Energiesubventionen für Unternehmen: Licht aus oder Deckel drauf
Energieintensive Firmen drohen wegen hoher Stromkosten abzuwandern. Minsterpräsident Weil drängt auf einen ermäßigten Strompreis.
Doch in den Worten der Präsidentin von Dow Chemical für Deutschland, Österreich und die Schweiz schwingt eine eiskalte Warnung mit: Wenn die Produktionskosten in Deutschland weiterhin so hoch bleiben, wird der Konzern woanders investieren. 37.000 Mitarbeiter:innen beschäftigt der Konzern weltweit, jeden zehnten davon in Deutschland.
Das Problem sind aus Sicht des Chemiekonzerns vor allem die hohen Energiekosten. Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und dem Einbruch der Gaslieferungen müssen viele Unternehmen auf Strom umstellen, die Preise steigen. Das trifft vor allem Betriebe, die viel davon verbrauchen.
Wie Dow Chemical in Stade, wo mittels Elektrolyse in meterhohen Anlagen Sole in Chlor, Natronlauge und Wasserstoff zerlegt wird. Chlor ist Grundstoff für zahlreiche weitere Produkte von Turnschuhsohlen bis zur Bremsflüssigkeit. Fünf Terawattstunden verbraucht Dow pro Jahr, das ist etwa ein Prozent des gesamten deutschen Verbrauchs. Damit sei man zweitgrößter Konsument hinter der Deutschen Bahn, betont das Unternehmen gern. Was vor dem Krieg als Ausweis wirtschaftlicher Relevanz galt, wird nun zum Problem, denn im Mutterland USA ist der Strom dreimal günstiger als in Deutschland.
Ministerpräsident Weil fürchtet Einbruch von Investitionen
Schlenz und die Stader Werksleitung setzen daher auf politische Unterstützung. Zu Gast in Stade ist an diesem Tag Ende Juni der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil. Der Sozialdemokrat fordert seit einigen Monaten einen ermäßigten Industriestrompreis für energieintensive Unternehmen und hat im April ein Konzept dazu vorgelegt. Nun drückt er aufs Tempo. Er wolle nicht, dass ein gesundes Unternehmen abwandere, weil es im Moment unrentabel sei, hier zu produzieren. „Wenn keine Entscheidung fällt, werden Investitionen nicht in Deutschland stattfinden und Strukturen wegbrechen“, sagt Weil.
Das ist keine unbegründete Angstmacherei. Dow etwa hat im vergangenen Jahr Verluste gemacht und bereits zu Jahresbeginn den Abbau von 2.000 Stellen weltweit verkündet, darunter 45 in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Weil hat vorgeschlagen, den Strompreis für solche energieintensiven Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, von durchschnittlich 20 auf 7 Cent zu deckeln. Ein solcher Brückenstrompreis, wie Weil ihn auch nennt, soll helfen, die Kosten zu senken, bis genügend günstiger Strom aus erneuerbaren Energien da ist. Die anderen Bundesländer hat Weil auf seiner Seite.
Auch die Gewerkschaften finden den Plan gut: DGB, die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) und die IG Metall unterstützen einen Industriestrompreis. Vorausgesetzt, die Unternehmen, die davon profitieren, sichern den Erhalt von Arbeitsplätzen zu und bekennen sich zu Tarifverträgen.
Selbst die Linkspartei, der global agierende Großkonzerne eigentlich suspekt sind, ist dafür offen. „Wenn die Grundstoffindustrie wegfällt, hat das dramatische Auswirkungen auf den gesamten Industriestandort“, so der industriepolitische Sprecher der Linksfraktion, Alexander Ulrich, im März. Die Bundesregierung müsse endlich handeln.
Wieder Uneinigkeit bei der Ampel
Doch die Ampel ist auch in dieser Frage gespalten. Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen ist für einen subventionierten Strompreis. In einem im Mai veröffentlichten Papier machte er den Vorschlag, den Unternehmen einen auf 6 Cent gedeckelten Preis für 80 Prozent ihres Stromverbrauchs zu garantieren. Die FDP – eigentlich Unternehmerpartei – ist dagegen, weil das den Markt verzerre. Dabei bekommt sie Unterstützung von Wirtschaftswissenschaftler:innen, die man eher aufseiten der Grünen vermutet. Die Energieexpertin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Claudia Kemfert, findet einen solchen Billig-Strompreis „teuer und unfair gegenüber nicht privilegierten Unternehmen und Haushalten“. Und der Ökonom Achim Wambach, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums, warnt vor einem „Subventionswettlauf“.
Ein wesentlicher Grund für die Skepsis der FDP dürften vor allem immense Kosten sein, die sich auf geschätzte 25 bis 30 Milliarden summieren. Geld, das FDP-Finanzminister Christian Lindner nicht hat. Den Vorschlag, das Geld in Form von Krediten aus einem der beiden Schattenhaushalte, dem Klima- und Transformationsfonds oder dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds zu nehmen, weist der Finanzminister ebenfalls rigoros zurück. Den Krisenfond dafür zu nutzen, verbiete sich aus verfassungsrechtlichen Gründen. Und Olaf Scholz? Der Bundeskanzler hatte mal für einen ermäßigten Strompreis geworben, seit einiger Zeit hält er sich jedoch zurück. Es wäre besser, die Stromkosten durch schnelle Ausweitung von Ökostrom zu senken, sagte er neulich während der Besichtigung eines Erdwärmekraftwerkes in Kenia.
Doch am Ausbau der erneuerbaren Energien hapert es noch. Eigentlich soll das vor einem Jahr verabschiedete Windenergie-an-Land-Gesetz die Planungszeiten für Windkraftanlagen halbieren. Doch die Ämter wüssten nicht, wie sie das Gesetz anwenden sollen, sagt Alexander Heidebroek, der unter anderem einen neuen Windpark im niedersächsischen Gevensleben hochzieht. „Dann heißt es, wir können die Planung nach dem alten Gesetz machen, dann wissen Sie wenigstens, wie lange sie dauert.“
Auch seine Ehefrau Bärbel Heidebroek, die Bundesvorsitzende des Windenergieverbands ist, sieht einen Industriestrompreis kritisch. Zweifelsohne gebe es die reale Gefahr, dass Industrie abwandert. „Andererseits könnte ein Industriestrompreis den falschen Anreiz setzen, keine Energie zu sparen und Alternativen, die sich gerade entwickeln, wieder unattraktiv machen.“ Heidebroek nennt Direktverträge, sogenannte PPA, die Unternehmen mit Windparkbetreibern schließen. Dadurch ließe sich der Strompreis langfristig und günstig absichern.
Schwedische Batteriehersteller Northvolt sagt Fabrikbau ab
Auf solche Langfristverträge setzt auch Volkswagen, das derzeit über seine Tochterfima VW Technology in Salzgitter ein Werk zur Fertigung von Batterien für E-Autos hochzieht. Noch steht nur der Rohbau, bereits 2025 soll die Produktion starten. Man werde jedes Jahr einen oberen dreistelligen Betrag an Gigawattstunden an Strom brauchen, heißt es aus dem Konzernvorstand. Der soll zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien kommen. Dennoch fordert auch VW einen Industriestrompreis. „Ohne die 7 Cent wird es keine wettbewerbsfähigen Batterien aus Deutschland geben“, meint Konzernvorstand Thomas Schmall. Der schwedische Batteriehersteller Northvolt hat den geplanten Bau einer Fabrik in Emden kurzfristig wieder abgesagt. Laut Medienberichten hieß es: Die Strompreise in Deutschland seien zu hoch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs