Die Ampel-Politik wird weiblicher: Sicherheit ist Frauensache
Die SPD-Frauen Christine Lambrecht und Nancy Faeser schlagen als Verteidigungs- und Innenministerin neue Töne an.
Es ist Anfang Juli, als Nancy Faeser im hessischen Landtag ans RednerInnenpult tritt. Das Parlament bringt auf Betreiben der SPD einen Untersuchungsausschuss zum Hanau-Anschlag auf den Weg, und Faeser, die Fraktionschefin der SozialdemokratInnen, nennt die Tat einen „tiefen Einschnitt für unser Land“. Sie erzählt, wie sie bei der Familie des erschossenen Hamza Kurtović auf dem Sofa saß und miterlebte, wie diese mit Trauer und offenen Fragen rang: „Als Mutter werde ich diesen Besuch niemals vergessen.“
Sie habe gehofft, dass die Sicherheitsbehörden nach dem NSU-Terror und dem Mord an Walter Lübcke schon viel weiter seien. „Wir schulden den Angehörigen die Aufklärung“, sagt Faeser – und: „Das ist auch eine Frage des Vertrauens in unseren Staat.“
Es sind klare, offene Worte, die man bald auch von der Bundesinnenministerin hören könnte. Am Montag stellt Olaf Scholz in Berlin seine SPD-MinisterInnen für die neue Regierung vor – darunter Faeser als Frau fürs Innere. Und auch hier betont die 51-jährige Juristin: Die größte Bedrohung sei der Rechtsextremismus. „Ihn zu bekämpfen, wird mir ein besonderes Anliegen sein.“
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Faesers Ernennung ist nicht nur eine große Überraschung. In den Sicherheitsbehörden hatte sie niemand auf dem sprichwörtlichen Zettel, erst zwei Tage vorher soll Scholz ihr das Amt angeboten haben. Ihre Ernennung ist auch eine Zäsur. Denn mit Faeser bekommt Deutschland die erste Bundesinnenministerin überhaupt.
Eigentlich war Christine Lambrecht, bisher Justizministerin, ebenfalls Hessin und Juristin, dafür gehandelt worden. Lambrecht ist nun aber Verteidigungsministerin – das Haus ist bereits seit acht Jahren in Frauenhand. Jetzt unterstehen Lambrecht 180.000 SoldatInnen und Faeser ein Ministerium mit 20 Behörden und 85.000 Bediensteten.
„Sicherheit wird in dieser Regierung in den Händen starker Frauen liegen“, erklärt Scholz am Montag. Die Frage ist: Entsteht damit auch eine neue Sicherheitspolitik? Eine weiblichere? Und wie könnte diese aussehen?
Auf dem rechten Auge keineswegs blind
Auf Nancy Faeser, die zuletzt 18 Jahre lang Innenpolitik von der Oppositionsbank in Hessen betrieb, ruht die Erwartung, dass sie einiges anders macht als ihr Vorgänger Horst Seehofer. Während der CSU-Mann mit Law and Order antrat und einmal erklärte, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, setzt Faeser mit dem Thema Rechtsextremismus einen ganz anderen ersten Aufschlag.
„Der Kampf gegen den Rechtsextremismus hat mich persönlich in die Politik geführt und zur Sozialdemokratie“, sagte Faeser einmal. Im hessischen NSU-Untersuchungsauschuss war sie Obfrau ihrer Partei und kritisierte die Aktensperren des Verfassungsschutzes. Wo sich Seehofer mit einer Bewertung der „Querdenker“ zurückhielt, erklärte Faeser, niemand dürfe diese Bewegung „weiter verharmlosen“. Auch gegen die AfD – „ein Feind der Demokratie“ – fordert die Juristin klare Reaktionen des Rechtsstaats ein. Hatte Seehofer noch die Migration als „Mutter aller Probleme“ benannt, verkündete Faeser am Montag, sie arbeite für eine „offenere und tolerantere Gesellschaft“.
Es wird interessant, ob Faeser sich dieses Wording nun bewahrt. Gleiches gilt für Lambrecht, die, anders als Faeser, zur SPD-Linken zählt und in der Vergangenheit bewaffnete Drohnen ablehnte – die nun allerdings im Koalitionsvertrag der Ampel stehen. Auch Lambrecht hat als Justizministerin den Kampf gegen Rechtsextremismus zu einem Schwerpunkt gemacht, etwa mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz gegen Onlinehass. Als Verteidigungsministerin kann sie diesen Strang weiterverfolgen, nunmehr in den Reihen der Soldaten, etwa beim Eliteverband KSK.
Aber Lambrecht und Faeser haben auch gezeigt, dass sie flexibel sind. So suchte Lambrecht in ihren ersten Statements als Verteidigungsministerin Nähe zu den SoldatInnen. Sie wolle sich „mit Fürsorge und Hingabe“ um diese kümmern, sagte sie am Mittwoch und nannte etwa eine bessere Materialbeschaffung, mehr Attraktivität des SoldatInnentums und tiefgehende Evaluationen der Auslandseinsätze als Ziele.
In Hessen hat auch Faeser stets den Kontakt zur Polizei gesucht. Wiederholt besuchte sie Wachen, präsentierte sich auch mal in Polizeiweste, forderte immer wieder eine bessere Ausstattung und mehr Personal. Als rechtsextreme Chatgruppen in der hessischen Polizei aufflogen, schoss Faeser vor allem gegen den dortigen CDU-Innenminister Peter Beuth und dessen „Führungsversagen“. Und als es im Dannenröder Forst zu Auseinandersetzungen zwischen BesetzerInnen und der Polizei kam, lobte Faeser die Einsatzkräfte als „sehr besonnen“ und verurteilte Gewalt gegen sie „aufs Schärfste“.
Oliver Malchow, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), spricht von einem „guten Draht“ zu Faeser, sie habe sich „intensiv für die Polizei eingesetzt“. Er freue sich „auf die künftige politische Zusammenarbeit.“ Anderenorts in den Sicherheitsbehörden sind ebenfalls kaum Vorbehalte zu vernehmen, vielmehr wird Faesers innenpolitische Expertise gelobt. Und unisono heißt es: Dass sie die erste Frau in dem Amt ist, spiele keine Rolle.
Wirklich nicht? Klar ist: Faeser und Lambrecht werden einem immer noch männlich dominierten Sicherheitsapparat vorstehen. Innen- wie Verteidigungsministerium waren seit 16 Jahren in Unionshand und sind beide entsprechend konservativ geprägt. Als Seehofer 2018 Innenminister wurde, besetzte er alle acht Staatssekretärsposten mit Männern. Bei der Polizei liegt der Männeranteil bei gut 70 Prozent, in den Führungsebenen noch höher. Die Bundespolizei, das BKA und das Bundesamt für Verfassungsschutz werden seit jeher von Männern geführt. Und bei der Bundeswehr machen Frauen bis heute nur einen Anteil von 12 Prozent aus.
Aber ein bisschen was tut sich doch. Auf Länderebene gibt es erstmals seit Jahren mit Sabine Sütterlin-Waack aus Schleswig-Holstein und Tamara Zieschang aus Sachsen-Anhalt wieder Innenministerinnen. Und die Frauenquote bei der Polizei steigt seit einigen Jahren an: zwischen 2000 und 2019 von 20 auf 29 Prozent.
Dazu prägen im Bundestag zunehmend auch Frauen die Innenpolitik: Andrea Lindholz von der CSU, Martina Renner von der Linken oder Irene Mihalic von den Grünen. Sie freue sich, dass das Bundesinnenministerium erstmals von einer Frau geführt werde, sagt Mihalic, früher selbst Polizistin. Aus ihrer Sicht würde eine Geschlechterparität die Sicherheitspolitik auch „inhaltlich voranbringen“. So sollten etwa bei der Hasskriminalität Perspektiven von Frauen stärker berücksichtigt werden, findet Mihalic. „Auch auf internationaler Bühne zeigt sich, dass bessere Ergebnisse erzielt werden, wenn Frauen mit am Verhandlungstisch sitzen.“
Ob Faeser und Lambrecht hier nun tatsächlich noch stärkere Akzente setzen, bleibt abzuwarten. Als Justizministerin tat Lambrecht dies etwa mit der Einführung einer Quote in Aufsichtsräten. Faeser vergab immerhin einen ihrer ersten drei StaatssekretärInnenposten an eine Frau, an die SPDlerin Rita Schwarzelühr-Sutter.
Corona, Belarus, „Querdenker“: Großprobleme en masse
Aber gerade Faeser wird sich umgehend einigen Großproblemen widmen müssen: der Coronapandemie, den Geflüchteten an der belarussischen Grenze, afghanischen Ortskräften und radikalisierten „Querdenkern“. Zudem hat sie es mit Sicherheitsbehörden zu tun, die teils reserviert auf die Ampelpläne reagieren, die Faeser nun umsetzen soll, darunter die Einführung eines Polizeibeauftragten, die Kennzeichnungspflicht für Einsatzkräfte und ein Recht auf Verschlüsselung.
Von einem „schwarzen Tag für die Sicherheit“ sprach die rechte Deutsche Polizeigewerkschaft (DpolG), 100.000 Mitglieder stark, bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags und beklagte ein „tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber den Sicherheitsbehörden“. Die GdP nennt die Legalisierung von Cannabis ein „absolut falsches Signal“. Entscheidend wird sein, wie Faeser mit der Kritik umgeht. Es waren vor allem Grüne und FDP, die auf die genannten Projekte drängten, nicht die SPD.
Zu Belarus gab Faeser bereits am Donnerstag erste Antworten, bei ihrer Reise zum EU-Innenministerrat in Brüssel: Den Umgang von Machthaber Lukaschenko mit den Geflüchteten an der polnischen Grenze nannte sie „skandalös und menschenverachtend“ – wieder wählte sie also sehr deutliche Worte. Inhaltlich blieb sie indes auf Seehofer-Linie, forderte einen Frontex-Einsatz und ungehinderten Zugang für Hilfsorganisationen.
Es könnte das Schema in nächster Zeit werden: Ein neuer Ton zieht in die nun frauengeführte deutsche Sicherheitspolitik ein. Doch der Kurswechsel hängt davon ab, inwieweit es Faeser und Lambrecht gelingt, den Koalitionsvertrag auch faktisch umzusetzen. In Fragen der Inneren Sicherheit liest sich das Papier durchaus progressiv.
Für Faesers Kampf gegen den Rechtsextremismus liefert der Ampelvertrag jedenfalls Vorlagen. Das Demokratiefördergesetz ist darin festgeschrieben, die koordiniertere Überwachung und die Entwaffnung rechtsextremer Gefährder. Zudem steht eine Gerichtsentscheidung über die AfD-Beobachtung bevor. Hier könnte Faeser Zeichen setzen. Nicht nur die Hinterbliebenen von Hanau werden sie daran messen.
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