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Debatte Regionale IdentitätDer Osten muss sterben, um zu leben

Kommentar von Julia Lorenz

Wir brauchen eine empathische Debatte über Ostdeutschland. Aber bitte ohne identitätspolitische Schlagseite.

Den Westen testen? Den Osten einnorden? Oder besser: Ab in die Südsee Foto: Katja Gendikova

B in ich ein Ossi? Eigentlich nicht. Schließlich wurde ich 1991 geboren, mitten hinein in die Nachwendezeit. Ich hatte das Glück, in einer Familie aufzuwachsen, die das Ende der DDR gut überstanden hat: kein Frust, keine Altlasten, nur der wiederkehrende Appell meiner Eltern, mir die Welt anzuschauen – „wir konnten das ja nicht in deinem Alter“. Meinen sächsischen Dialekt hört man, nach fast zehn Jahren in Berlin, kaum noch.

Bin ich also kein Ossi? Irgendwie ja doch. Noch vor ein paar Jahren nutzte ich Worte wie „Kaufhalle“ und „Nicki“. Als ich kürzlich „Gundermann“ im Kino schaute, ging mir, trotz der politischen Brisanz des Films, schlichtweg das Herz auf: weil mich das Mobiliar im Film an Omas Stube erinnerte.

Am ostdeutschesten fühle ich mich aber, wenn mal wieder Mist passiert in der alten Heimat. Dann werde ich sehr wütend auf den Osten. Auf die Rechtsrockfans in Ostritz. Auf die Polizei, weil sie dort Männern mit tätowierten Hakenkreuzen die Armbinde richtete, statt eine Anzeige aufzunehmen. Auf den geifernden Hass auf den Straßen.

Schließlich werde ich wütend auf mich selbst, weil ich in meinem Furor der Lesart auf den Leim gehen, die Bewohner des Ostens in Sippenhaft zu nehmen. Und dann kreist der Kopf: um die Frage, was man nun anfängt mit dieser Wut, die in alle Richtungen zielt.

Zur Europawahl wurde die AfD in Brandenburg mit 19,9 Prozent stärkste Kraft, in Sachsen sogar mit 25,3 Prozent. In Görlitz konnte kürzlich knapp die Wahl eines AfD-Politikers zum Bürgermeister verhindert werden. Seit Monaten treibt die Politiker demokratischer Parteien in Sachsen, Brandenburg und Thüringen die Angst vor den Landtagswahlen an.

Im Osten stirbt man ärmer als im Westen

Man muss nach allen Tabubrüchen der letzten Jahre nicht mehr viele Worte darüber verlieren, warum die Erzählung von der „Protestpartei“ eine üble Verharmlosung ist. Kann schon sein, dass sich abgehängt fühlt, wer die AfD wählt, nicht ernst genommen und frustriert, in Stänkerlaune gegen ein angeblich feindlich gesinntes Establishment.

taz ost

Sechs Wochen im Osten: Vor der Landtagswahl in Sachsen am 1. September 2019 war die taz in Dresden. Seit dem 22. Juli waren wir mit einer eigenen Redaktion vor Ort. Auch in Brandenburg und Thüringen sind bzw. waren wir vor den Landtagswahlen mit unserem #tazost-Schwerpunkt ganz nah dran – auf taz.de, bei Instagram, Facebook und Periscope. Über ihre neuesten Erlebnisse schreiben und sprechen unsere Journalist*innen im Ostblog und im Ostcast. Begleitend zur Berichterstattung gibt es taz Gespräche in Frankfurt (Oder), Dresden, Wurzen und Grimma. Alle Infos zur taz Ost finden Sie auf taz.de/ost.

Vor allem aber will man (oder nimmt zumindest billigend in Kauf), dass harte Nazis im Parlament sitzen. Weder Abstiegsängste noch Post-Wende-Traumata taugen da als Rechtfertigung. Ostdeutsch, arm oder ängstlich zu sein, ist keine Rechtfertigung für Rassismus. Darüber mag ich nicht diskutieren.

Wenn aber unter Bekannten und in den Kommentarspalten das Witzchen die Runde macht, wir bräuchten den „Säxit“, dann mag ich den Osten verteidigen. Weil diese Verachtung ein Schlag ins Gesicht für alle ist, die sich dort für Kulturprojekte, Antifa-Strukturen oder ein freigeistiges Miteinander einsetzen. Weil Leute von Jammer-Ossis und Opfermythen reden, wo doch sattsam bekannt ist, dass viel zu wenige Ostdeutsche in großen Unternehmen, Redaktionen und auf hochrangigen Politikerposten sitzen. Dass man im Osten ärmer stirbt als im Westen.

Das Ressentiment dem Osten gegenüber

Sicher, Klischees gibt es über beinahe alle Regio­nen Deutschlands: hier die halsstarrigen Bayern, dort die Spießbürger aus dem Pietkong. Aber wer gegen den Osten ätzt, tritt nach unten – anders als beim Lästern über Schwaben. Das Ressentiment dem Osten gegenüber ist ein Clusterfuck, ein Zusammenspiel von Vorurteilen gegen DDR-Biografien, Provinzialität, Armut, Bildungsferne. In der Verachtung für Ostdeutsche bricht sich auch immer eine Form von Klassismus Bahn, die salonfähig wird, weil man schließlich über die „Richtigen“ lacht – über die dummen Ostnazis nämlich.

Jede Wette: Wer sich über den LKA-Mitarbeiter Maik G. beömmelt (Genau, der mit „Sie begehen hier eine Straftat!“), der lacht nicht nur, weil er seiner Bestürzung ob der Zustände in sächsischen Behörden nicht anders Ausdruck verleihen kann. Sondern auch, weil da ein dicker Depp mit blödem Dialekt und noch blöderem Discounter-Hut ziemlichen Stuss erzählt.

Lange wurde pauschalisierend über den Osten geredet – aber nicht mit seinen Bewohnern. In der jüngsten Zeit ist nun eine lebendige Debatte über Ost-Identität erwacht. Für großes Aufsehen sorgte kürzlich eine Studie der Migrationsforscherin Naika Foroutan. Die kam, sehr knapp gesagt, zu dem Ergebnis, dass Ostdeutsche und Migranten in Deutschland mit ähnlichen Vorurteilen von außen zu kämpfen haben. In eine ähnliche Kerbe schlug der Kulturwissenschaftler Paul Kaiser, der kürzlich eine Tagung mit dem Titel „Kolonie Ost? Aspekte von ‚Kolonialisierung‘ in Ostdeutschland seit 1990“ veranstaltete. Der Gedanke: Was Ostdeutschland und ehemalige Kolonien eint, ist das Gefühl von Fremdbestimmung.

#WirimOsten

Für beide Ansätze gab es Kritik – weil es sich frivol anfühlt, die Probleme von Weißen mit deutschem Pass und Migranten zusammenzudenken. Aber es gab auch Zuspruch und Begeisterung. Fair enough: Das Gefühl vieler Ostdeutscher, nicht dazuzugehören, hat eine Mehrheit lange belächelt. Nun wird es in einer Debatte verhandelt, die spannend genug für die Feuilletons ist. Ein Gutes bringen diese Ansätze auf jeden Fall mit sich, nämlich die Anerkennung von systemischen Unterschieden und damit von struktureller Ungleichheit.

Das birgt allerdings eine Gefahr: in identitätspolitisches Lagerdenken zu verfallen. Per se muss Identitätspolitik nichts Verkehrtes sein. Wenn sich Benachteiligte zu einem gemeinsamen „Wir“ zusammenschließen, kann sie das bestärken und beflügeln. Der Claim schwarzer Aktivisten, „black and proud“ zu sein, wertet Weiße nicht ab. Sich selbst zu feiern, durchaus stolz vom Mainstream abzugrenzen, ist für Frauen und People of Colour, Homosexuelle, Menschen mit Behinderung und andere Gruppen eine Strategie, um nicht durchzudrehen in einer ihnen feindlich gesinnten Welt.

Ich habe viele Unterhaltungen geführt, in denen man mich fragte, warum Ostdeutsche es diesen Gruppen nicht gleichtun sollten. Wenn wir anerkennen, dass Ostdeutsche strukturell benachteiligt sind – warum finde ich es gruselig, von einem „Stolz“ auf den Osten zu reden, während „gay pride“ okay ist? Was gefällt mir nicht daran, dass am Anfang des gerade virulenten Hashtags #WirimOsten, unter dem im Netz tolle, vielfältige Geschichten gesammelt werden, ein dickes, fettes „Wir“ steht?

Weil es, mit Verlaub, absolut immer eine Scheiß­idee ist, sich identitätsstiftend auf seine Herkunft zu berufen. Man muss nicht trotzig stolz darauf sein, aus dem Osten zu kommen, weil der Rest der Welt einen (angeblich) mit Verachtung straft. Das ist zwar, aus einem Reflex der Kränkung heraus, durchaus nachvollziehbar, aber nicht produktiv. Ein starkes – und damit auch ausschließendes – ostdeutsches „Wir“ zu etablieren, sollte allen Unbehagen bereiten, die (Lokal-)Patriotismus ablehnen.

Scheiße, schon wieder Ostrock

Dazu kommt der Faktor Zeit: Ich frage mich, wie praktikabel eine Ost-Identitätspolitik wäre, gerade in Hinblick auf kommende Generationen. Für viele junge Ostdeutsche meiner Generation ist die DDR schon jetzt nicht mehr als ein Gespenst, das noch ab und an durch die Familien spukt. Manchmal spukt es auch durch mein Leben. Zum Beispiel, wenn meine Freunde aus Magdeburg oder Leipzig auf WG-Partys den Song „Kling Klang“ der Brandenburger Band Keimzeit hören wollen, weil man das eben von Familienfeiern kennt, und der Rest die Augen verdreht: Scheiße, schon wieder Ostrock. Dann ist es wieder da, das Gefühl, irgendwie doch ein Ossi zu sein.

Aber ich wage die Prognose: Wer heute 16 ist und aus dem Osten kommt, hat noch nie zu Keimzeit getanzt. Viele Unterschiede zwischen Ost und West wurden in meiner Generation und denen, die ihr folgen, erfolgreich eingeebnet. Das ist gut so – und es wäre fahrlässig, sie nun wieder bewusst zu schärfen, gar zu romantisieren.

Ostdeutsche zu exotisieren, indem man sie mit Migranten, ihre Heimat mit Kolonien in Verbindung bringt, ist der Debatte kaum zu­träglich. Eine weitere identitätspolitische Konfliktlinie löst keine Probleme. Viele Ostdeutsche haben 30 Jahre gekämpft, um im kapitalistischen ­Wirtschaftssystem anzukommen, manche kämpfen noch ­immer. Ebenso viele mussten und ­müssten die Demokratie lesen lernen. Lernen, ihre Vorteile zu nutzen, mitzubestimmen. Was bringt es, all jene auf ein von sich selbst gerührtes „Wir“ einzuschwören? Eher müsste man ihnen zurufen: Der Osten ist tot, der Ossi ist tot! Am Leben sind fünf Bundesländer mit 16 Mil­lionen Menschen!

Vorbilder aus Gera, Görlitz oder Geisa

Ostdeutschsein ist nichts Produktives, genauso wenig wie Westdeutschsein. Es ist eine Fremdzuschreibung, die mit Vorurteilen und Abwertung belegt ist. Und die, resultierend aus Schmerz und Trotz, für viele zur Selbstzuschreibung wurde. Wir sollten sie beerdigen, nicht feiern. Damit das gelingt, muss es 30 Jahre nach dem Mauerfall auch mal genug sein mit der Legende vom Jammer-Ossi und mit Säxit-Gelüsten. Solche Witze sind nicht lustig, nicht schlau und nicht links, sondern unsolidarisch und denkfaul.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Allen, denen es noch immer nicht zu doof ist, die Linkspartei als SED-Nachfolger zu diffamieren, sollte man deutlich sagen: Kommt an in der gesamtdeutschen Bundesrepublik. Aber auch an die Ost-Politiker und -Kommentatoren kann man nur appellieren, nicht in den Duktus vergangener Zeiten zu fallen. Es ist gefährlich, wenn der von rechts außen getriebene sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer in einem Gastbeitrag für die Zeit von „Volksgesetzgebung“ spricht und damit an SED-Sprache andockt. Es vertieft Gräben, statt sie zu schließen.

Denn eine Mehrheit der Ostdeutschen wählt eben nicht AfD, und sie gilt es zu stärken. Was es braucht, sind Vorbilder: aus Gera, Görlitz oder Geisa. Ob dafür Quoten nötig sind? Wer weiß. Dass wir darüber reden, ist wichtig. Denn wir sollten unbedingt über „den Osten“ nachdenken – um ihn schnellstmöglich ruhigen Gewissens beerdigen zu können. Und mit ihm vielleicht die Wut vieler Menschen.

