Energiewende bizarr in Bayern: Selbstversorgung verboten
Ein bayerischer Unternehmer darf an sonnigen Tagen keinen Strom für den Eigenbedarf erzeugen. Sonst droht Schadensersatz.
Eigentlich macht die Metzgerei Feinkost Keller in Langenbach im Landkreis Freising alles richtig: Um die Stromrechnung des Betriebs spürbar zu senken, investierte Augustin Keller vor zwei Jahren in eine große Photovoltaikanlage auf den Firmendächern. Mit einer installierten Leistung von 216 Kilowatt bringt sie gut 200.000 Kilowattstunden im Jahr. Die Anlage wurde so konzipiert, dass sie das Netz kaum beansprucht, denn rund 80 Prozent des Stroms sollte direkt im Unternehmen verbraucht werden. „Ich habe sogar einige Abläufe im Betrieb neu organisiert, um energieintensive Arbeitsschritte bevorzugt in die Mittagsstunden zu legen, wenn ich eigenen Solarstrom habe“, sagt der Firmenchef. Rechnen sollte sich die Anlage durch den deutlich reduzierten Bezug von Netzstrom. Die Einspeisevergütung für den Überschussstrom sei für die Kalkulation kaum relevant, sagt Keller, sie sei nur „das Zuckerl obendrauf“. Energiewende, wie sie sein soll.
Doch Keller hatte die Rechnung ohne die Überlandwerke Erding gemacht, die in Langenbach das Netz betreiben. Denn immer, wenn das Netz durch die vielen Solaranlagen Oberbayerns überlastet ist, stellt das Überlandwerk die PV-Anlage des Feinkostbetriebs von Ferne komplett ab. „Zehn Minuten vorher bekomme ich eine Mail“, sagt der Unternehmer. Ginge es nur darum, die Einspeisung zu stoppen, weil das Netz überlastet ist, hätte Keller nichts dagegen. Wenn Strom nicht mehr abfließen kann, weil das Netz das physikalisch nicht zulässt, bleibt keine andere Wahl. Zudem wäre das für ihn auch kein Verlust, da Anlagenbetreiber für abgeregelte Mengen vom Netzbetreiber entschädigt werden.
In Langenbach jedoch legt das Überlandwerk gleich die ganze Solaranlage still, oft für sechs oder sieben Stunden am Tag. So kann der Metzgereibetrieb gerade in den ertragreichsten Mittagsstunden seinen Eigenbedarf nicht mehr durch günstigen Solarstrom decken, sondern muss teureren Netzstrom zukaufen. An einem sonnigen Tag kann das Zusatzkosten von 500 Euro bedeuten. Bei mitunter zehn solcher Sperrtage in einem Monat kommen Beträge zusammen, die für einen kleinen mittelständischen Betrieb bedrohlich sind. Technisch sei das Problem ganz einfach lösbar, sagt der Anlagenbetreiber. Man müsse lediglich in der Software der Steuerung ein Häkchen anders setzen und schon werde nicht mehr die gesamte Anlage abgeschaltet, sondern nur die Einspeisung unterbunden – was rein physikalisch gesehen auch das Einzige ist, was das Überlandwerk überhaupt zu interessieren hat.
Das Überlandwerk Erding stellt sich stur
Entsprechend bestätigt auch der Verband kommunaler Unternehmen: „Selbst erzeugter und nicht für die Netzeinspeisung, sondern für den Selbstverbrauch bestimmter Strom muss nicht ‚gestoppt‘ werden, da er keinen Einfluss auf den Engpass im Versorgungsnetz hat.“
Doch das zuständige Überlandwerk Erding stelle sich stur, klagt Keller. Auch gegenüber der Presse bleibt der Netzbetreiber wortkarg. Die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage man die Anlage vollständig abschalte, anstatt einfach nur die Einspeisung zu stoppen, wehrt das Unternehmen ab: Man habe für eine Antwort darauf „derzeit keine personellen Ressourcen“. Offen bleibt damit auch die zweite Frage: Wie stehen die Stadtwerke zum Thema Schadensersatz? Einen solchen nämlich hält der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW-Solar) in derartigen Fällen für angemessen. Regle der Netzbetreiber eine Photovoltaikanlage so weit ab, dass der Eigentümer zusätzliche Leistung aus dem Stromnetz beziehen muss, dann entstehe „für diese Bezugsleistung ein Anspruch auf finanziellen Ausgleich“, so der BSW-Solar. Passagen im Energiewirtschaftsgesetz legen diese Interpretation nahe.
Der Verband beruft sich zudem darauf, dass „im europäischen Energierecht die Eigenversorgung aus erneuerbaren Energien besonderen Vorrang“ genieße. Der Eigenverbrauch sei „geschützt durch die EU-Elektrizitätsbinnenmarktverordnung“. Daraus ergebe sich „die Verpflichtung für die Mitgliedsstaaten, in ihren Umsetzungsrichtlinien und Verfahrensweisen den Eigenverbrauch zu berücksichtigen und zu schützen“, erklärt BSW-Geschäftsführer Carsten Körnig. Metzgerei-Chef Keller will unterdessen weiterkämpfen. Auch an Politiker sei er schon herangetreten, sagt er. Bislang ohne Erfolg, doch die Hoffnung bleibt, dass er irgendwann den eigenen Strom ungestört nutzen kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos