Die neuen Coronaregeln: Gefährliches Ungleichgewicht
Während private Kontakte weiter beschränkt werden, bleibt am Arbeitsplatz alles beim Alten. Das gefährdet die Akzeptanz der Maßnahmen.
D ie Zahl der Neuinfektionen sinkt bisher nur langsam, und durch die Virus-Mutation aus Großbritannien droht sich die Situtation dramatisch zu verschlechtern. Es ist völlig nachvollziehbar, dass die Regierungen aus Bund und Ländern angesichts dieser Situtation die Coronaregeln verschärfen. Doch die Schwerpunkte, die sie bei ihrem jüngsten Treffen gesetzt haben, sind ziemlich fragwürdig.
Denn die neuen Beschränkungen konzentrieren sich erneut fast komplett auf das Privatleben. Dass Treffen künftig nur noch mit jeweils einer Person erlaubt sind und es offenbar auch keine Ausnahmen für Kinder mehr geben soll, ist eine deutliche Verschärfung, die gerade Familien vor große Herausforderungen stellen dürfte.
Auch die Regel, dass man in Landkreisen mit einer Inzidenz von über 200 ohne triftigen Grund einen 15-Kilometer-Radius nicht verlassen darf, ist eine starke Einschränkung mit zweifelhafter Wirkung. Solange Treffen mit anderen ja ohnehin verboten sind, werden damit im Zweifel vor allem Ausflüge ins Freie unterbunden.
Doch die können im Lockdown eine wichtige Ausgleichsfunktion haben – und ob es für das Infektionsgeschehen wirklich hilfreich ist, wenn man nur im nahe gelegenen Park wandern darf statt in der etwas weiter entfernten Natur, kann man durchaus bezweifeln – zumal ja inzwischen klar ist, dass Infektionen zum ganz überwiegenden Teil nicht im Freien passieren, sondern in geschlossenen Räumen.
Nicht nur Regeln, sondern auch deren Kontrolle
Keinerlei Veränderungen sehen die neuen Beschlüsse dagegen für die Arbeitswelt vor. Lediglich Geschäfte, Gaststätten und Kultureinrichtungen sind weitgehend geschlossen. Doch eine Pflicht, Homeoffice als Regelfall zu ermöglichen, gibt es für Arbeitgeber weiterhin nicht, obwohl das zumindest für jene Hälfte der Beschäftigten, die vorwiegend am Schreibtisch arbeitet, möglich und effektiv wäre. Und für jene Wirtschaftsbereiche, in denen eine Anwesenheit am Arbeitsplatz unvermeidlich ist, braucht es nicht nur Vorgaben zum Infektionsschutz – sondern auch Kontrollen, ob diese eingehalten werden.
Dass sich die Bekämpfung der Epidemie weitgehend auf den Privatbereich konzentriert, ist dabei doppelt gefährlich: Zum einen wird es vermutlich nicht gelingen, die Infektionsketten im nötigen Ausmaß zu unterbrechen, solange sich am Arbeitsplatz nichts ändert. Vor allem aber gefährdet dieses Ungleichgewicht auch die Akzeptanz der Regeln insgesamt.
Denn wenn Menschen durchaus zu Recht den Eindruck bekommen, dass die Regeln im Privaten immer weiter verschärft werden, weil die Politik sich an die Arbeitswelt nicht herantraut, nehmen viele die Vorgaben möglicherweise nicht mehr ernst – und zwar auch jene, die wirklich notwendig sind. Die Regierung sollte ihre Maßnahmen also daran orientieren, was am meisten bringt – und nicht daran, wo es am einfachsten erscheint, Handlungsfähigkeit zu beweisen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin