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Defizite im GesundheitssystemKeinen Cent zu viel

Pa­ti­en­t:in­nen sollen heute wenig Kosten. Statt Heilung steht Profit im Vordergrund. Darüber sprechen will kaum jemand – aus Angst.

Am Ende verlieren alle: Pa­ti­en­t:in­nen sowie Ärz­t:in­nen Foto: Westend61/imago

rz­t:in ist ein wunderbarer Beruf. Man kann Menschen helfen, heilen, trösten. Menschen sehen, Vertrauensperson sein. Das Glück mitempfinden, wenn ein Mensch gesund geworden ist, den man begleitet hat. Aber oft lässt das System nicht zu, dass Ärz­t:in­nen ihren Beruf leben, wie er eigentlich gedacht war. Einer der wichtigsten Gründe: Gesundheit ist zur Ware geworden. Eine Ware wie ein Auto oder Toilettenpapier. Eine Ware, die Gewinn bringen soll. Kaputt gehen dabei die Patient:innen. Kaputt gehen dabei aber auch Ärz­t:in­nen und Pflegekräfte.

Pa­ti­en­t:in­nen sollen so wenig wie möglich kosten und so viel wie möglich Geld bringen. In einer SWR-Doku aus dem vergangenen Jahr erklärt der Chefarzt einer Berliner Klinik, wie das in der Praxis aussieht: Wenn er auf Visite geht, hat er einen Computer dabei, auf dem die Diagnosen der Pa­ti­en­t:in­nen stehen. Dort stehen auch die Kosten, die di­e:der Kranke bisher verursacht hat. Wenn di­e:der Pa­ti­en­t:in zu teuer ist, steht das auch dort. Während der Arzt Pa­ti­en­t:in­nen gegenübersteht, muss er wissen, wie viel Erlös sie dem Klinikum bringen. Ablesen lässt sich das an den sogenannten DRGs.

DRG bedeutet Diagnosis Related Group. Das bedeutet verkürzt, dass jeder Diagnose eine Fallpauschale zugeordnet wird, ein bestimmter Betrag für diese oder jene Krankheit. In einem Radio-Feature, auch des SWR, erklärt eine andere Ärztin, dass es in Kliniken extra Codier-­Ex­per­t:in­nen gibt, die nur dazu da sind, um zu schauen, mit welchen Erkrankungen das Krankenhaus Geld verdienen kann. Die Ärztin erklärt, wie das läuft: „Dann steht ein Codier-Experte hinter mir und sagt: ‚Mensch, der ist jetzt aber schon ganz schön lange hier‘ oder ‚Da kriegen wir aber jetzt nicht viel Geld für. Können wir nicht gucken, ob der noch eine andere Diag­nose hat, die vielleicht noch ein bisschen mehr Geld bringt?‘“

Schweigen aus Angst

Offen sprechen darüber die wenigsten Ärz­t:in­nen, aus Angst, dass es ihrer Karriere schaden oder ihren Job gefährden könnte. Es gibt aber eine Vereinigung von Ärzt:innen, die sich wehren: Die Bunten Kittel. Sie demonstrieren und klären auf, wie vergiftet das System ist. Auf ihrer Webseite gibt es anonym verfasste Berichte von Ärz­t:in­nen über ihren Arbeitsalltag. Ein:e Ärz­t:in schreibt: „Dass bei Entscheidungen über die Gesundheit eines Menschen finanzielle Interessen Außenstehender eine signifikante Rolle spielen und sich Profite mit kranken Menschen machen lassen, möchte ich nicht als Normalität akzeptieren.“

Das Problem: Es ist schon Normalität für die vielen Ärz­t:in­nen und Pflegekräfte, die in diesem System verheizt werden, weil an Personal gespart wird und weil sie Menschen nicht wie Menschen, sondern wie Maschinen am laufenden Band behandeln müssen. Die perverse kapitalistische Logik lässt keine Zeit für Gespräche, für Fürsorge, für das, was den ärztlichen Beruf eigentlich zum schönsten Beruf der Welt macht.

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Gilda Sahebi
Ausgebildet als Ärztin und Politikwissenschaftlerin, dann den Weg in den Journalismus gefunden. Beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, Medizin und Wissenschaft, Naher Osten.
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17 Kommentare

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  • 57 Millionen Beitragszahler haben ein durchaus verständliches Interesse, dass das Gesundheitswesen sehr kostenbewusst mit den Beiträgen umgeht. Das hat mit GKV oder PKV oder einem Krankenhaus in öffentlicher oder privater Hand rein gar nichts zu tun.

  • zur Info: siehe Schweiz. Womöglich eines der Traumländer für Ärzte, Pfleger und Patienten. Mit DRG-Fallpauschalensystem!!

