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Deutschlands Klimabilanz 2022Schluss mit Rechenspielchen

Susanne Schwarz
Kommentar von Susanne Schwarz

Deutschland hat seine Klimaziele 2022 verfehlt. Besonders Verkehr und Energie hinken hinterher. Die FDP versucht sich in kreativen Neuberechnungen.

Bei der Einhaltung der Emissionsziele hinkt insbesondere der Verkehrssektor hinterher Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

D eutschland hat seine Kohlen­dioxid-Emissionen im Jahr 2022 nicht gesenkt, wie der Thinktank Agora Energiewende berechnet hat. Unerwartet kommt das nicht. Es macht sich bemerkbar, dass Deutschland mehr Kohle verfeuert als eigentlich geplant – eine Folge der Energiekrise, die vor allem durch Russlands Krieg in der Ukraine besteht. Dass es eine nachvollziehbare Erklärung für den Missstand gibt, macht ihn aber nicht kleiner.

Deutschland muss die Emissionen in den kommenden Jahren bis 2030 fast halbieren. Besonders fatal sieht es erneut im Verkehrswesen und beim Heizen aus. Es macht aber auch wenig Mut, dass durch den Kohle-Boom selbst der Energiesektor wieder Probleme bereitet. Erstmals seit Langem sind die Emissionen dort wieder gestiegen, statt zu sinken.

Das zeigt auch, wie aberwitzig der Vorschlag der FDP zur Reform des Klimaschutzgesetzes ist. Die Neoliberalen wollen abschaffen, dass es feste CO2-Grenzen für jeden Wirtschaftssektor gibt, also etwa für Energie, Verkehr und Landwirtschaft. Es gäbe nur noch übergreifende Ziele für ganz Deutschland. Die Idee: Wenn es in einem Bereich wie im Verkehr besonders schwer ist, Emissionen zu senken, soll man doch den Klimaschutz erst mal woanders verstärken. Das klingt nett, ist aber Quatsch.

Erstens wurden die unterschiedlichen Gegebenheiten in den verschiedenen Sektoren bei der Entwicklung der einzelnen CO2-Grenzen natürlich schon beachtet. Und zweitens zeigt das Klimaschutz-Ergebnis 2022, dass es in keinem Sektor Spielraum gibt, um das klimapolitische Versagen im Verkehrswesen aufzufangen. Der Vorstoß ist eine von mehreren Nebelkerzen, mit der die FDP ihre Weigerung verstecken will, den Verkehrssektor umzubauen. Eine weitere ist die Forderung von Bundesverkehrsminister Wissing (FDP), eine Ex­per­t:in­nen­kom­mis­si­on solle den längst vereinbarten Atomausstieg noch einmal überprüfen, wovon er sich mehr Strom für E-Autos erhofft. Die Zahl der Autos muss sinken. Dabei helfen weder die energiepolitischen Debatten der vergangenen Jahrzehnte noch das Einbauen von Rechenspielchen ins ­Klimaschutzgesetz.

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Susanne Schwarz
Leiterin wirtschaft+umwelt
Jahrgang 1991, leitet das Ressort Wirtschaft + Umwelt und schreibt dort vor allem über die Klimakrise. Hat ansonsten das Online-Magazin klimareporter° mitgegründet.
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17 Kommentare

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  • "Die Neoliberalen wollen abschaffen, dass es feste CO2-Grenzen für jeden Wirtschaftssektor gibt, also etwa für Energie, Verkehr und Landwirtschaft."

    Feste Grenzen sind nur Parpiertiger. Und selbst der Papiertiger hat nicht mal einen Zahn. Was sollen das für Grenzen sein? Ein Wunschzettel für nächste Weihnachten? Darf Habeck dann keine LNG-Terminals mehr bauen. Dürfen nur noch 50 Liter pro Person und Monat getankt werden?

    Aktuell haben wir keinen Emissionshandel für diese Bereiche. Der Europäische Emissionshandel (EU-ETS) ist seit 2005 das zentrale Klimaschutzinstrument. Energie, Verkehr und Landwirtschaft müssen dringenst in den Emissionshandel mit einbezogen werden und bepreist werden.

    Die Forderung der FDP, den Emissionshandel schnellstmöglich auf alle Emissionen ausweiten geht in die richtige Richtung. Die Kritik müsste lauten, dass das nicht genügend forciert wird.

  • Landwirtschaft, wenn wir den Fleischkonsum in Deutschland halbieren tun wir mehr fürs Klima als mit allen anderen Maßnahmen und wir würden sogar deutlich gesünder leben.

  • "Wenn es in einem Bereich wie im Verkehr besonders schwer ist, Emissionen zu senken, soll man doch den Klimaschutz erst mal woanders verstärken".

    ...meint die FDP. Was ist das bitte.? Ahnungslosigkeit, Rücksichtslosigkeit oder was jetzt.? Die Wahrheit ist: rein rational ist es in keinem Sektor so einfach und so effektiv CO2 Einspareffekte zu finden, wie im Verkehrssektor.!!

    Deshalb jetzt mal folgende Betrachtung:

    ...egal wie groß oder klein ein Auto ist, es wird überwiegend von nur einer Person gefahren. Allerdings verbraucht ein sparsamer Kleinwagen gegenüber einem großen Sportwsgen oder SUV nur etwa ein 1/5 der Energie..



