Debatte um deutsche Panzerlieferungen: Vorwärts blicken, nicht rückwärts
Der deutsche Alleingang besteht darin, immer noch über Waffenlieferungen zu debattieren. Dabei geht es nun darum, wie man mit einem Sieg umgehen soll.
D er Sommer ist vorbei, die deutsche Politik diskutiert mal wieder über Waffen für die Ukraine. Als sei seit Mai und Juni nichts passiert, warnt Olaf Scholz vor „Alleingängen“ und mindere SPD-Größen fürchten, Putin zu provozieren, während Politiker der FDP und der Grünen mehr Waffen fordern und die US-Botschafterin „Erwartungen“ äußert. Das und noch vieles Überflüssige mehr wurde ähnlich vor drei Monaten gesagt, als noch gar kein schweres Gerät aus Deutschland die Ukraine erreicht hatte und der Krieg in der Ukraine in einem Stellungskrieg festgefahren schien.
Der deutsche Alleingang besteht darin, solche Diskussionen heute überhaupt noch zu führen. Sie sind rückwärtsgewandt. Deutschland liefert längst, und zwar nicht zu knapp. Waffensysteme aus den USA und Großbritannien haben Russlands Nachschublinien weitgehend zerstört. Das alles muss weitergehen und verstärkt werden, sonst hört dieser Krieg nie auf. Wer immer noch nicht gemerkt hat, dass die Ukraine heute viel schlagkräftiger ist als vor drei Monaten und dass allein dies Russland in die Defensive gedrängt hat, sollte lieber Sonnenblumen züchten.
Jetzt erntet die Ukraine die Früchte. Aus dem Stellungskrieg ist ein Bewegungskrieg geworden, bei dem selbst die Beteiligten kaum noch hinterherkommen, so schnell brechen gerade russische Positionen zusammen. Inzwischen wird von Fluchtbewegungen weit hinter der Front und einzelnen Kapitulationsverhandlungen berichtet. Wenn das alles so weitergeht, steht Russlands endgültiges Debakel kurz bevor.
Was hätte Europa darauf für eine Antwort? Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis hat am Sonntag einen eindeutigen Vorstoß gewagt: Europa, schrieb er, muss die Ukraine belohnen für ihren Mut, indem es alle Mittel verfügbar macht, um den Krieg rasch siegreich zu beenden, und das Ziel muss sein, dass Putin bedingungslos kapituliert. Man stelle sich vor, die 27 EU-Staaten plus die Nato-Mitglieder außerhalb der EU würden dies mit einer Stimme sagen – es wäre eine klare Botschaft.
Dazu wird es nicht kommen, nicht zuletzt weil in Deutschland immer noch viele am Mythos der Unbesiegbarkeit Russlands festhalten, so als sei die deutsche Wehrmacht das Maß aller Dinge; und weil man denkt, Putin würde im Angesicht des Untergangs blindwütig um sich schlagen, so als habe er bis jetzt vornehme Zurückhaltung geübt. Aber was ist denn der Gegenvorschlag? Wie bereitet sich Berlin auf das Szenario eines russischen Zusammenbruchs vor, mitsamt den Folgen in Russland selbst? Das wäre eine politische Debatte, die tatsächlich neu ist – und überfällig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag