Debatte um Bundesjugendspiele: Neues vom Bundesschwanzvergleich
Man muss nicht der FDP angehören, um Unsinn über die „Abschaffung“ der Bundesjugendspiele zu erzählen. Ein Mann zu sein reicht völlig aus.
Aus dem miesen Abschneiden der deutschen Leichtathlet:innen bei der WM schloss am Dienstag Konstantin Kuhle, Vizechef der FDP-Bundestagsfraktion, dass die „Abschaffung der Leistungsmessung bei den Bundesjugendspielen falsch ist“, wie er auf Twitter analysierte. Später sekundierte ihm dort der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner: Die Regeländerung bei den Bundesjugendspielen sei „symptomatisch“, „kein Segen“ liege „auf dieser gesellschaftspolitischen Entwicklung“.
Twitter-User:innen gießen seitdem Häme über die beiden aus. Tenor: Wenn dieses eintägige Schulevent Auswirkungen auf die Leistung des deutschen Leichtathletikkaders hätte, müsste man es angesichts von null Medaillen dringend abschaffen.
Das ist in der Tat lustig – aber Kuhle und Lindner sind nicht die Ersten, die krude Thesen zu den Bundesjugendspielen aufgestellt haben, und man muss kein FDP-Mitglied sein, um sie für die letzte Barriere gegen den Untergang der Leistungsgesellschaft zu halten.
Es reicht: ein Penis. Wenn hier etwas symptomatisch sein soll, dann steht die Debatte über die Bundesjugendspiele für eine Krise der Männlichkeit.
Wütende Männer an Schreibtischen
Seit Ende Juni nämlich beklagen ausschließlich männliche Journalisten die vermeintliche Abschaffung der Bundesjugendspiele, wie sie sie kannten. Den Anfang machte Cicero, es folgten Welt, Zeit, FAZ, taz, Spiegel und Spiegel Online, vor einer Woche griff der Deutschlandfunk das Thema noch einmal auf. Alle Kommentare haben dieselbe Stoßrichtung, alle strotzen vor Fehlern. Was sich wirklich ändert, war zugegebenermaßen nicht ganz leicht zu verstehen, weil der Ausschuss, der die Bundesjugendspiele organisiert, erst vor Kurzem eine Pressemitteilung zum Thema veröffentlicht hat. Zuvor hieß es, ab diesem Schuljahr dürfe in den Klassenstufen 1 bis 4 Schwimmen und Leichtathletik nur noch als Wettbewerb, nicht mehr als Wettkampf durchgeführt werden. Beim Geräteturnen ändere sich nichts.
Mit einem Telefonanruf hätte sich herausfinden lassen, was das heißt. Am Beispiel Weitspringen: Es wird nicht mehr in Zentimetern genau gemessen, wie weit ein Kind springt, sondern in welche vorher festgelegte Zone. Nach wie vor gibt es für die schlechtesten 30 Prozent eine Teilnahme-, für die besten 20 Prozent eine Ehren- und für den Rest eine Siegerurkunde.
Manche Kommentatoren regten sich so auf, dass man annehmen muss, ihr Selbstwert hinge an in Zentimetern Messbarem. Es gibt weitere Indizien, dass der Blick auf die Bundesjugendspiele durch einen Testosteron-Nebel getrübt werden kann. Nicht nur alte weiße Männer warnten vor einer Vorherrschaft der „Flauschokratie“. In der Zeit machte Anant Agarwala, geboren 1986, die „Kuschelpädagogen“ verantwortlich für die Neuregelung. Das ist zwar Blödsinn, weil der Wettkampf in der ersten und zweiten Klasse schon 2001 abgeschafft wurde. Das war die wenig flauschige Zeit zwischen dem Ja der Grünen zum Einsatz der Bundeswehr im Kosovo und den Hartz-IV-Reformen.
Angst vor Identitätsverlust
Aber um Fakten geht es beim Thema Bundesjugendspiele nicht, sondern um Gefühle, genauer um Angst – vor Identitätsverlust, wenn „männliche“ Härte nichts mehr zählt und „weibliches“ Kuschelbedürfnis übernimmt. „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ und „Heul doch“ könnten all diese Texte überschrieben werden, die diejenigen verhöhnen, die unsportliche Kinder vor Demütigung bewahren wollen, und die Kinder gleich mit.
Die Autoren beschwören den pädagogischen Nutzen öffentlicher Niederlagen und befürchten, ihre eigene Brut hätte jetzt keine Möglichkeit mehr zu vergleichen, wer den Längsten … pardon, am schnellsten rennen kann. Ähnlich grotesk ist die von fast allen veröffentlichte Meinung, die Bundesjugendspiele seien ausgleichende Gerechtigkeit für diejenigen, die in allen anderen Fächern versagen.
Nach dem Motto „Nix in der Birne, aber in den Beinen“. Mit der Realität hat das freilich nichts zu tun, wie die Göttinger Sportprofessorin Ina Hunger im taz-Interview erklärte, und liegt auf dem Niveau einer deutschen Adligen, die glaubte, „der Schwarze schnackselt halt gerne“, sei also dem Geschlechtsverkehr besonders zugetan.
Hunger regt zudem an, darüber zu diskutieren, ob die seit 1979 in dieser Form als Pflichtveranstaltung durchgeführten Bundesjugendspiele ihrem Auftrag gerecht werden und einen modernen Sportunterricht reflektieren. Später. Vorher müssen wir den Hilferuf der Männer hören und ihnen Mut zusprechen: Ihr bleibt wichtig. Auch wenn ihr nicht mehr um Ehrenurkunden und die Weltherrschaft kämpft. Kommt, wir kuscheln. Um die Wette.
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