    Hinzu kommt: wird einer dieser großen Wagen auf der Autobahn voll ausgefahren, erhöht sich dessen Energieverbrauch gegenüber einer Geschwindigkeits limitierten Fahrweise nochmal auf ein Vielfaches (bis zum fünffachen)..(und das bei zumeist sehr überschaubarer "Zeitersparnis").

    Interessant dazu folgendes Experiment:

    ..in dem ein handelsüblicher Kleintransporter 17l auf 100km verbrauchte und der "Spitzenreiter" sich satte 62l auf 100km "genehmigte"...

    m.focus.de/auto/ra...hr_id_3515475.html

    Zusammen gefasst verbraucht ein sparsamer Kleinwagen in Kombination mit einem Tempolimit also bis zu 25mal weniger Energie und ist entsprechend 25mal klimaverträglicher als die maximierte Variante.



    Oder umgekehrt: ein Großauto ist bis zu 25mal Klimaschädlicher als ein Kleinwagen...und wozu dient das jetzt nochmal..

    (ich wüßte gerne wie Hr. Wissing der ja nicht daran denkt hier regulierend einzugreifen, stattdessen aber den Autobahnausbau noch weiter beschleunigen möchte, dies der jungen Generation erklären will.?)..

    • @Wunderwelt:

      Q Wunderwelt.



      Die Rechnung in Ehren.



      Aber wieso sollte man Kleinwagen mit Kleintransporter vergleichen?



      Ein Polo braucht so 5l auf 100km, ein Q3 vielleicht 8l auf 100km. Selbst wenn die Produktion von mehr Masse mehr CO2 freisetzt, auf 25x klimaschädlicher kommt man eher nicht.

  • "Erstens wurden die unterschiedlichen Gegebenheiten in den verschiedenen Sektoren bei der Entwicklung der einzelnen CO2-Grenzen natürlich schon beachtet."

    Eben nicht ausreichend. Bei der Stromerzeugung hätte man schon 2021 deutlich mehr CO2 einsparen können und sogar in 2022 trotz Ukraine-Krieg die Ziele übererfüllen, wollte man aber nicht wegen Atomausstieg. Grohnde und Brokdorf hätten ein Vielfaches des Effekts eines Tempolimits beigetragen, und das mit sofortiger Wirkung.

  • Verkehrssektor umbauen: Ja aber pronto: Tempolimit geht ganz schnell! und fordert die Letzte Generation schon seit Monaten....



    Übrigens Rechenspielchen können die Grünen auch prima: siehe ihr s chmutziger Deal mit KohleRWE und die grün abgesegnete Räumung von Lützerath- ein bruch des Pariser Klimaschutzabkommen.

  • Die Zahl der Autos muss sinken.

    Dann bleibt doch nur die dänische Lösung. Luxussteuer auf alle Autos, so dass sich nur noch Reiche diese leisten können. Nebenbei werden sich dadurch auch noch die Straßen leeren.

    • @Nikolai Nikitin:

      Klingt super-sozial, insbesondere für Otto-Normalarbeitnehmer, der auf das Auto angewiesen ist.

      • @Tom Tailor:

        Ist wohl politisch so gewollt.

  • Ein Rechenspielchen: Die 4GW (32TWh/a) der AKWs entsprächen 80TWh durch Kohleverstromung oder zusätzlichen 9 Millionen PKWs. Das sind immerhin 20% des PKW-Bestandes.

  • Dem Klima ist doch egal woher das CO2 kommt. Wir sind uns einig, daß der CO2 Ausstoss sinken muß.

    Dazu haben wir in EU ein sinkendes CO2 Budget. Daraus bildet sich der CO2 Preis.

    Ich weiß echt nicht warum Sie an Sektorgebundenen CO2 Zielen festhalten wollen.

  • Die FDP ist ein einziges Systemversagen.

  • @ABID KIDOH

    Ich nehme an, den Produzenten: der kann seine Unkosten dann über den Preis weiterreichen.

  • Die FDP liefert wieder mal ein Beispiel dafür, dass es ihr ausschließlich um einen billigen populistischen Vorteil geht. In der Sache, also beim Klimaschutz, ist mit dieser Partei überhaupt nicht zu rechnen. Das Ziel der Parteiprominenz ist nur darauf ausgerichtet, bei Wahlen nicht unter die 5% zu geraten. Dabei setzen die auf leere Versprechungen, nämlich das alles technisch zu lösen sei und man sich gar nicht anzustrengen braucht. Das zielt auf die paar Wähler*innen, die genau das hören wollen und die Fakten komplett ignorieren - aber die paar retten die "Liberalen" über die Prozenthürde. Bis jetzt....

  • In einer anderen Zeitung steht heute, dass Deutschland letztes Jahr mehr Strom produziert hat, dabei aber weniger selbst verbraucht und mehr exportiert hat. Blöd, wenn es dann auch noch Kohlestrom ist.



    Frage an die Expertenrunde: Welchem Land wird das auf den CO2-Deckel geschrieben? Dem Produzenten oder dem Konsumenten? (Frage ist ernst gemeint)

  • Es ist höchste Zeit, dass tatsächlich !!!!!! mehr Güter auf die Bahn kommen.



    Dafür sind die Kapazitäten in Deutschland aber viel zu gering, weil man Jahrzehnte gepennt hat. Kein Wunder bei diesen Verkehrsministern!



    Parallel zur Autobahn würde sich eine Frachtroute per Schiene anbieten (wegen den vielen Genehmigungsverfahren).



    In 10 Jahren kann man weit kommen. Wo sind die Politiker, die Perspektiven aufzeigen? Vielleicht Habeck, aber der kämpft ja gegen alle.