Die Neunziger wollen ihre Werbung zurück: Sexualisierung auf dem Laufband
Die Fitnessstudiokette Wellyou sexualisiert Trainierende mit ihrer neuen Kampagne. Ein Shitstorm folgt: Die Toleranz für sexistische Werbung sinkt.
Die Frau im Fitnessstudio strampelt nackt auf dem Ergometer. Auch die auf dem Laufband ist nackt. Die mit dem Medizinball. Die am Stairmaster. Und ja: Auch die Männer sind nackt, an den Hanteln und am Umkleidespind. Intimbereiche werden jeweils durch Geräte oder Ähnliches verdeckt, aber nackt bleiben sie.
Und jung natürlich, und schön, und durchtrainiert – Nacktheit und durchgestylte Perfektion zeigen natürlich nicht die Realität im Fitnessstudio. Es handelt sich vielmehr um eine Werbekampagne des Fitnessstudiobetreibers Wellyou, die seit vergangener Woche vor allem auf Instagram gespielt wird – und seitdem für viel Kritik sorgt. Wellyou mit Hauptsitz in Kiel ist laut Eigenwerbung die „Nummer 1 im Norden“, 40 Fitnessstudios gibt es – die meisten irgendwo zwischen Husum und Hannover.
Im Kampagnenvideo werden die Bilder von nackten schlanken Frauen mit den Worten „Klappe zu, Arsch hoch, mach die Beine breit“ untertitelt; ein Wortspiel: „und die Arme noch breiter“, heißt es im Anschluss bei den Männern. Und: „Bis du endlich den Größten hast.“ Eine sexualisierte Absicht bestreitet das Unternehmen. „Wir möchten zeigen, was Training bewirken kann: Stärke, Disziplin und Selbstbewusstsein“, so die Antwort auf Beschwerden von Mitgliedern. Wenn Betrachter „darin dennoch eine sexualisierte Darstellung sehen“, liege das „weniger in unserer Absicht als vielmehr in der individuellen Interpretation der Betrachtenden“.
Shitstorm auf Social Media einkalkuliert
Die Reaktionen auf Social Media sind eindeutig. „Ich dachte, so was gibt's 2025 gar nicht mehr! Was für eine peinliche Werbung“, schreibt eine Kommentatorin unter den Instagram-Beitrag von Wellyou. „Frauen auch weiterhin im gym sexualisieren mit so einer Werbung, toll gemacht“, eine andere. „Kein Kommentar – ich werde das Studio einfach wechseln.“ Auch Profile, die sich eher männlich lesen lassen, kommentieren negativ.
Antworten der Verantwortlichen gibt es bei Instagram kaum. „Shitstorm incoming in 3,2,1, echt das Letzte“, schreibt ein User. „Wellyoufitness“ antwortet mit dem Emoji einer Popcorntüte – in den sozialen Netzwerken ist damit eine Art gespannte (aber unbeteiligte) Erwartung eines unterhaltsamen Konflikts gekennzeichnet.
Auf taz-Anfrage antwortet ein Rechtsanwalt des Unternehmens, „selbstverständlich erhitzt eine provokante Kampagne wie die Angegriffene auch die Gemüter“. Und es sei „selbstverständlich sehr bedauerlich, wenn sich Einzelne durch die Kampagne verletzt fühlen.“ Insgesamt bekomme man aber auch eine starke positive Resonanz. Auch Frauen sollen laut Wellyou-Rechtsanwalt „gerne bei wellyou trainieren. Auch deshalb hält unsere Mandantin Trainingsbereiche vor, die nur von weiblichen Personen genutzt werden können.“
Allerdings verharmlosen auch andere Beiträge des Studiobetreibers die Sexualisierung von Studiobesucherinnen: Ein Video spielt erneut mit Doppeldeutigkeiten und zeigt einen Mann, der stolz aus der „Ladies Area“ herausdackelt. „How I feel after six girls ask me to go out“, steht darüber – also: „So fühl ich mich, wenn sechs Mädels mit mir ausgehen wollen“ – oder aber: „Wenn sechs Mädels mich raushaben wollten.“ Ein anderes Video zeigt, wie ein Besucher einer Frau offensiv hinterhergafft; ein Mitarbeiter des Ladens rettet ihn vor der Eifersucht seiner Freundin.
