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Einigung beim EU-GipfelDie nächste Krise ist beschlossen

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Die EU hat sich entlarvt: Sie ist keine solidarische Werteunion, sondern eine Gemeinschaft der Egoisten, die nur im äußersten Notfall hilft.

Ein langes, unbefriedigendes Ringen mit dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte (l.) Foto: Stephanie Lecocq/dpa

D en Negativrekord für den längsten und quälendsten EU-Gipfel aller Zeiten haben sie nur knapp verfehlt. Lediglich ein paar Minuten fehlten, dann hätten Gastgeber Charles Michel und Kanzlerin Angela Merkel am Dienstag den unseligen Gipfel von Nizza im Jahr 2000 überboten.

Nun haben sie sich doch noch zusammengerauft. Im Morgengrauen fiel am Dienstag in Brüssel der Beschluss für das größte Finanzpaket aller Zeiten. 1,8 Billionen Euro haben Michel und Merkel bis 2027 lockergemacht, um sich gegen die Krise zu stemmen. Brüssel wird kein zweites Nizza.

Dennoch bleibt ein bitterer Nachgeschmack nach diesem zweitlängsten Gipfel der EU-Geschichte. Und das liegt nicht nur an Zugeständnissen der letzten Minute, mit denen die späte Zustimmung erkauft wurde. Es liegt auch und vor allem am unseligen Geschacher der letzten Tage.

„Geiz ist geil“ – dieser Werbespruch schien tagelang das neue Motto der EU zu sein. Vor allem die „Frugal Four“, also die geizigen Nordländer, hatten es darauf angelegt, die Coronahilfen für den Süden zusammenzustreichen und sich gleichzeitig milliardenschwere Rabatte zu sichern.

Wie im Sommerschlussverkauf ging es in den letzten Stunden dieses Gipfel-Marathons zu. Michel und Merkel stockten die Nachlässe für die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden weiter auf, gleichzeitig wurden die Budgets für Forschung und Studenten zusammengestrichen.

Dieser Sieg schmeckt wie eine Niederlage. Denn vier Tage lang haben die EU-Granden vorgeführt, wie sie wirklich denken: national und egoistisch

Merkel, die im Vorfeld als „Retterin der EU“ gefeiert worden war, machte gute Miene zum bösen Spiel. Tagelang ließ sie den niederländischen Premier Mark Rutte gewähren. Zeitweise hatte man den Eindruck, nicht Merkel und Michel, sondern Rutte führe die Regie in Brüssel.

Am Ende nickte die Kanzlerin eine windelweiche Rechtsstaatsklausel ab, die Ungarns Regierungschef Viktor Orbán als „Sieg“ feiert. Und schließlich genehmigte sie sich noch ein paar hundert Millionen für die ostdeutschen Länder – ein Schnäppchen kurz vor Toresschluss.

So läuft es eben bei EU-Gipfeln, sagen die Diplomaten und Unterhändler, am Ende müssen sich alle als Sieger präsentieren können. Doch dieser Sieg schmeckt wie eine Niederlage. Denn vier Tage lang haben die EU-Granden vorgeführt, wie sie wirklich denken: national und egoistisch.

Die gefährlichen Reflexe der Coronakrise sind immer noch am Werk. Bei diesem Gipfel traten sie sogar stärker zum Vorschein denn je. Die EU präsentierte sich nicht als solidarische Werteunion, sondern als Notgemeinschaft der Egoisten, die nur im äußersten Notfall hilft, unter strengen Bedingungen.

Dass am Ende doch noch das größte Hilfspaket aller Zeiten verabschiedet wurde, macht es nicht viel besser. Denn zum einen wurden die Zuschüsse gekürzt – von 500 auf 390 Milliarden Euro. Zum anderen wird das Geld mit der Gießkanne verteilt und nicht nach Hilfsbedürftigkeit.

Die neuen Schulden müssen zurückgezahlt werden, und das EU-Budget für 2021 bis 2027 wurde gekürzt

Im Ergebnis dürften die Zuschüsse aus Brüssel gerade einmal ausreichen, um die größten Budgetlöcher in Rom, Madrid oder Athen zu stopfen. Als Konjunkturprogramm mit „Wumms“ taugen sie nicht. Und wenn die Hilfen ausgezahlt sind, wird die EU auch noch auf Sparkurs gehen.

Denn die neuen Schulden müssen zurückgezahlt werden, und das EU-Budget für 2021 bis 2027 wurde gekürzt. Womit wir wieder bei Nizza wären. Der Gipfel an der Cote d’Azur endete vor 20 Jahren mit einem Ergebnis, das sich als unzureichend erwies und die EU in die nächste Krise führte.

Diesmal könnte es ähnlich laufen. Brüssel hat den Negativrekord von Nizza nicht gebrochen. Doch den Weg in eine bessere Zukunft hat dieser Gipfel auch nicht gewiesen.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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13 Kommentare

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  • Ich war mal ein großer EU-Fan inklusive kleiner Flagge auf meinem Schreibtisch. Die habe ich schon lange wieder weggenommen. Es hat alles nicht geklappt. Gut, offene Grenzen und überall dieselbe Gurkenkrümmung. Das ist ja insoweit auch nock ok, aber der Rest? Francois Mitterand hat mal gesagt:"Der Euro ist wie Versaille nur ohne Krieg." Und ich sehe noch den Herrn Waigel mit seinen buschigen Augenbrauen, wie er in die Kamera sagt: "Wir dürfen ja gar nicht für die anderen bezahlen." Alles schiefgegangen. Und wenn uns die Damen und Herren große Politiker vormachen, daß man Zusagen nicht einhalten muß, dann sollten die sich auch nicht darüber wundern, daß das der kleine Bürger genauso anfängt zu sehen.

    • @Thomas Schöffel:

      Ich bin noch immer ein großer Fan der EU. Nur bedauerlicherweise haben wir seit Herrn Berlusconi & Co. immer wieder nationale Politiker, die ihren eigenen Landsleuten erzählen, dass die EU zur Unterstützung verpflichtet sei (was laut Vertragstexten ausdrücklich nicht der Fall ist). Erst seitdem wird immer wieder Solidarität eingefordert, welche sich nicht aus den Verträgen entnehmen lässt.

      Bedauerlicherweise sehen wir eine immer stärkere Aufweichung der ursprünglich getroffenen Regelungen und einen explodierenden Haushalt.

  • Die EU ist in ihrer derzeitigen Verfasstheit nicht zukunftsfähig. Wäre sie ein Staat könnte man sie schon längst als "failed state" bezeichnen. Es hilft nur noch ein radikaler Schnitt. Orban und Co. wird man nicht mehr los. Der "harte Kern" oder wie auch immer sollte geschlossen austreten und parallel neugründen und dabei grundlegende Fehler vom ersten Mal vermeiden.

  • Die EU hat sich entlarvt: Sie ist keine solidarische Werteunion, sondern eine Gemeinschaft der Egoisten, die nur im äußersten Notfall hilft.



    Lange gebraucht für diese Erkenntnis....



    Aber man hat sich geeinigt, ist doch auch was. Besser gelaufen als in der Flüchtlingskrise.

  • Den Corona-Hilfsfonds verstehe ich so, dass mit den hunderten Milliarden € die durch Corona geschwächte Wirtschaft der „Süd-Länder“ in Schwung gebracht werden soll. Ich hatte nur nicht verstanden, warum dies nur mit sozusagen „geschenktem“ Geld möglich sein sollte. Wenn das Geld klug eingesetzt und so das Ziel erreicht wird, wird es doch möglich sein, dieses Geld samt Zinsen zurückzuzahlen? Letzen Endes hat sich wohl diese Meinung durchgesetzt.



    OK, es wurde ein Kompromiss erreicht, mit dem keine Seite 100% zufrieden sein kann. Die Erfahrung lehrt aber, dass ein Kompromiss, mit dem alle unzufrieden sind, am längsten hält. Anderenfalls wurde ein Formelkompromiss erreicht, der jeden das Gesicht wahren lässt, aber niemand nützt.

  • es ist doch illusorisch von einer "solidarischen Werteunion" zu träumen.



    Staaten sind keine Menschen - so einfach ist das nicht . Es ist auch gut so das sie ewig lange verhandelt haben und keine Schwäche. und am Ende gab es keinen "begeisterten Applauss" über den Kompromiss.

  • Das so ähnlich erwartete Ergebnis, was es nicht weniger frustrierend macht.

    Dazu noch die Knieschüsse durch Kürzung der Forschungsgelder, es ist zum Haare raufen.

  • Der Autor fordert nicht Solidarität, sondern Subventionierung falscher Politik zu Lasten der Länder, die seit Jahrzehnten hohe Abgaben und Leistungen ihrer Bürger fordern. Italien, Spanien und Frankreich haben ein früheres Renteneintrittsalter, eine höhere Rente, niedrigere Steuern und die Bürger ein 3 mal so hohes Medianvermögen wie Deutschland.



    Die geldpsenden sind noch viel zu hoch.

  • Dieser Nationalismus der hier an den Tag gelegt wurde ist hoffentlich nur vorübergehend ansonsten; Gute Nacht Zukunft Europäische Union.

    Von Anfang der 90er bis Mitte der 00er war für mich die EU ein Vorbild für eine demokratische Staatengemein- schaft die zeigt, das es möglich ist nationale Interessen hinten an zu stellen. Meine Hoffnung ist, das der europäische Gedanke weiterhin mit massiven Austauschprogrammen von Menschen, nicht nur Schüler / Auszubildende (WAR ICH) und Studenten eingeprägt wird. Wenn hier die Mittel zusammengestrichen werden dann ist endgüktig Schluss mit einer EU die für die Bürger dasteht dann sind wir wieder bei den Anfängen, d.h. vor 1992 Maastricht.



    Zitat aus dem Artikel :"Budgets für Forschung und Studenten zusammengestrichen"

  • Völlig "überraschend" diese Ergebnisse!

    Mein Kommentar vom 31. Mai, unter "Noch ist nichts gewonnen" von E. Bonse.

    "Ob es überhaupt eine europäische Solidarität geben kann, wenn Eigennutzinteressen dominieren; bezogen auf die jeweiligen Nationalökonomien und damit dem Wohlstandversprechen für die Wählerschaften? Zweifel sind angebracht, die nur durch geschicktes Polit-Marketing zerstreut werden können. Ob es hilft, bleibt abzuwarten. Außerdem: Welchen Wert eine Solidarität hat, die erkauft werden muss, soll jeder für sich entscheiden. Von den unterschiedlichen nationalen Vorstellungen über den Wert von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mal ganz abgesehen.

    Über die Frage, wofür die Milliarden ausgegeben werden sollen, hören wir nichts. Die Rede vom "Wiederaufbau" ist keine Rede von Veränderung oder Erneuerung; ist keine Rede von Chance nutzen für eine andere Ökonomie, die ihre Prioritäten auf Zukunftsverantwortung richten will. Im Gegenteil, dominieren wird die Unterstützung alter/bestehender Strukturen und ein paar wenige Öko-Nischen-Projekte, die das Klima- und Umweltgewissen beruhigen sollen und die genügend Wachstumspotential haben.

    Für die großen Geldmengen gibt es nicht genügend "andere" Projekte/Strukturen und nicht genügend Lobbyisten, dass die sich durch die Krise bietende Chance für eine grundsätzliche Kurskorrektur genutzt werden wird. Es bedarf keines "Wiederaufbaus", denn die Fabriken liegen nicht in Schutt und Asche! Vom Ansatz her ist dies gleichbedeutend mit einem "weiter so!"

    Es bedarf eines Umbaus, der aber durch den "Goldrausch" für die alten Strukturen, Industrien, Unternehmen und Investoren langfristig unmöglich gemacht wird. Während eines "Goldrausch" sieht niemand die Notwendigkeit für Veränderungen, nur den eigenen Vorteil und Gewinn."

  • Wieder gründet sich die Hoffnung auf das Parlament als letzte Instanz mit europäischen Werten, die sich ein wenig dem National-Egoismus entgegenstellen werden.

  • Na Servus - Da is was dran.

    “ Zeitweise hatte man den Eindruck, nicht Merkel und Michel, sondern Rutte führe die Regie in Brüssel.“

    kurz - De Hollandsche in ehr Element.



    Artikel 31 & Co. De Geizker voll in Aktion.



    Hauptsache - die Deiche halten.

  • Aus den Verträgen ergibt sich nicht, dass die EU eine solidarische Union sei. Die Behauptung wird lediglich gerne von Leuten erhoben, die in ihrer eigenen Bubble leben. Immerhin wird überhaupt geholfen. Das ist doch nicht selbstverständlich. Angesichts der merkwürdigen Politik von Deutschland, Frankreich und der Kommission ist das Ergebnis eher überraschend und als positiv zu bewerten.