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30 Kommentare

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  • Die ostdeutschen wurden bei der deutschen wiedervereinigung betrogen und beraubt. das staatseigentum wurde nicht nur privatisiert es wurde wessifiziert.



    und alle errungenschaften der ddr wurden und werden von den wessies schlechtgeredet



    Ich war gegen die deutsche wiedervereinigung Ich bin dafür die brd abzuschaffen dann können die ostdeutschen alle enteignungen zu denen es nach der deutschen wiedervereinigung kam anullieren.

    wenn in diesem text von einem " dicken Depp mit blödem Dialekt und noch blöderem Discounter-Hut "die rede ist so ist dass erstens eine diskriminierung von dicken menschen ,zweitens eine diskriminierung von menschen die nicht hochdeutsch sprechen und drittens eine diskriminierung von armen menschen .dabei ist die taz doch eine zeitung die ständig " political correctness " einfordert



    und predigt

    meinetwegen dürfen die sachsen stolz auf ihren sächsischen dialekt sein.man darf auf alles stolz sein was nicht schlecht ist und wofür man sich als mensch nicht schämen muss.ein dialekt ist weder gut noch schlecht und gehört also zu dem worauf man stolz sein darf.



    es war ein historisches unglück dass das königreich sachsen seine unabhängigkeit verlor und von preussen erobert wurde.

    meinetwegen können die sachsen ihre monarchie und ihre unabhängigkeit wieder haben,allerdings müssen alle nachkommen von mitgliedern der königlichen familie die sich an den verbrechen der nazis beteiligt haben von der thronfolge ausgeschlossen werden.



    nur unter dieser bedingung stimme Ich der wiedereinführung der monarchie in sachsen zu.



    und selbstverständlich soll es eine konstitutionelle monarchie sein-und keine absolute .die königin der sachsen oder ihr könig soll nur repräsentative funktionen haben







    zwei weitere bedingungen die Ich für alle nachfolgestaaten der brd einfordere sind die immerwährende neutralität und die direkte demokratie nach dem vorbild der schweiz

    in einem europäischen bundesstaat besteht für einen deutschen bundesstaat keinerlei bedarf

  • Wir brauchen keine Debatte über „Ostdeutschland“, wir brauchen eine Debatte über Regionalpolitik

    Über das Verhältnis von Metropolen zu ländlichen Räumen, über Wohnungsnot und Wohnungsleerstand, über Räume mit hoher und niedriger Arbeitslosigkeit, über innerdeutsche Migrationsbewegungen.

    Das läßt sich exemplarisch bestens ausgebildet an „Ostdeutschland“ festmachen, findet sich aber in der ganzen BRD und ist ohne Metropolen - Hamburg, München Berlin etc. - nicht zu verstehen.

  • Logischer Gnubbel:

    Die eine Identität ist stolzes sich vom Mainstream abgrenzen.



    Die andere wird als ausschließend gekennzeichnet.

  • Ich kann nur aus Erfahrung bestätigen, daß es mittlerweile so etwas wie einen ostdeutschen Nationalismus gibt. Was ich teilweise an Sprüchen über unsere "schöne" DDR hören muß, geht arg an der Realität vorbei.

    • @Bunte Kuh:

      Ich beobachte innerhalb einer nur sehr kleinen, zehn Menschen, mir bekannten "Population" von "Ostdeutschen", bestehend aus Akademikern (keine Wirtschaftswissenschaften) und Handwerkern, seit rund 20 Jahren folgende Entwicklung (zusammengefasst): alle begrüßten die Einheit, die Akademiker standen dieser aber skeptischer gegenüber (erkannten und verstanden die Risiken), die Handwerker vertrauten unter Zurückstellung vieler Bedenken auf die Verwertbarkeit ihrer Arbeitskraft, die politische Einstellung ist in beiden Teilgruppen stark konservativ, die Einstellung gegenüber Gewalt und Gewaltanwendung stark diffus, d.h. eher an die eigene Erfahrung gebunden, als politisch motiviert, insgesamt tragen sich die Akademiker jedoch mit größeren Bedenken gegenüber der Anwendung von Gewalt, die Handwerker sind nicht gewalttätiger, aber bei ihnen erscheint die Akzeptanz von Gewaltanwendung ("durchgreifen") höher. Die Akademiker haben unter hohen persönlichen Schwierigkeiten, zB ungewollte Migration, ungewolltes Drängen in das Unternehmertum, im Mittel ein gutes Auskommen gefunden, aber immer unterstützt durch ein ökonomisch stabiles Elternhaus. Den Handwerkern, ohne ökonomisch stabiles Elternhaus, geht es heute allen wirtschaftlich schlecht(er), überwiegend vom Arbeitsmarkt für zu alt gehalten, gelang auch gegenwärtig kein Anschluss an eine ökonomisch sichere Gegenwart und Zukunft. Gefrustet sind beide Teilgruppen gleichermaßen, nur die Gründe liegen woanders. In der Folge wählen die Akademiker gegenwärtig, soweit mir bekannt, das gesamte klass. Spektrum. Die Handwerker hingegen konservativ, d.h. inkl. AfD, und es besteht mE teilweise Sympathie mit der Reichsbürgerbewegung und die unkritische Einverleibung von Fakenews über Ausländer, Grüne und Klima.

