Deutschland und der Krieg in Gaza: Viel Einigkeit und Lob
Bei einer „aktuellen Stunde“ im Bundestag hat die Außenmministerin für ihren Kurs gegenüber Israel Lob aus der Union erhalten. Nur eine widerspricht.
Aber, stellte Baerbock klar: „Wir stehen für die Sicherheit Israels und seiner Bürger“. Doch die „Staatsraison“ sei nicht alles: „Gleichzeitig stehen wir zum humanitären Völkerrecht“. Deshalb trete sie für einen humanitären Waffenstillstand ein.
Alle Länder schauten „vor dem Hintergrund ihrer eigenen Geschichte“ auf das Leid in Israel und Gaza, so Baerbock. „Ich schaue als Außenministerin eines Staates auf diese Situation, der die Verantwortung für das schlimmste vorstellbare Verbrechen trägt: die Shoah“, erklärte sie. Zugleich sagte die Grünen-Politikerin: „Unser Standard ist das Recht. Unser Standard ist die Menschlichkeit, die uns leitet“. Diese Menschlichkeit sei „unteilbar“. Am Sonntag reist sie wieder in den Nahen Osten: zum siebten Mal seit dem 7. Oktober.
SPD-Parteichef Lars Klingbeil hatte kürzlich eingeräumt, dass es im globalen Süden „erhebliche Zweifel“ daran gebe, dass Israel bei seinem Vorgehen in Gaza das Völkerrecht achte und die Verhältnismäßigkeit wahre. Diese Zweifel müsse man „ernst nehmen“, hatte er bei einer Veranstaltung in Berlin gesagt. In Deutschland werden solche Zweifel nach fünf Monaten allmählich auch immer lauter.
Nils Schmid zieht eine rote Linie
Eine israelische Bodenoffensive in der Grenzstadt Rafah, wo 1,5 Millionen Palästinenser Zuflucht gesucht haben, nannte Nils Schmid (SPD) am Donnerstag im Bundestag jetzt eine rote Linie: damit sei die Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt, sagte er. Die Ziele der Bundesregierung seien deshalb klar: es brauche einen Waffenstillstand – auch, um die Geiseln zu befreien – und, die humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza müsse dringend verbessert werden. Air Drops und Seebrücken seien nicht genug, darüber zeigten sich SPD und Grüne einig. „Eigentlich müsste die Hilfe übers Land kommen“, räumte Baerbock ein.
Wer dafür verantwortlich ist, dass zu wenig Hilfe im Gazastreifen ankommt, so dass dort jetzt eine Hungersnot herrscht, das wollte keiner so deutlich sagen, dabei liegt die Antwort auf der Hand. Genau so, wie allen klar ist, dass Israels Premier Netanjahu noch immer an einer Bodenoffensive in Rafah festhält und eine Zweistaatenlösung ablehnt, die alle beschwören. Doch in der aktuellen Stunde zur „Lage in Israel und den palästinensischen Gebieten“, die am Donnerstag auf Antrag der Ampel-Fraktionen angesetzt wurde, wollte ihn keiner so direkt kritisieren. Stattdessen bemühten sich fast alle Rednerinnen und Redner um Diplomatie und große Einigkeit.
Fast alle betonten, dass Israel das Recht habe, sich zu verteidigen. Fast alle machten in erster Linie die Hamas und niemanden sonst für das Leid im Gazastreifen verantwortlich. Fast alle sprachen sich für eine Zweistaatenlösung als langfristiges Ziel aus. Und mehrere Rednerinnen und Redner dankten Baerbock persönlich für ihren Einsatz und ihre „Pendeldiplomatie“ im Nahen Osten – sogar der CDU-Politiker Johann Wadepuhl aus der Opposition. Und selbst der AfD-Abgeordnete Joachim Wundrak gab sich staatstragend: „Wir stehen fest an der Seite Israels“, betonte er.
Wenig Widerspruch, viel Diplomatie
Widerspruch gab es aus der Union nur dagegen, dass Klingbeil und Schmid leichte Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des israelischen Vorgehens geäußert hatten: das wurde dort schon als unzulässige Absetzbewegung von „unseren israelischen Freunden“ (Wadepuhl) angesehen. An deren Seite wollen vor allem Redner von CDU, FDP und AfD weiterhin unverbrüchlich stehen. Viele Reden klangen dabei so, als hätten sie schon vor Monaten genau so gehalten werden können, und als sei in der Zwischenzeit nichts passiert. Der FDP-Abgeordnete Marcus Faber wärmte sogar das Märchen auf, die Hamas hätte „40 Babies ermordet“ – eine Behauptung, die längst widerlegt wurde. Der CSU-Abgeordnete Florian Hahn sprach von „Barbaren“ und polterte: „Wer das Existenzrecht Israels nicht anerkennt, der sollte nicht in Deutschland sein.“
Fast alle Rednerinnen und Redner beschworen eindringlich das Grauen des Hamas-Angriffs vom 7.Oktober. Für das Grauen in Gaza fanden die meisten von ihnen deutlich weniger Worte. Lediglich Baerbock und andere Rednerinnen und Redner von Grünen, Linken und SPD gingen darauf ein. Und nur Amira Mohamed Ali vom „Bündnis Sahra Wagenknecht“ fiel aus dem Rahmen, als sie sagte, das israelische Vorgehen habe „nichts mehr mit Selbstverteidigung zu tun“. Sie war auch die Einzige, die Deutschlands Waffenlieferungen an Israel ansprach – allerdings, ohne es mit einer Forderung zu verbinden. Auch die Frage, ob Deutschland wieder Gelder an das Palästinenser-Hilfswerk UNWRA fließen lassen soll, wurde im Bundestag nicht diskutiert.
Andere Länder sind da schon weiter – auch Verbündete. Kanada hat jetzt seine Waffenlieferungen an Israel gestoppt und die Finanzierung von UNRWA wieder aufgenommen. Beim EU-Gipfel der europäischen Staats- und Regierungsschefs in Brüssel, an dem Olaf Scholz am Freitag teilnahm, haben die EU-Staaten ihren Ton gegenüber Israel deutlich verschärft: auch die europäischen Staats- und Regierungschefs fordern angesichts der dramatischen Notlage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen eine sofortige Feuerpause. Diese solle zu einem nachhaltigen Waffenstillstand, zur bedingungslosen Freilassung aller im Gazastreifen festgehaltener Geiseln und zu mehr humanitärer Hilfe führen, heißt es in einer Erklärung, die am Donnerstagabend verabschiedet wurde.
In der EU halten sich konservativ geführte Länder wie Österreich, Tschechien und Ungarn mit Kritik zurück, während links regierte Länder wie Spanien und Belgien auf eine stärkere Reaktion drängen: sie halten das Vorgehen Israels im Gazastreifen für völkerrechtswidrig. Deutschland steht mittlerweile dazwischen. Auch die USA haben ihren Ton verschärft: sie wollen sich im UN-Sicherheitsrat erstmals für eine „sofortige Feuerpause“ im Gazastreifen einsetzen. Bisher hatten sie im UN-Sicherheitsrat gegen mehrere Resolutionen, in denen sofortige Feuerpausen im Krieg zwischen Israel und der Hamas gefordert wurden, stets ihr Veto eingelegt.
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