrisst. Es sagt einiges über die Verfassung einer Gesellschaft aus, dessen Regierung Klimaschutzkompetenz reklamiert, jedoch weiterhin 400.000 neue Wohnungen pro Jahr verspricht.

imago

Niko Paech

61, ist Professor für Plurale Ökonomik an der Universität Siegen. Er hat den Begriff der „Postwachstumsökonomie“ geprägt. Sein Buch „All you need is less“ (mit Manfred Folkers) ist 2020 erschienen.

Wenn das Gas im Winter zwar reicht, sich aber prägnant verteuert, wie viele Haushalte werden dann notleidend? Nichts spräche dagegen, in Einzelfällen Hilfe zu gewähren, sofern diese begründbar ist – aber daran will sich niemand die Finger verbrennen. Denn Wahlen lassen sich nur im Gießkannenmodus gewinnen. Eine Spätmoderne, in der Sparsamkeit und eigenverantwortliche Krisenvorsorge als hinterwäldlerisch diskreditiert sind, begünstigt Lebensmodelle, die finanziell „auf Kante genäht“ sind. Und das gilt nicht nur für die untersten Einkommensklassen.

Wie hoch ist mittlerweile die als unantastbar verteidigte Ausstattung mit Mobilität, Urlaub, Konsum, Wohnraum, Digitalisierung, Komfort und so weiter, durch die so viel Einkommen ausgeschöpft wird, dass jeder Puffer fehlt? Obendrein wurden mit den materiellen Lebensverhältnissen auch die damit einhergehenden Energieverbräuche angeglichen, und zwar nach oben. Deren Verteuerung trifft auf eine systematisch fragil gewordene Daseinsform, die als sozialer Erfolg gefeiert wird. Konsumgesellschaften haben sich in ein Labyrinth unerfüllbarer Wohlstandsversprechen verrannt. Mit dem Lebensstandard wuchsen die Hilflosigkeit und ein Gegenwartsbewusstsein, das den Staat verantwortlich dafür macht, jedes einmal erreichte Versorgungsplateau zu konservieren – inklusive aller Verteilungsunterschiede, andernfalls würden nur die absolut Bedürftigen unterstützt. Wo findet sich bei Cicero, Hoppes, Locke, Montesquieu oder im Grundgesetz noch gleich die Passage, in der steht, dass moderne Regierungen zu einer Wohlstandsvollkasko degenerieren müssen, der überdies jede langfristige materielle Basis fehlt?

Das heilige Tabu, wonach Wohlstand niemals sinken darf, wird absehbar proaktiv „by design“ oder schicksalhaft „by desaster“ erodieren. Ersteres könnte als dezentraler zivilgesellschaftlicher Prozess oder durch politische Steuerung gestaltet werden. Überzogene Ansprüche lassen sich sozialpolitisch integer zurückbauen, wo maximalen Schäden nur minimale Rechtfertigungsgehalte gegenüber stehen. Fühlen sich Hartz-IV-Bezieher benachteiligt, wenn Kreuzfahren, SUV und anderer Prestige-Konsum abgeschafft würden?

Wer erkrankte oder verhungerte jemals, wenn er/sie nach dem Abi nicht nach Neuseeland flog? Dekadenten Luxus von Grundbedürfnissen zu trennen, wäre zudem ökonomisch effizient. Demnach sind knappe Ressourcen dort einzusetzen, wo ihr Fehlen fatal wäre: Ist die Stromversorgung von Smartphones für Sechsjährige genauso hoch zu bewerten wie die einer Intensivstation?

Was einer zukunftsbeständigen Lebensweise entgegensteht, ist kein Mangel an staatlicher Fürsorge oder technischen Innovationen, sondern eine Verkümmerung individueller und kollektiver Befähigungen zur Selbstbegrenzung sowie teilweise autonomen Versorgung. Die resultierende Konsumabhängigkeit droht inzwischen, moderne Freiheitsgewinne umzukehren. Eine populistische Politik des Geschenkeausteilens oder einer Güterrationierung, ähnlich der britischen Kriegswirtschaft, wie jüngst vorgeschlagen, löst dieses Problem gerade nicht, sondern verschleppt es. Um ein reduziertes Volkseinkommen makroökonomisch abzufedern, bestünden zwei sich ergänzende Optionen.

Das heilige Tabu, wonach Wohlstand niemals sinken darf, wird erodieren

Erstens ließe sich die wegbrechende Nachfrage vorübergehend (!) durch den Einkommenseffekt öffentlicher Investitionen ausgleichen, aber nicht, um bisherige Konsummuster künstlich aufrechtzuerhalten, sondern um eine Postwachstumsstrategie vorzubereiten. Rückbauprogramme für Flughäfen, Autobahnen, Häfen, Agrarfabriken, bestimmte Industriesektoren, ruinöse Sport- und Freizeitanlagen sowie Renaturierungen, Entsiegelungen, Aufforstungen, Konversionen und Umrüstungen einer noch immer vorhandenen, aber verkleinerten Industrie würden übergangsweise zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, ohne den bisherigen Expansionismus fortzusetzen, sondern Strukturen für eine kleinere Ökonomie zu legen. Würde zudem die Wochenarbeitszeit schrittweise auf durchschnittliche 20 Stunden reduziert, ließe sich nach dem Rück- und Umbau Vollbeschäftigung erzielen.

Zweitens wären parallel dazu dezentrale Versorgungssysteme und – vor allem – individuelle Befähigungen zu stärken, damit Lebensstile weniger abhängig von Konsum, Mobilität, Technologie und globalen Verflechtungen werden. Ein achtsamer Umgang mit Gütern, insbesondere Netzwerke der Reparatur, Gemeinschaftsnutzung, des regionalen Nahrungsmittelanbaus sowie handwerkliche Fertigungspraktiken legen eine Umkehrung aktueller Bildungs- und Erziehungsmaximen nahe. Der Akademisierungswahn und die Digitalisierung wären hart einzugrenzen. Beides verhindert ein ökologisch verantwortbares und krisenrobustes, also sesshaftes, auf produktiver Arbeit und ergänzender Selbstversorgung basierendes Dasein.

In jeder Kommune wären Ressourcenzentren und andere Lernorte einzurichten, an denen Praktiken einer urbanen Subsistenz eingeübt werden können. Nicht nur handwerkliche, sondern mehr noch landwirtschaftliche Arbeit wäre vom Stigma der Minderwertigkeit zu befreien, um junge Menschen zu motivieren, in diesem Sektor tätig zu sein. Dies gelänge mittels kleinbäuerlicher, ökologischer und tiergerechter Erzeugung sowie kürzerer Arbeitszeiten, angemessener Einkünfte und demokratischer Mitgestaltung.

Statt die Titanic mit einem grünen Antrieb aufzuhübschen und die Cocktailpreise zu subventionieren, wäre es überfällig, wendige und sparsame Rettungsboote zu bauen, also endlich auf eine Lebensstilpolitik zu setzen.

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