ROTE KARTE GEGEN „BILD“
: Wehe, wehe, wehe

Heut ist hier, was Bild getrieben, abgemalt und aufgeschrieben

Ich erhalte von einer Frau Jacoby eine persönliche Einladung zu einer Kundgebung gegen Bild. Das ist mir auch noch nicht passiert. Dann will ich Frau Jacoby mal nicht enttäuschen. Die Kundgebung findet vor dem Springer-Hochhaus statt und beginnt bereits um 9.45 Uhr, und ich denke, das ist aber ein bisschen früh.

Nicht zu früh ist das für rüstige Menschen im Rentenalter. Ungefähr dreißig von ihnen haben sich für die ungefähr dreißig Vertreter der Presse mit dem Springer-Hochhaus im Hintergrund zu einem Gruppenfoto aufgestellt. Alle haben eine rote Karte, auf der steht „Rote Karte für BILD“. Es werden einige Artikel von Bild verlesen, die vom Presserat gerügt wurden. Danach sagt Frau Jacoby in ein Mikro, „Für diese Rüge zeigen wir die rote Karte“, wobei Frau Jacoby vermutlich der Bild-Berichterstattung die rote Karte zeigen möchte und nicht der Rüge.

Dann halten die etwas älteren Menschen die rote Karte hoch und trillern auf einer Trillerpfeife. Zwischendrin skandiert Frau Jacoby zusammen mit den Menschen, die die roten Kärtchen in die Höhe halten: „Fair und seriös, statt lügenhaft und bös!“ Auch ein Gedicht sagt Frau Jacoby auf: „Aber wehe wehe wehe / wenn ich auf die Folgen sehe – Ach das war ein schlimmes Ding / wie es vielen Menschen ging – Heut ist hier, was Bild getrieben / abgemalt und aufgeschrieben.“

Puuuh, denke ich, da hat aber jemand Wilhelm Busch ordentlich gequält, abgemalt und aufgeschrieben. Frau Jacoby ergreift noch einmal das Wort. Sie sagt, man könne sich vielleicht mal umdrehen zum Springer-Hochhaus, damit die auch die roten Karten sehen, „aber vielleicht arbeiten die ja gar nicht“, fügt sie etwas unsicher hinzu. Und tatsächlich. Ich kann keinen Menschen hinter den zahlreichen Fenstern entdecken. Wahrscheinlich hat Kai Diekmann seinen Mitarbeitern verboten, auf die Kundgebung zu gucken. KLAUS BITTERMANN