Debatte um Teilverbot der AfD: Eine Einstiegsdroge
In Leitartikeln großer Medien wurde ein Verbot des radikalen Thüringer AfD-Landesverbands gefordert. Doch das wäre kein geschickter Mittelweg.
K aum jemand fordert derzeit offensiv ein Verbot der AfD-Bundespartei. Schließlich ist ein Parteiverbot in der Demokratie immer ein Selbstwiderspruch. Staaten wie Russland, die Türkei und Myanmar werden als Unrechtsstaaten gebrandmarkt, weil Oppositionsparteien verboten werden. Und bei uns soll das unproblematisch sein?
Natürlich bliebe auch in Deutschland der Eindruck einer gelenkten Rumpf-Demokratie der Wohlmeinenden, falls die AfD als große Oppositionspartei verboten werden würde. Natürlich wäre der Antrag auf ein AfD-Verbot der Offenbarungseid des Mainstreams, dass man bereit ist, weite Teile der Bevölkerung aufzugeben.
Demokratischer Stolz und demokratische Klugheit sprechen eindeutig dagegen. Dementsprechend haben bisher weder Bundesregierung noch Bundestag oder Bundesrat entsprechende Anträge auch nur in Aussicht gestellt. Die Verbotsdebatte ist bisher vor allem eine medial geführte.
Besonders beliebt ist derzeit die Vorstellung, man müsse ja nicht gleich die ganze AfD verbieten, sondern könne sich auf die radikalsten Landesverbände beschränken, insbesondere den Landesverband Björn Höckes in Thüringen. Vermutlich ohne Absprache haben zuletzt mehrere Leitartikler:innen großer Medien so argumentiert. Man ahnt das schlechte Gewissen; wenn schon Parteiverbot, dann nur ganz klein, in Thüringen, mit seinen 2,1 Millionen Einwohner:innen.
Ruf nach Verbot weiterer Landesverbände wäre Folge
Wenn man die Idee neutral betrachtet, dann ist die AfD Thüringen sicher ein geeignetes Ziel. Immerhin wird die Thüringer AfD vom dortigen Landesamt für Verfassungsschutz schon seit März 2021 als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Die Höcke-AfD gehe von einem rassistisch homogenen Begriff des deutschen Volkes aus. Sie stelle auch die Unabhängigkeit der Justiz infrage und sehe in dieser tendenziell Handlanger der Regierung.
Auch juristisch wäre es möglich, nur das Verbot eines Landesverbands zu beantragen. Im Bundesverfassungsgerichts-Gesetz heißt es ausdrücklich (in Paragraf 46): Das Verbot „kann auf einen rechtlich oder organisatorisch selbständigen Teil einer Partei beschränkt werden“, also zum Beispiel auf einen Landes- oder den Jugendverband.
Und was Karlsruhe beschließen kann, müssen Bundesregierung und Co. auch beantragen können. Es bliebe aber ein Verfahren auf Bundesebene, also in Karlsruhe. Laut Grundgesetz kann nur das Bundesverfassungsgericht eine Partei verbieten. Dementsprechend gibt es auch keine Parteiverbotsverfahren auf Landesebene.
Für ein Teilverbot spricht die Verhältnismäßigkeit. Wenn der Staat schon in den freien politischen Diskurs eingreift, dann sollte er sich auf das unbedingt Notwendige beschränken. Und wenn ein Verbot der AfD im kleinen Thüringen genügt, dann muss nicht die ganze Bundespartei verboten werden.
Die Diskussion ist akademisch
Umgekehrt ist das aber auch ein Problem. Wie soll die AfD im kleinen Thüringen die freiheitliche demokratische Grundordnung (also Demokratie, Rechtsstaat und Menschenwürde) in ganz Deutschland gefährden? Ein Parteiverbot setzt ja eine gewisse „Potenzialität“ voraus, das hat Karlsruhe im Fall der NPD 2017 eindeutig entschieden und ein Verbot deshalb abgelehnt.
Aber diese Diskussion ist eher akademisch. Denn natürlich wird es nicht beim Verbotsantrag gegen die AfD Thüringen bleiben. Eine Aufteilung der AfD in extremistische und vermeintlich gemäßigte Landesverbände ist längst nicht mehr möglich. Sobald ein Verbotsantrag gegen die AfD Thüringen gestellt ist, wird schnell der Ruf laut werden, auch andere AfD-Landesverbände zu verbieten.
Und der Bundesverband? Steht er nicht längst unter der Kontrolle von Höcke und seinen Gefolgsleuten? Eigentlich war das doch die Erkenntnis aus dem Magdeburger AfD-Parteitag Ende Juli. Es wäre also völlig unglaubwürdig, wollte man nur die AfD in Thüringen verbieten, nicht aber die Bundespartei. Auch die AfD im Bund ist längst eine Höcke-AfD.
Es ist somit kein geschickter Mittelweg, ein AfD-Verbotsverfahren auf die kleine AfD Thüringen zu konzentrieren, um sich möglichst wenig die Finger schmutzig zu machen. Vielmehr ist der Ruf nach dem Verbot der Thüringer AfD eine Art Einstiegsdroge. Auch wer sich auf ein kleines, vermeintlich gerade noch vertretbares Parteiverbot beschränken will, wird beim großen AfD-Parteiverbot enden.
Wer aber ein Verbot der AfD für demokratiefeindlich hält, weil man dabei ein Fünftel der Bevölkerung (in Ostdeutschland sogar ein Drittel) schlichtweg aus dem demokratischen Diskurs ausgrenzt, der sollte auch die Finger von regionalen Verbotsforderungen lassen. Sie helfen nur bei der Gewöhnung an eine autoritäre Politik, die wir doch gerade vermeiden wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste