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Im Pullover und ohne Krawatte, aber trotzdem nicht leger: Friedrich Merz bei der CDU-Bundesvorstandsklausur in Weimar Foto: Martin Schutt/dpa

Die CDU unter Friedrich MerzEr kann nicht anders

Merz ist seit einem Jahr Chef der Christdemokraten. Wie läuft es, wenn jemand mit dem Hang zum Polarisieren eine Partei einen soll?

E s ist früher Nachmittag, als Friedrich Merz am zweiten Samstag im Januar in einem Hotel am Weimarer Goethepark vor die Presse tritt. Im Nebenraum räumen Servicekräfte die Reste des Mittagessens ab, mit dem die Klausur des CDU-Bundesvorstands gerade zu Ende gegangen ist.

Zwei Tage lang hat sich die CDU-Spitze mit den Themen Wirtschaft, Energie und Klima beschäftigt, mit dem Ökonomen Clemens Fuest vom Ifo-Institut und der Bremer Meeresbiologin Antje Boetius waren hochkarätige Gäste geladen. In der Wirtschaftspolitik, traditionell eigentlich ein Kernthema der Partei, sind die Kompetenzwerte der CDU eingebrochen. Bei der Klimapolitik waren sie noch nie sonderlich hoch.

Das Treffen soll Abhilfe schaffen, und natürlich soll darüber berichtet werden. Deshalb steht der CDU-Parteivorsitzende nun vor dem Mikrofon. Doch schon der zweite Journalist, der das Wort erhält, fragt nicht nach Wirtschafts- oder Klimapolitik. Es habe doch eine Diskussion über den integrationspolitischen Kurs und Kritik an seiner Wortwahl gegeben: „Werden Sie an diesem Kurs etwas ändern, werden Sie sich zusammenreißen?“

Merz hatte vier Tage zuvor in der Talkshow von Markus Lanz im Zusammenhang mit der Silvesterrandale pauschalisierend arabische Jungen „kleine Paschas“ genannt und von Menschen gesprochen, „die nicht in unser Land gehören“. Das hat für Wirbel gesorgt, auch in der Partei. Migration ist für die CDU ein schwieriges Thema, nicht erst seitdem der Flüchtlingsherbst 2015 die Union fast zerrissen hat. Hier stehen sich Modernisierer und Konservative besonders unversöhnlich gegenüber – auch wenn inzwischen jeder in der Partei weiß, dass es ohne Fachkräftezuwanderung nicht mehr gehen wird.

Im dritten Anlauf

Merz wiegelt ab. Diskussionen dazu habe es keine gegeben, nur einige wenige Wortmeldungen, sagt er auf der Hotelbühne. Und ohnehin: Die Partei sei sich weitgehend einig. Doch da war die Mahnung von CDU-Generalsekretär Mario Czaja, man möge Menschen mit Migrationsgeschichte gegenüber sensibel mit Sprache umgehen, schon längst aus der Klausur nach außen gedrungen. Und die kritischen Äußerungen der Vorstandsmitglieder Hermann Gröhe und Serap Güler ebenfalls. Die Auseinandersetzung überlagerte die Berichterstattung verhagelte der CDU den Jahresauftakt und sagt viel über die Schwierigkeiten von Friedrich Merz als Parteichef.

Seit gut vier Jahren ist der Sauerländer, Millionär und ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende von Blackrock Deutschland zurück in der Politik. Seither hat es viele polarisierende Einwürfe von Friedrich Merz gegeben. Als er erst gegen Annegret Kramp-Karrenbauer und dann gegen Armin Laschet um den CDU-Vorsitz kämpfte, haben ihn seine kernigen Aussagen zum vermeintlichen Heilsbringer für all jene gemacht, die eine Kehrtwende der Partei und ein stärker konservatives Profil wollten, möglichst weit weg vom mittigen Kurs Angela Merkels. Verloren hat Merz die Wahlen trotzdem.

Doch im dritten Anlauf hat die Partei Merz schließlich doch noch zu ihrem Vorsitzenden gewählt, nach einer Mitgliederbefragung, die eindeutig ausging: 62 Prozent stimmten für ihn, beim Parteitag wurden über 94 Prozent daraus. Selbst Merz-Gegner*innen konnten das Mitgliedervotum nicht ignorieren. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen dachte manch einer aber wohl auch: Dann soll er es halt selbst versuchen.