    Unterschied: Dort ist die Finanzierung auf eine wesentlich breitere Basis gestellt. Alle sind gesetzlich versichert, ohne Ausnahmen und ohne Rabatte für Besserverdienende (wie Beitragsbemessungsgrenze). Wer mehr will, kann ja private Zusatzversicherungen abschliessen.

    • @Flachköpper:

      Allerdings auch ohne Rabatte für wenig Verdienende. Die Krankenkassenbeiträge gehen nach Kopf und Alter und nicht nach Einkommen wie bei uns. Da würde ich doch unser System bevorzugen, da etwas sozialer

  • 0G
    03998 (Profil gelöscht)

    Die Problematik der Profitorientierung im Gesundheitssystem wird mittlerweile abgelöst von der Tatsache, dass es viel zu wenig Ärzte gibt. Da muss jemand zum Beispiel stundenlang mit seinem Kind mit dem Bus fahren, um zu einem Kinderarzt zu kommen. Oder ein Facharzt kann einem erst in einem halben Jahr einen Termin geben obwohl die Sache akut ist und der Hausarzt ratlos - da wird quasi impliziert, dass man/frau doch gleich in die Notaufnahme gehen soll. Und wie lange wird das noch funktionieren?

  • Das ist das schlimme am Kapitalismus: Gewinnoptimierung. So lange Krankenhäuser, ÖPNV und andere soziale Dinge Gewinn machen müssen, so lange ändert sich nichts. Aber leider werden Parteien die das ändern wollen nicht gewählt. So what?

    • @Michael Bering:

      In Einrichtungen, die keine Gewinne machen müssen, geht es inzwischen nicht viel anders zu. Denn auch diese Einrichtungen müssen ihre Kosten decken und nach Möglichkeit Überschüsse erwirtschaften, die als Rücklagen für schwierige Zeiten dienen. Die Durchökonomisierung des Gesundheitswesens wird sich kaum mehr zurückdrehen lassen.

  • Dass Kliniken oder Praxen gewinnorientiert arbeiten, halte ich auch für problematisch, ebenso wie das Zweiklassensystem, in dem sich Privatpatienten aus der Solidarität herauskaufen und eine bessere Gesundheitsversorgung bekommen.

    Aber ich finde es auch richtig, dass darauf geschaut wird, was Behandlungen kosten. Wir haben größtenteils eine ziemlich gute Gesundheitsversorgung auch für Kassenpatienten und diese kostet viel Geld. Unnötige Ausgaben muss die Allgemeinheit tragen.

    Nicht alles was machbar ist und ein Arzt gerne machen würde ist auch sinnvoll und muss von der Allgemeinheit finanziert werden. Ohne einen gewissen Kostendruck ist es kaum möglich zu verhindern, dass die Kosten ausufern. Und so lange es Ärzte gibt, die für teures Geld wirkungslose Zuckerkügelchen verschreiben, ist es sowieso wichtig, dass den Ärzten bei den verursachten Kosten auf die Finger geschaut wird.

    • @Ruediger:

      Zuckerkügelchen sind billiger als jede Spritze und wirken bei M manchen, was ist also dagegen zu sagen.

  • Privat versicherte werden nicht nur schneller und mehr behandelt, oft auch unnötig. Auch hier verschwindet viel Geld und tut nicht immer den Patientinnen gut.



    Ein Hauptproblem sehe ich darin, dass zu viel Geld unreflektiert ins Gesundheitssystem gepumpt wird. Ärzt*innen denken zu häufig nur an ihren Verdienst. Termine bei Fachärzt*inen werden immer schwieriger für Kassenpatient*inen. Immer mehr Ärzt*innen nehmen nur noch Privatpatient*innen.



    Die Geldgier von Ärztinnen wird auch politisch geschürt und bedient, und letztlich ist die ärztliche Grundversorgung in Deutschland schon jetzt nicht mehr garantiert . (Und das genderschreiben ist auch ganz schön anstrengend.)

  • Solange Abgeordnete, Politiker: innen aller Couleur, die gesamte Beamtenschaft and so on sich privat plus Beihilfe versichern lassen können, wird sich das Engagement für Veränderungen leider sehr in Grenzen halten. Leider stimmt meist doch: Das Sein bestimmt das Bewußtsein, allen gutgemeinten Bekundungen zum Trotz. Die paar Ausnahmen von der Regel, nämlich Menschen, die mit Bewußtsein auch das Sein zum Besseren anderer ändern wollen, sind allzu rar gesät!

  • Na, da wird ja richtig ein Sinn ersichtlich, warum man mit Lauterbach einen GesundheitsOEKONOMEN inthronisiert hat, der schon dafür sorgen wird, dass den Investoren keine Profite entgehen

  • 9G
    93851 (Profil gelöscht)

    Perverser Kapitalismus, genau das ist es!