Deutscher Werberat eingeschaltet
Kalkulierte Provokation gilt selbst als Werbemaßnahme: Der Safthersteller TrueFruits zum Beispiel hat das Mittel immer wieder gezielt einsetzt: Mit rassistischen und sexistischen Slogans versuchte das Unternehmen seine Umsätze zu steigern, viele Medien berichteten – auch die taz. Doch Standard ist diese Werbestrategie nicht; die Risiken von Provokation sind schwer überschaubar.
Die Wellyou-Kampagne ist erst seit einer Woche online und es ist bereits eine hohe zweistellige Zahl an Beschwerden beim Deutschen Werberat eingegangen. Zum Vergleich: Im ganzen ersten Halbjahr 2025 gab es nur 302 Beschwerden zu insgesamt 196 Vorfällen. Zur Einschätzung möchte man noch nichts sagen – man sei noch in der Prüfung.
Direkte Möglichkeiten, Werbung zu unterbinden, hat der Werberat nicht. Er prüft die Beschwerden – zuletzt wurden etwa 78 Prozent der kritisierten Werbekampagnen am Ende nicht beanstandet. Die übrigen Werbetreibenden zögen meist selbst Schlüsse, „viele kleine Betriebe wissen es erst mal nicht besser“, so ein Pressesprecher des Werberats. Nur wenn die Unternehmen nicht selbst reagieren, spricht der Werberat eine Rüge aus – das war im ersten Halbjahr 2025 dreimal der Fall.
Sprecherin von Bremens Landesfrauenbeauftragter
Die Rüge ist schon das schärfste Schwert des Werberats. Im Bundesland Bremen ist das anders: Bürger*innen dort können seit 2017 sexistische Werbung bei der Zentralstelle der Landesfrauenbeauftragten (ZGF) melden. Wenn die ZGF die Werbung kritikwürdig findet, kann die Baubehörde Plakate auf öffentlichen Werbeflächen entfernen lassen. Bei digitaler Werbung und auch bei Plakaten in den Fitnessstudios selbst, wie es bei den beiden Bremer Wellyou-Filialen der Fall ist, ist man aber machtlos.
Sexistisch nach den Kriterien des Deutschen Werberats sei das Wellyou-Video auf jeden Fall, schreibt die Sprecherin von Bremens Landesfrauenbeauftragter auf Nachfrage der taz. „Hier werden Personen auf ihre rein sexuelle Funktion reduziert, die sexuellen Anspielungen und übertrieben herausgestellte Nacktheit der Models haben nichts mit dem beworbenen Produkt, der Mitgliedschaft im Fitnessstudio, zu tun.“ Es werde mit Doppeldeutigkeit gespielt, aber die sexuelle Anspielung sei klar. Und: „In dem Satz ‚Mach die Beine breit‘ bei der Frau kann man sogar die Andeutung von Gewalt sehen.“
Bewusstsein für Sexismus gewachsen
Bleiben die vielen Beschwerden gegen Wellyou aber folgenlos, weil der Werberat kein Möglichkeit hat, ein Verbot auszusprechen? Beim Werberat selbst glaubt man das nicht: Eine Rüge ziehe meist eine Verhaltensänderung nach sich, Wiederholungstäter gebe es fast nie.
In Bremen glaubt man sogar, einen allgemeinen Trend zu erkennen: Seit Bestand der Beschwerdestelle im Jahr 2017 gebe es immer weniger Beschwerden, wohl auch, weil die Zahl der sexistischen Plakate zurückgegangen sei. Das Bewusstsein sei gewachsen – das, was sexistisch ist, fällt dann noch mehr negativ auf.
Transparenzhinweis: Der Artikel wurde nachträglich um eine Stellungnahme des Unternehmens ergänzt
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