Als Merz im Januar 2022 die CDU übernimmt, gleicht sie einem Trümmerfeld. Zwei Parteivorsitzende hat sie in kürzester Zeit verschlissen, das Verhältnis zur Schwesterpartei ist zerrüttet, die Bundestagswahl ging verloren, das Kanzleramt an die SPD. Niemand weiß mehr, wofür die CDU steht und wohin sie will. Es ist eine Herku­les­aufgabe: Der neue Vorsitzende muss die Partei einen, inhaltlich neu aufstellen und mit der CSU versöhnen.

Er beteuert, wie wichtig Klimaschutz für die CDU sei, und jettet mit seinem Privatflieger nach Sylt zur Hochzeit von Christian Lindner

Anfangs scheint es, als hätte der heute 67-Jährige bei seinem langen Weg an die Spitze der Partei gelernt. Mit zugespitzten Äußerungen hält er sich zurück, stattdessen sagt er Sätze wie „Die CDU muss modern werden“. Er verspricht, mit ihm werde es keinen Rechtsruck geben, und beteuert die Bedeutung von sozialer Gerechtigkeit. Es scheint, als wolle Friedrich Merz sich neu erfinden. Weg von dem neoliberalen Anti-Merkel mit viel Arroganz und wenig Empathie.

Zum Generalsekretär macht er Mario Czaja, Mitglied in der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), dem Arbeitnehmerflügel der Partei – und damit parteiintern weit entfernt von Merz. Auffällig oft spricht Merz vom „Team“ und davon, dass eine Partei wie die CDU viele Köpfe brauche. Auch Karin Prien, die liberale Bildungsministerin aus Schleswig-Holstein, und der Klimaexperte Andreas Jung werden stellvertretende Parteivorsitzende.

Mario Czaja kämpft mit der Rolle als CDU-Generalsekretär Foto: Martin Schutt/dpa

Seitdem aber sendet Merz widersprüchliche Signale: Er hat eine parteiinterne Frauenquote durchgesetzt und sich bei einer Rede von Außenministerin Annalena Baerbock mit theatraler Geste ans Herz gefasst, um ihre Ausführungen über feministische Außenpolitik ins Lächerliche zu ziehen. Er hat beteuert, wie wichtig der Klimaschutz für die CDU sei, und ist im Privatflieger zu Christian Lindners Hochzeit nach Sylt gejettet. Er ist früh in die Ukraine gereist, um Solidarität zu bekunden, und hat ukrainische Geflüchtete als „Sozialtouristen“ beschimpft. Für Letzteres hat er sich später halbherzig entschuldigt.

Das eine und das andere Ende der Partei

Was die Frage aufwirft, ob er sich wirklich verändert hat. Kann einer, der immer „ich“ gesagt hat, plötzlich im „Wir“ denken? Kann einer, der so oft polarisierte und ausgrenzte, plötzlich zusammenführen? Wo also steht Friedrich Merz – und wo steht seine Partei nach einem Jahr mit ihm als Vorsitzenden?

Anrufe bei zwei CDU-Kennern, die es wissen könnten. Beide haben die Partei professionell im Blick und sind auch eng mit ihr verbandelt. Der eine, Andreas Püttmann, Politikwissenschaftler und Publizist aus Bonn, nennt sich selbst „ideeller Christdemokrat ohne Parteibuch“. Er ist dem sozialliberalen Parteiflügel zugetan und hat aus seiner Gegnerschaft zu Friedrich Merz nie einen Hehl gemacht. Rechtspopulistische Abwege sind Püttmann ein Graus. Er sagt: „Friedrich Merz ist zu der notwendigen geistigen Führung der Partei nicht in der Lage.“

Der andere: Andreas Rödder, Geschichtsprofessor in Mainz, gilt als konservativer Vordenker. Seit Merz CDU-Chef ist, leitet Rödder die Grundwertekommission der Partei und wollte prompt den Begriff Gleichstellung aus ihrer Grundwertecharta streichen. Identitätspolitik hat er als zentrale Gefahr für die Demokratie ausgemacht. Rödder, der eigentlich Merz-Fan ist, sagt: „Ich habe Hoffnungen, die sich noch erfüllen lassen.“

Püttmann steht also für das eine, Rödder für das andere Ende der CDU, zufrieden ist keiner der beiden mit dem Vorsitzenden – und manche ihrer Begründungen ähneln sich. Beide finden gut, wie Merz im Bundestag den Kanzler herausfordert. Beide sind der Ansicht, dass er sich zu sehr auf die Fraktion konzentriert und die Partei vernachlässigt. Dass der CDU weiterhin eigene Konzepte fehlen, ein echtes Manko. Und dass Merz im ersten Jahr einige gravierende Fehler gemacht hat.

Parteichef, Fraktionschef, Oppositionschef – Kanzlerkandidat?

Es ist Anfang Juni, Generaldebatte im Bundestag, als Merz den Kanzler zum ersten Mal aus der Reserve lockt. Lässig steht er mit seinen 1,98 Metern am Rede­pult. Warum Olaf Scholz nicht endlich sage, dass die Ukraine den Krieg gewinnen müsse, fragt Merz. Welche Waffen er wirklich liefern wolle. Und wie der Kanzler abstimmen werde, wenn es im Europäischen Rat um einen EU-Kandidatenstatus für die Ukraine geht. 20 Minuten läuft das so. Der CDU-Mann macht klar: Der Kanzler wird dem Begriff Zeitenwende nicht gerecht.

Olaf Scholz liest seine Reden gewöhnlich vom Blatt ab, fürs Zuhören ermüdend. Doch an diesem Tag lässt er sein Manuskript liegen – und koffert zurück. „Sie sind hier durch die Sache durchgetänzelt und haben nichts Konkretes gesagt.“ Merz stelle nur Fragen und positioniere sich nicht. „Damit werden Sie nicht durchkommen.“ Dann listet er, sogar mit einer gewissen Leidenschaft, auf, wie Deutschland die Ukraine unterstützt. Ein Moment, in dem auch Geg­ne­r*in­nen der Union einräumen: Für die Debatte im Bundestag ist Merz ein Gewinn.

Dem CDU-Mann gefallen Auftritte wie dieser – wenn er auf großer Bühne auf einer Stufe mit dem Kanzler agieren kann. Mitte Februar hat er dafür Ralph Brinkhaus geschasst und den Fraktionsvorsitz selbst übernommen. Sein Teamgeist hat Grenzen, wenn es um die eigenen Pläne geht. Merz hat damit die beiden Top-Posten der CDU besetzt – und die Pole-Position für die Kanzlerkandidatur. Geht es in der Presse um die Bundes-CDU, kommt vor allem einer vor: Friedrich Merz.

In Zeiten des russischen Angriffkrieges muss die Union staatstragend sein, aber sich gleichzeitig gegen die Regierung profilieren. Beim Sondervermögen für die Bundeswehr und beim Bürgergeld gelingt ihr diese Gratwanderung, manchmal, wie beim Mindestlohn, geht es daneben.

Merz konzentriert sich auf die öffentlichkeitswirksamen Auftritte und auf die Fraktion, das hat seinen Preis: Für die Partei hat er wenig Zeit, dabei soll hier die CDU inhaltlich neu aufgestellt werden. Carsten Linnemann, Parteivize und ehemaliger Chef der Mittelstandsvereinigung, schiebt zwar das neue Grundsatzprogramm an, doch das ist ein zäher Prozess. 2024, zur Europawahl, soll es fertig sein. „Innerparteilich sind stärkere Akzente nötig, um diese heterogene Partei zu führen“, urteilt Historiker Andreas Rödder.

In der CDU-Zentrale laufen die Dinge alles andere als rund. Merz hat den alten Bundesgeschäftsführer spät ausgetauscht, aber bereits zwei Bü­ro­lei­te­r*in­nen verschlissen, die neue Kommunikationschefin wurde groß angekündigt und war dann schnell wieder weg. Der Generalsekretär wird quer durch die Parteilager als schwach kritisiert, die stellvertretende Generalsekretärin gilt als noch schwächer. Deren Posten hat Merz extra geschaffen, damit er beim Kampf um den Parteivorsitz zumindest eine Frau vorweisen kann. „Wenn die anderen nicht glänzen, kann Merz besser strahlen“, kommentiert ein Parteifunktionär Merz’ Personalauswahl.

Das Konrad-Adenauer Haus in Berlin ist für Friedrich Merz nicht die erste Adresse Foto: Dirk Sattler/imago

Dass Mario Czaja es nicht schafft, so richtig zu punkten, könnte aber auch an seiner Rolle liegen. Generalsekretäre sind meist dazu da, die Position des Parteivorsitzenden zuzuspitzen. Sie testen, wie Aussagen wirken. Und greifen an. Manchmal macht Czaja das auch, wie zuletzt mit der Forderung, eine Deutschpflicht auf Schulhöfen einzuführen. Aber er ist als liberales und soziales Korrektiv zu Merz ins Amt gekommen, sollte parteiintern für Zustimmung jenseits der eigenen Fanbase sorgen. Jetzt setzt Czaja sich mitunter merklich von seinem Chef ab.

Czaja weiß, dass die CDU andere Wählergruppen ansprechen muss, will sie zurück an die Macht. Der Unmut über die Bundesregierung ist derzeit groß, doch in Umfragen ist die CDU bei knapp 30 Prozent wie festgenagelt, sie überzeugt nur ihre Kernklientel. Der Generalsekretär will Frauen, junge Familien, Menschen mit Migrationsgeschichte für die CDU ansprechen. Und weiß natürlich, wie schädlich dafür Merz’ „kleine Paschas“ sind oder auch die Frage des Berliner Landesverbandes nach den Vornamen der Tatverdächtigen mit deutscher Staatsbürgerschaft aus der Silvesternacht.

Die Gesellschaft ist weiter

Schaut man sich Merz’ Auftritt bei Lanz genau an, sieht man einen Mann, der sich in Fahrt redet. Der immer schneller spricht und im Ton bestimmter wird. Merz wirkt nicht so, als wolle er nur rein strategisch an den Stammtischen punkten. Sondern wie einer, der meint, was er sagt. Der nicht wirklich versteht, was Aladin El-Mafaalani, der Integrationsforscher, der im TV-Studio neben ihm sitzt, überhaupt von ihm will. Merz wirkt wie einer, der nicht anders kann.

Am Abend darauf ist Carlo Masala, Sohn eines italienischen Gastarbeiters und Militärexperte von der Universität der Bundeswehr, in Lanz’ Talkshow zu Gast, er wird auch von der Union geschätzt. „Ich bin über die Maßen erzürnt“, sagt Masala zu den Äußerungen von Merz und die Debatte rund um die Silvesternacht. „Man spuckt all denen, die seit zwei oder drei Generationen hier leben, ins Gesicht.“

Merz wird Masalas Auftritt gesehen haben, kurze Clips davon schwirren tagelang durch die sozialen Netzwerke. Doch eine Irritation, ein Innehalten sind ihm nicht anzumerken. Das mag auch daran liegen, dass in der CDU-Zentrale auch Zustimmung für den Parteichef ankommt. Immer wieder verteidigt Merz seine Äußerungen. „Ich habe dem Volk aufs Maul geschaut“, sagt er etwa dem Tagesspiegel, und das sei Demokratie. Dass große Teile des Volkes inzwischen längst anders ticken, dass sich die Gesellschaft in den Jahren, die er jenseits der Politik verbracht hat, weiterentwickelt hat, das sieht Merz nicht. Oder er will es nicht sehen.

Wie gespalten die CDU beim Thema Migration ist, zeigt sich im Dezember in der Bundestagsfraktion, bei der Abstimmung über das Aufenthaltsrecht. Die In­nen­po­li­ti­ke­r*in­nen wollten die Fraktion auf ein Nein einschwören, dass es zum internen Konflikt kommen würde, war vielen Beteiligten klar. Nach allem, was man aus der Fraktion hört, ließ Merz, in dieser Frage selbst Hardliner, das Problem schleifen. Erst kündigte er einen eigenen Antrag der Union an, hinter dem sich die ganze Fraktion versammeln könnte, dann war dieser plötzlich wieder vom Tisch. 20 Abgeordnete scherten schließlich aus der Mehrheitsmeinung aus. Sie enthielten sich bei der Abstimmung und gaben dazu eine Erklärung ab. Gröhe und Güler waren dabei, auch Armin Laschet, Helge Braun und Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas.

Es ist ein Abwehrkampf, klar, aber man darf dies wohl auch als Warnzeichen verstehen, dass die Liberalen in der CDU ihre Grenzen haben.

Am Rande des Plenums beobachten mehrere Politiker*innen, wie Merz mit erhobenem Zeigefinger auf Serap Güler eingeredet. Der Eindruck der Beobachter*innen: Der Fraktionschef staucht eine Abgeordnete zusammen, die nicht hinter ihre Positionen als NRW-Integrationsstaatssekretärin zurückfallen will. Am 24. Januar soll es eine offene Fraktionssitzung geben, in der das Thema Migration auch mit Experten von außen besprochen wird.

Auch Sozialpolitik ist in der CDU ein umstrittenenes Feld. Für diese steht besonders die CDA. Doch zuletzt ist der Sozialflügel der Partei etwas unter die Räder gekommen. „Merz hat die CDA an die Wand gedrückt“, sagt Politikwissenschaftler Püttmann. „Der sozial-liberale Flügel ist erschreckend schwach.“ Alle fünf Stell­ver­tre­te­r:in­nen des Parteichefs gehören zur Mittelstandsvereinigung, verkündete deren Geschäftsführer nach der Wahl stolz. Dass Merz die CDA für die Minderheit in der CDU hält, hat er jüngst öffentlich beim Arbeitgebertag vorgetragen. Der CDA-­Forderung nach mehr Tariftreue hat Merz dort eine Absage erteilt. Er sagte: Der Vorschlag, in die Tarifautonomie einzugreifen, komme „von einem kleinen Teil der Partei“. Völlig ohne Not hatte Merz einen Teil der Partei gedemütigt.

Feingefühl ist seine Sache nicht, aber Merz scheint oft auch nicht gut beraten. Fragt man herum, auf wen der Parteichef denn höre, ist die Reaktion oft ein Schulterzucken. „Friedrich Merz kennt nur zwei Antworten: seine und die falsche“, sagt einer aus der CDU, der kritisch auf Merz blickt. Auch aus der CDU-Zentrale ist zu hören, dass es nicht immer leicht mit dem Chef sei. „In seinem Apparat scheint es kein Frühwarnsystem zu geben“, sagt Püttmann.

„In seinem Apparat scheint es kein Frühwarnsystem zu geben

Andreas Püttmann, Politologe

Das könnte auch einige der Fehler erklären. Fragt man Püttmann und Rödder, fällt beiden, neben der „Sozialtourismus“-Äußerung über ukrainische Geflüchtete, gleich das Debakel mit Lindsey Graham ein – dem US-Senator und Trump-Vertrauten, der versuchte, den Demokraten die Schuld am Sturm auf das Kapitol anzuhängen. Merz sagte erst zu, bei einer Veranstaltung im August mit Graham gemeinsam aufzutreten, als es Kritik hagelte, sagte er wieder ab.

Aber dann wird es zwischen den beiden Parteikennern kontrovers: Rödder hält die Einführung der Frauenquote für ein schweren Fehler, weil die aus seiner Sicht „nicht zu den Grundlagen christdemokratischer Politik passt“. Nach dem Parteitag im September, als die Quote verabschiedet worden war, war Rödder aufgebracht. „Wenn Merz seine Unterstützer nicht verlieren will, wird er glaubhaft vermitteln müssen, dass er inhaltlich für die Positionen steht, für die ihn fast zwei Drittel der Partei gewählt haben“, schimpfte er ­gegenüber der taz. Und es stimmte: Viele Merz-Fans waren entsetzt.

Andreas Püttmann dagegen kritisiert, Merz habe „eine Brandmauer zur AfD“ versprochen, doch eine klare Abgrenzung nach rechts fehle weitgehend. „Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an“, das hatte Merz versprochen. Doch das passiert nicht, wie kurz vor Weihnachten in Bautzen zu sehen war. Der dortige Landrat hatte erst im Kreistag für einen Antrag der AfD gestimmt, was ein klarer Bruch der CDU-Regularien ist. Und dann hatte er in einer Videobotschaft behauptet, dass die Unterbringung von Geflüchteten in leerstehenden Wohnungen den sozialen Frieden gefährde. Merz schickte Czaja zur Dis­tanzierung vor, parteiinterne Konsequenzen gab es keine.

Problem: miserable Beliebtheitswerte

Trotz der Kritik von beiden Seiten: Friedrich Merz sitzt derzeit fest im Sattel. Den Christ­de­mo­kra­t*in­nen hängen die Personalquerelen der vergangenen Jahre nach, man ist froh, dass Merz und CSU-Chef Markus Söder sich arrangieren und die Zusammenarbeit mit der Schwesterpartei ohne größeren Zwist klappt – zumindest bis zur Bayernwahl. Und dass die mächtige Mittelstandsvereinigung Merz fallen lässt, damit ist nicht zu rechnen.

Viel spricht dafür, dass die CDU mit Merz als Kanzlerkandidaten in die nächste Bundestagswahl zieht. Dass er selbst das will, daran zweifelt in der CDU kaum jemand. Ausgemacht ist das dennoch nicht: Merz wird dann fast 70 Jahre alt sein. Viel problematischer aber sind seine miserablen Beliebtheitswerte. Unter der Führung von Merz, sagt Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen der taz, bleibe die CDU bei unter 30 Prozent. „Das ist die Kernklientel. Um wieder eine strukturelle Mehrheit zu bekommen, dafür reicht das nicht.“ Merz sei bei vielen Wäh­le­r*in­nen schlicht unbeliebt. Nur Sahra Wagenknecht und Alice Weidel schneiden in Jungs Politbarometer stets schlechter ab.

Kann der CDU-Chef sein schlechtes Image noch loswerden? Eher nicht, meint Jung: „Merz hat das Image als Gegenentwurf zum Merkel-Kurs, der die Partei wieder konservativer aufstellen will, sehr lange gepflegt. Wenn man eine so zementierte Wahrnehmung hat, kommt man da nicht mehr raus.“

Merz will sich in diesem Jahr mehr um die Partei kümmern, hört man aus dem Konrad-Adenauer-Haus. Nötig ist das. Die CDU muss sich über Positionen verständigen und sich dann hinter diesen versammeln.Merz’ Hang zum Polarisieren und Poltern hat ihm beim Aufstieg genutzt. Aber jetzt könnte er ernsthaft zum Problem werden.

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17 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ja, die CDU könnte keinen besseren Kanzlerkandidaten finden. Adenauer war ja auch über 70, als er Kanzler wurde und viele wünschen sich die Rolle rückwärts in die fünfziger. An den Anfang des Aufschwungs, nicht an den Anfang vom Ende, der mit "Corona", der ziemlich genau Anfang 2020 begann.

  • taz: „Friedrich Merz kennt nur zwei Antworten: seine und die falsche“, sagt einer aus der CDU, der kritisch auf Merz blickt.







    'Friedrich der Große' von der CDU also mal wieder. Fliegt Merz eigentlich immer noch in seinem Privatflugzeug durch die Gegend, oder bleibt die Diamond DA62 jetzt in dem Hangar, seit Merz verkündet hat, dass die CDU jetzt eine Klimapartei ist? Die CDU ist bestimmt Vieles, aber sicherlich keine Klimapartei. CDU-Chef Merz bezeichnete im November 2022 beim Berliner Landesparteitag Klima-Aktivisten als „kriminelle Straftäter“. Natürlich, denn die Verursacher des Klimawandels sind für Merz ja die Leistungsträger dieser Gesellschaft, also müssen folglich Klima-Aktivisten „kriminelle Straftäter“ sein. Wenn man in der CDU die Wahrheit umdreht, dann kommt wohl Friedrich'sche-CDU-Politik dabei heraus. Dem Klimawandel würde das sicherlich gefallen, denn mit einer "Kohlendioxidpartei" wächst er noch schneller.

  • Wenn die CDU sich unter Merz noch besser organisieren würde wäre der Vorsprung vor allen anderen Parteien noch größer. Veränderungen in allen Bereichen wie z B. Klimaschutz oder Integration wird nur mit den Konservativen gelingen. Das Wähler Potential ist numal zu 50 % bürgerlich-konservativ.

  • Glückwunsch für Herrn Scholz.



    Wenn er demnächst dann ein klein bischen weniger tölpelig agiert, dann könnte er sogar wiedergewählt werden...

  • Das der Mann auch in der CDU nochmal ein problematischer Sonderfall ist wird wahrscheinlich außer ihm selbst, allen klar sein.



    Empathielosigkeit in bestimmten Bereichen gibt es ja bei vielen Berufspolitikern, ebenso wie eine Realitätsferne. Letztere kommt u.a. wohl auch daher, dass sie sich in einer Parallelgesellschaft mit hohen (oft leistungs- bzw. bedingungslosen) Einkommen, PKV, Privatschule und Privatuni für den Nachwuchs und einer bezahlten Entourage bewegen. Den Dummschwatz mit den "kleinen Paschas" hätte es sich sicher geschenkt, wenn er noch Kontakt zur Realwelt hätte und gesehen hätte, wen er da gerade alle beleidigt hat. Ansonsten knn ich auch so "kleine Paschas", die aber hauptsächlich aus solchen Kreisen wie Merz (bei uns regional FDP- und CDU-Umfeld) stammen.



    Aber der CDU-Stammwähler fand ja schon früher an Adenauer nichts auszusetzen, die haben halt eine sehr hohe Schmerzgrenze.

  • Selten war sie so gut sichtbar - die CDU, was sie wirklich ist. Gut hingucken: eine Partei reicher selbstgefälliger Provinz-Honoratioren

    "Gruppenbild mit DameN" - das N macht den Unterschied zu Adenauer

    "Eigentum verpflichtet": zur Selbstbedienung maximal "ohne Verbote"

    Gut hingucken, bevor die CDU demnächst wieder die liberale Tünche auflegt, zur "Wiederherstellung ihrer Mehrheitsfähigkeit" außerhalb der Dumpfzonen

  • "...ist der Sauerländer, Millionär und ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende von Blackrock Deutschland..."

    Wofür ist "Millionär" in diesem Fall wichtig? Ist er übrigens tatsächlich Millionär? Wo kann man sowas - faktenbasiert - nachlesen?

    Vielleicht ist er ja sogar mehrfacher Millionär?

    Ich bin ein bisschen neidisch und mich würde das privat schon mega interessieren.

  • 8G
    83635 (Profil gelöscht)

    Merz hat sich selbst darauf reduziert und zu erkennen gegeben was er ist: ein alter weißer Mann. Ich hoffe er tritt bei der nächsten Wahl an … und verliert!

    • @83635 (Profil gelöscht):

      Deutschland wird gerade regiert von einem - in Ihrem Sinne - alten weißen Mann.

      Wo genau sehen Sie die junge POC-Frau(?), die seinen Job ggf. übernehmen könnte.

      "Ich hoffe er tritt bei der nächsten Wahl an … und verliert!"

      DAs Eintreten Ihrer Hoffnung: Würde Sie das glücklich machen?

  • Wollnichwoll! Gähnende Leere beschreibt‘s ganz schön! Woll.



    In der Sache & im Kopp!



    Von Herz - wollemehr gar nicht erst reden •



    Nö.



    Egoistisch taube Nuß - mit Pilotenschein!



    Aus Niedereimer = sozialer Brennpunkt Arnsberg!



    Paschd scho.

    Na Mahlzeit

  • Merz wurde von der Basis nicht gewählt, um die Partei zu einen, sondern um sie nach rechts zu rücken. Das ist das Problem mit Basisvoten, die Basis denkt nicht strategisch. Das war bei der SPD das gleiche, als Esken und Walter-Borjans gewählt wurden, nur das die beiden nicht das Ego eines Friedrich Merz hatten und klug genug waren Scholz den Vortritt zu lassen.

    Vielleicht kann Friedrich Merz Wähler von der AfD gewinnen, wenn er so auftritt, wie die Basis das von ihm wünscht. Möglicherweise stärkt es aber auch die AfD, weil die Leute lieber das Original wählen. Gleichzeitig könnte das dazu führen, dass auf der anderen Seite Wähler, die die Merkel-CDU ganz gut fanden, zu SPD und Grünen wechseln und die Union sich Koalitionsoptionen verbaut. Möglicherweise erhöht ein Rechtsruck der Union so die Chancen auf eine progressive Koalition ohne die Union.