    Mit Codeschlüssel am Krankenbett dem Patienten das "Blaue vom Himmel" erzählen und ihn dann mit "halb offenem Bauch" ins nächste Taxi setzen, oder?



    Und dafür erhöhen Krankenkassen ihre Beiträge ...

    Noch dazu werden Privatpatienten nachweislich viel schneller und besser versorgt als gesetzlich Versicherte.



    Wer führt bitte Statistik darüber, wieviel gesetzlich Versicherte bei gleicher Erkrankung schneller entlassen werden und schneller sterben als Privatversicherte?

    youtu.be/RzmenAJff5o

    • @93851 (Profil gelöscht):

      1. Für Privatversicherte gilt bei der stationären Krankenhausbehandlung dasselbe Fallpauschalensystem wie für gesetzlich Versicherte.



      2. Eine längere Hospitalisierung als erforderlich ist keineswegs im Interesse der Patienten. Dies ist schon allein deswegen so, weil man in deutschen Krankenhäusern außer auf Corona nicht auf Infektionskrankheiten getestet wird und mit anderen ebenfalls ungetesteten Patienten standardmäßig auf ein Zimmer gelegt wird (Einzelzimmer stehen oft auch für Privatversicherte oder für gesetzlich Versicherte, die bereit sind, den Einzelzimmerzuschlag selbst zu bezahlen, nicht zur Verfügung). Nicht zuletzt deswegen sterben jedes Jahr Tausende an Krankenhausinfektionen. Krankenhausaufenthalte sind riskant und sollten auf die notwendige Mindestdauer beschränkt bleiben.

    • @93851 (Profil gelöscht):

      Andererseits werden bei Privatversicherten mehr Eingriffe vorgenommen, eben weil die mehr Geld einbringen. Gesund ist das auch nicht immer, im Gegenteil.

  • Indes: Die Schuldigen sitzen nicht in den Chefetagen der Kliniken, nicht in den Aufsichtsräten der börsennotierten Gesundheitskonzerne.



    Sie finden sich auf den Wahlzetteln der Landtags- und Bundestagswahlen.



    Und perfider Weise finden sich sich dort (noch immer) ganz oben in der Liste.

    Denn als Abgeordnete:r landest du im Krankenhaus ja nicht im überfüllten Wartebereich sondern vom VIP-Parkplatz direkt auf der Chefarzt-Station.

  • Ja Dankeschön für diese so wichtige Kolumne.

    "Statt Heilung steht Profit im Vordergrund". Wie wahr wie wahr!

    Der Mensch als Ware der Reichen. Der Patient als Geldmaschine.

    Es wird Zeit, dass wir Menschen aufhören mit unserem perversen Profit- und Renditedenken und wieder menschlich werden.

    War da nicht mal was mit Liebe, Güte, Fürsorge und Mitgefühl? Wie wäre es, wenn wir ausschließlich heilungsorientierte Qualitäten in Heilungszentren belohnen?

    Wie? Na ganz einfach! Z.B. mit dem Umbau zu einem positivem Finanzsystem:

    - Monetative (gemeinwohlorientierte, demokratisch legitimierte Geldmacht als vierte Macht im Staate (zusätzlich zu Judikative, Legislative und Exekutive))



    - Vollgeldsystem (mit Stärkung von Regionalgeld und Bargeld)



    - Bedingungsfreiem Grundeinkommen (oder ähnlichem, z.B. Garantiesicherung)



    - gemeinwohlorientierten Handlungsmaximen (Bruttosozialglück, zukunftsfähig



    (enkeltauglich) entscheiden, Kooperation statt Konkurrenz, ethischer Verhaltenskodex)

    Gesundheitszentren könnten z.B. eine eigene "Gesundheitswährung", ihr eigenes Geld bekommen.

    Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wecheln kann. ;-)

    OM Heilung OM :-)

  • Einerseits gebe ich der Autorin Recht, dass die Privatisierungen im Gesundheitssystem zu fragwürdigen Praktiken geführt haben. Andererseits finde ich die Versorgung mit Gesundheitsleistungen im Vergleich mit vielen Ländern sehr gut. Auch war ich einige Jahre "Kundin" im US-amerikanischen System: Dort steht Profitmachen tausendfach gewichteter im Vordergrund medizinischer Entscheidungen; eine Nacht im Krankenhaus kann sich dort durchaus auf 20'000 US-Dollar belaufen, ohne medizinische Leistungen, die noch dazu kommen. Zusätzlich bezahlt man immer einen Teil selbst, auch mit extrem teurer Krankenversicherung. Langer Rede, kurzer Sinn: Da ich einige andere Systeme kenne, finde ich unseres hier überaus gut.