Einreise von Geflüchteten: Wer hat Angst vorm „Afghanen-Flieger“?
Gefährdete Afghanen kommen nach Deutschland – und Medien und Politik kübeln ihren Hass aus. Dabei sollten noch mehr Menschen in Sicherheit gebracht werden.
D ie Noch-Bundesregierung evakuiert in ihren letzten Tagen gefährdete Afghaninnen und Afghanen aus Pakistan – und die Angst- und Panikmache könnten wieder einmal nicht größer sein. Mehrere Medien, allen voran die Bild, bemühen Begriffe wie „Flüchtlings-Jets“, „Baerbock-Flieger“ oder „Afghanen-Flieger“, während führende Politiker sich echauffieren.
„Ich finde das grundfalsch und anmaßend“, meinte etwa CDU-Fraktionsvize Jens Spahn. Er will in Zukunft keine Menschen mehr aus Afghanistan aufnehmen, sondern „Straftäter und Gefährder“ dorthin abschieben. Natürlich würde dies einen Deal mit den militant-islamistischen Taliban, die derzeit das Land regieren, erfordern, doch darüber will niemand sprechen. Stattdessen geht es in erster Linie um Stimmungsmache und Entmenschlichung.
Dies wird allein schon daran deutlich, wie über Menschen, die vor Krieg, Terror und Unterdrückung flüchten müssen, gesprochen wird. Man könnte meinen, dass es sich bei den Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Lehrerinnen, Universitätsdozenten oder ehemaligen Ortskräften, die seit Monaten, teils sogar Jahren auf ihre Weiterreise warten, um Pest, Cholera und eine barbarische Horde von Terroristen und Messerstechern handeln würde.
Es sind Afghanen und Afghaninnen, die vor Katastrophen fliehen, doch im „politischen Berlin“ und anderswo wird suggeriert, dass die Katastrophe nun per Direktflug über Deutschland hereinfällt, was natürlich die Rechten und Rechtsextremen stärker machen würde.
Westliche Länder in der Verantwortung
Dieser Diskurs, der seit Monaten geführt wird, könnte gar nicht menschenfeindlicher und ignoranter sein. Dabei war es der absolut gescheiterte „War on Terror“, der die Taliban nicht besiegte, sondern zurück an die Macht brachte.
Jeder Mensch aus Afghanistan, der für dieses vermeintliche Demokratieprojekt sein Leben riskierte, hat das Recht, nach Deutschland zu kommen. Und ja, das betrifft nicht nur die Dolmetscher der Bundeswehr, sondern auch jeden Koch und Taxifahrer, der für westliche Truppen, NGOs oder Journalisten tätig war. Jeglicher Klassismus ist fehl am Platz.
Jene Menschen, die dieser Tage in Deutschland landen, sind bei Weitem nicht alle, denen dieses Recht zusteht. Ein großer Teil der Gefährdeten harrt weiterhin in Pakistan aus, das derzeit afghanische Geflüchtete in Massen abschiebt. Im deutschen Wahlkampf machten rechte Medien Stimmung gegen sie, weshalb die Bundesregierung ihre Sicherheitsprotokolle verschärfte und weniger Menschen aufnahm.
Und dann gibt es natürlich all jene, die sich immer noch im Taliban-Emirat in Afghanistan befinden. Sie verstecken sich, zensieren sich, haben Angst und versuchen einfach nur verzweifelt, durch den Tag zu kommen.
Ich habe Kollegen, die nicht mehr ihrer journalistischen Tätigkeit nachgehen können oder sich vor ihren neuen Taliban-Nachbarn fürchten, während hierzulande über Bürokratie und andere Belanglosigkeiten diskutiert wird. Auch deshalb habe ich mich von vielen dieser Scheindebatten, die vor Unwissenheit, Scheinexpertentum und Rassismus triefen, verabschiedet. Sie haben weder mit meiner Realität noch mit jener der Menschen in Afghanistan zu tun.
Der Trumpismus in Berlin
Währenddessen wird der Alltag für Geflüchtete aus Afghanistan global immer düsterer. US-Präsident Donald Trump, der einst die größte nichtnukleare Bombe des US-Militärs über Afghanistan abwarf und später mit den Taliban jenen Deal machte, der für die heutige Misere mitverantwortlich ist, verkündete vor Kurzem, den Schutzstatus für rund 15.000 Afghanen aufheben zu wollen. Sie sollen das Land verlassen, ansonsten drohten „Zwangsmaßnahmen“. Evakuierungen aus Afghanistan haben die USA bereits vollkommen eingestellt.
Auch die kommende Bundesregierung will das Afghanistan-Aufnahmeprogramm einstampfen. Denn der Trumpismus ist schon längst in Berlin angekommen.
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