  • Im Falle der CDU ist Polarisieren genau das, was die Partei braucht, denn vielen früheren CDU-Wählern wurde die Partei unter Merkel deutlich der SPD zu ähnlich.

  • Danke für diesen sehr umfänglichen Bericht.



    Meckermerzi Ade!



    Als Jemand, für den die CDU schon ein Leben lang ein Feindbild ist, musste ich mich erst zum Lesen animieren.



    Abgesehen von Vetternwirtschaft konnte die CDU ja noch nie irgendwas gut.



    Die angebliche Wirtschaftskompetenz war nur der massiven Wirtschaftsförderung der Alliierten, nach dem zweiten Weltkrieg geschuldet. Der Aufbau einer neuen, entnazifizierten Gesellschaft gelang erst durch die APO und im politischen durch die SPD, mit Ihren Sozialreformen und der Durchlässigkeit der Bildung.



    Als es Zeit war, diese Kompetenz zu beweisen, nach der Wiedervereinigung, versagte die CDU auf ganzer Linie.



    Die unpopulären Wirtschaftsentscheidungen der 2000 der Jahre überließ die CDU rot grün, die SPD ließ Federn.



    Merkel brauchte sich nur auf den Loorbeeren Anderer auszuruhen.



    Mir ist bewusst, dass das in dieser Leserschaft ungern Gehör findet, doch die Berichterstattung der uns umgebenden Länder ist einhellig der Meinung, das die Reformen von rot Grün für 20 Jahre Wirtschaftswachstum sorgten.



    Zurück zur CDU, die Kernkompetenz ist eben keine.



    Merkel machte überwiegend sozialdemokratische Politik.



    Bei der Bundeswehr werden endlich die Probleme angegangen, die sämtliche CDU VerteidigungsministerInnen verpennt haben.



    Da kann die CDU also nicht ernsthaft mit "konservativen Kompetenzen" auffallen.



    Sozialpolitik war noch nie die Stärke der CDU, in der Bildungspolitik hängt man am Klassensystem und möchte Hauptschulen erhalten.



    Die genannte Quotierung der CDU ist halbherzig.



    Das "C" ist nicht mehr interessant,in einer Gesellschaft, die aus den Kirchen austritt.



    Die CDU ist ein Auslaufmodell, dass die Konservativen das noch nicht gemerkt haben, liegt in der Natur der Sache.



    Ach so, interessanterweise sehen die Grünen (NRW) Ihre Aufgabe ja neuerdings darin, die CDU durch greenwashing zu beleben .



    Aus Sicht der Grünen wohl eher ein Absturz in den Tagebau.

  • Polarisieren ist ja an sich nicht schlimm. Bei Merz ist das Problem, dass er auf dem Arschpol wohnt.

  • Die Wahlen werden zeigen, ob die CDU aufs richtige Pferd gesetzt hat, alles andere ist reine Spekulation. Der Kandidat Merz muss auch nicht den anderen gefallen, es reicht wenn er den CDU Wählern gefällt und mehr davon zur Urne bringt. Und scheinbar geht der Aufwind für die CDU langsam los, selbst in der nächsten Berlin-Wahl.

  • "Auch Karin Prien, die liberale Bildungsministerin aus Schleswig-Holstein, und der Klimaexperte Andreas Jung werden stellvertretende Parteivorsitzende."



    Wie kommt die taz zu dieser Einschätzung?



    Als Schleswig-Holsteiner und Politikinteressierter kann ich nur den Kopf schütteln.



    Frau Prien, vertritt m.E. eine knochenharte konservatie Bildungspolitik, vielleicht mit etwas z.T. übertünchtem Liberalisierungsgetue!

    • @KielerSprotte:

      Was halten Sie davon: In 8 Jahren zum Abitur und auch sonst in der Bildung einsame Spitze. Die Länder Sachsen und Bayern lassen grüßen. Wo ist die Bildungsoffensive in Berlin? Schlusslicht. Ausser großartigen Versprechungen - nichts. Also alles nicht so einfach mit alten Feindbildern.