      M.E., obwohl überwiegend unwissenschaftlich ermittelt, der Hinweis darauf, dass die soziale Frage im Osten die wichtigste ist, so wie sie sich im Westen nun ebenfalls Bahn bricht.

  • Typische Arroganz der BRD-Bürger spiegeln sich in den meisten Kommentaren. Die Autorin bemächtigt sich eines Themas, was sie selbst gar nicht beurteilen kann, sondern nur aus den Erzählungen der Anderen kennt. Aber als Journalistin hat man ja ein tiefgreifendes Wissen und kennt die Hintergründe.

    Dann müsste ihr eigentlich auch bekannt sein, dass es seit dem Ende des 2. Weltkrieges in den Westzonen und der späteren BRD einen tief sitzenden Antikommunismus gibt. Ralph Giordano bezeichnet dies als den "perversen Antikommunismus".

    Ebenso wie die christlichen Kirchen, die christlichen Volksparteien diente der perverse Antikommunismus der Reinwaschung eines Tätervolkes.

    Verfolgt man die weitere geschichtliche Entwicklung, so ist erkennbar, dass die Spaltung Deutschlands bereits mit dem Begriff des "eisernen Vorhangs" begann. Sie setzte sich fort und der Konflikt wurde von beiden Seiten geschürt.

    Nun ist den Amerikaverehrern der Atlantikbrücke ein Dilemma beschert worden. Vor Trampel war "die Mauer" ein Symbol für den Unrechtstaat, in Form der verhassten DDR. Jetzt aber will gerade der amerikanische Präsident eine viel schönere und höhere Mauer bauen zum Schutz der "freiesten aller Demokratien" (offizielle Bezeichnung in den Gemeinschaftskundebüchern der BRD). Merkwürdigerweise, wird dieser Widerspruch in den Medien totgeschwiegen.

    Am Ende standen sich zwei deutsche Nationen gegenüber im Jahr 1989, die nur wenig voneinander wussten. Getreu der Devise des Highländers "Es kann nur Einen geben", war die BRD-Regierung in ihrer kriminellen Energie der DDR überlegen. So konnte eine komplette Industrie binnen fünf Jahren vernichtet werden und die verhasste Konkurrenz verschwand vom Markt.

    Der Staatskapitalismus der DDR ließ das Volk kein Urmisstrauen entwickeln. So hatte die BRD ein leichtes Spiel die ex-DDR auszuweiden und einen Testlauf für ein Niedriglohnland durchzuführen.

    Wer dafür noch Dankbarkeit erwartet, der besitzt eine Herrenmenschenmentalität.

  • In der Debatte um ostdeutsche Identität geht es natürlich um Fragen wie den gesellschaftlichen Rechtsruck oder um wirtschaftliche Unterschiede. Aber es gibt nun mal und das auch noch in meiner Nachwendegeneration durchaus Unterschiede was den Blick auf die Geschichte angeht, was die Einordnung von Politik angeht. Da bemerke ich schon manchmal kleine aber feine Unterschiede, vor allem unter den Leuten in meinem eher linken Umfeld und finde schon das manchmal eine ostdeutsche Perspektive durchaus wert ist stärker Beachtung zu finden in den Diskursen. Aber vielleicht ist das ja auch nur meine egozentrische Ansicht.

  • Das kabarettistische Ost-West Duo "Ranz & Mai" sang in einem seiner Programme in den 90gern nach der Melodie von "I was born in USA":



    "I was born in GDR ... Ossi ist ein Markenzeichen, denn es steht für Qualität, leider kannst Du´s nicht mehr werden, dafür ist es jetzt zu spät." (Stimmt immer noch)



    Den Artikel habe ich mit großem Interesse gelesen.



    Doch offensichtlich kann sich die Autorin der Wirkung des medialen Trommelfeuers um den "Ossi" nicht ganz entziehen. Das Anführen des Beispiels des "dummen Dialekts", offensichtlich des sächsischen, beweißt das. Es gibt keine dummen Dialekte.



    Es gibt lediglich das Klischee des dummen Ossis, welcher selbstverständlich sächselt. Einfach dämlich, jedoch nicht totzukriegen.

  • Welcher westdt. Spitzenpolitiker hat denn von Dunkeldeutschland und vom Pack geredet? Solange es unterschiedliche Lohnabschlüsse der Gewerkschaften und unterschiedliche Renten gibt, wird das nichts mit der Wende. Weil die nur in eine Richtung stattgefunden hat, der Ossi soll gefälligst den Mund halten, so die Meinung in Westdt. (wenn sie genau hinhören). Alleine das Wort "Ostdeutschland" drückt die ganze Unterschiedlichkeit aus. Und dies tritt auch hier im Forum zutage. Der Artikel von Fr.Lorenz trifft den Nagel auf den Kopf. Ich wohne jetzt am schönen Rhein, bin aber in Sachsen-Anhalt geboren und aufgewachsen. Ich kenne beide Seiten, im Rheinland war unsere Familie jahrelang der Pimmock.

  • „Aber wer gegen den Osten ätzt, tritt nach unten – anders als beim Lästern über Schwaben.“

    Und bei Schwaben ist das ja voll okay. Wie wäre es, wenn man einfach das Treten delegitimiert? Ist ja nicht so, als hätte man nicht auch etwas Kolateralschaden, wenn man beispielsweise mal an die Arbeitslosenzahl in Pforzheim denkt, wenn man denn schon kategorisieren möchte.

  • „black and proud“ zu sein, wertet Weiße nicht ab.



    Wer erkennt den Unterschied zur AfD?

    • @Gregor Tobias:

      weil Sie das bestimmt unironisch meinen hier eine einfache Antwort: Schwarzsein definiert(e) einen in der US-Gesellschaft als Untermenschen (black lives don't matter) und die Möglichkeit auf seine afrikanische Herkunft und seine zugeschriebene Identität als "black" Stolz zu sein musste gegen enormen Widerstand, brutale Unterdrückung und nicht zuletzt internaliserten Selbsthass Schritt für Schritt, Tag für Tag immer wieder erkämpft werden. "Whiteness" dagegen ist einfach die Norm gewesen weshalb Stolz aufs Weißsein in diesem Kontext nicht mehr heißen kann, als dass man eine Rassenordnung mit sich selber an der Spitze grundlegend gutheißt. Die klassische weiße Opferrolle (Überfremdung, Bevölkerungsaustausch und andere Mythen) ist empirisch nicht haltbar - oft wird allerdings bei armen weißen Amerikanern Klassenausbeutung mit Rassenstolz und Xenophobie kompensiert, sehr zu Freude der Republikaner, die sich mit dieser Strategie seit Jahren an der Macht halten. Brexit-Denke und AfD-Logik folgen dem gleichen Muster. Ostdeutsche könnten eben gegen ihre Abwertung auf ihr "Ossitum" identitär stolz sein, aber wie die Autorin ja zu erklären versucht wirft das auch Probleme auf; aber rassistisch und mit white supremacy Parolen die zu treten, die noch weiter unten auf der Leiter stehen ist nicht nur illegitim , sondern auch fruchtlos. Mal ganz abgesehen davon, dass Leute wie Höcke lupenreine Nazis sind.

      • @hessebub:

        Höcke ist vielleicht so alles mögliche, aber mit Sicherheit kein „lupenreiner Nazi“! Jedenfalls nicht wenn Sie mit „Nazi“ einen Nationalsozialisten meinen...das waren die vor einem dreiviertel Jahrhundert welche jetzt -sofern überhaupt noch unter uns weilend- schon weit über neunzig Jahre alt sind. Gelegentlich mag es Neonazis geben, aber auch die sind eher selten...Höcke ist einfach nur ein ganz gewöhnlicher Rechtsradikaler, vielleicht auch schon ein Rechtsextremist...aber kein „Nazi“! Das würde nämlich die historischen Nationalsozialisten und deren Taten stark verharmlosen!

        • @Saile:

          Nicht nur "vielleicht" @Rechtsextremist.



          "Nazi" ist aber auch weltweit Slang/Jargon für Rassisten, die undemokratisch sind und ansonsten das ganze Portfolio abdecken wo es "Anti~"-Aktivisten gibt.



          Und im Übrigen hatter einen Wessi-Migrationshintergrund @Hessebub; von den Faschos haben wir hier genug in Thüringen, da brauchen wir ned auch noch eingewanderte...

        • @Saile:

          Doch doch, Höcke ist ein Nationalsozialist. Er kann halt in der BRD mit der AfD nicht, wie die NSDAP früher konnte. Der Wille zu guter alter Art ist da, nur die Möglichkeit fehlt. Wer jetzt Genozid, Totalisierung unf Krieg der Nazis verharmlost sieht, weil jemand aufgrund seiner Art und seinen Äußerungen sich mit den Arschgesichtern der Geschichte gleich macht, nimmt die Lehren der Vergangenheit selbst nicht so genau. Wehret den Anfängen und dazu gehört es auch, die neuen Faschisten und Nazis als solche zu benennen.

          • @Hampelstielz:

            ...ach ja, eins noch: Ich pfeif auf irgendwelche „Lehren aus der Vergangenheit“! Für die Bewältigung der Zukunft sind diese nämlich völlig nutzlos, da sich die Vergangenheit bekanntlich nicht mehr wiederholen kann! Es gibt neuen Extremismus, dieser bedarf folglich auch neuer Bezeichnungen, denn Vergleiche mit irgendwelchen vermeintlich ähnlichen Spießgesell*innen aus früheren Zeiten sind meistens ziemlich schief und unpassend.

            • @Saile:

              Tatsächlich wiederholt sich Geschichte andauernd. Die Kleidung ändert sich und die Form, der Inhalt menschlicher Geschichte bleibt. Viel Spaß beim Pfeifen und mit dem Erfinden neuer Wörter für altbekanntes.

          • @Hampelstielz:

            Also mit der gleichen Argumentation könnte auch behauptet werden dass Sahra Wagenknecht eine lupenreine Stalinistin ist...da gibt es sogar in der Tat noch Beweise für eine mangelnde Abgrenzung ihrerseits in den Neunzigern. Aber in der gegenwärtigen Bundesrepublik Deutschland kann sie das natürlich nicht so offen zeigen...

  • Absurdistan



    Der Titel "Wir brauchen eine empathische Debatte über Ostdeutschland. Aber bitte ohne identitätspolitische Schlagseite." steht ja wohl in krassem Gegensatz, was dann im Inhalt zu lesen ist.

  • Schöner Aufsatz.

    Dennoch tautologischer Unsinn. Menschen brauchen Perspektive. Frauen, Männer, Diverse, Rechte, Linke, Große, Kleine, Ausländer, Inländer, Ossis, Wessis, alle benötigen Arbeit, maßvollen (Umweltgedanke) Wohlstand und Sicherheit.

  • 9G
    98589 (Profil gelöscht)

    Sehr treffend geschrieben, danke!

  • Interessanterweise sind die Wiedersprüche, die sich in der Argumentation der Autorin zeigen, ein sehr gutes Beispiel für genau die Schwierigkeiten die ostdeutsche Biographien mit sich bringen. Das trickweiche an der Situation ist, dass die Effekte der immer noch klar präsenten Ost-West-Trennung (ökonomisch, Netzwerke) für den Einzelnen/die Einzelne mit zunehmende Lebensalter immer deutlicher spürbar werden. Das vergegenständlicht sich vor allem bei den Chance für den sozialen Aufstieg und schließlich im Ungleichgewicht bei der Verteilung von Einflusssphären auf bestimmte Bevölkerungsschichten. Und damit beginnt der Kreislauf wieder der Trennung wieder von vorn.

  • Irgendwie wird bei dem Gezetere über den Osten immer vergessen, dass 3/4 aller afd-Wähler im Westen wohnen. Wer natürlich immer nur starr auf Prozente schaut, kann schon mal den Blick für die Realität verlieren. Das tatsächliche Problem im Osten sind die vielen Nichtwähler, aber die existieren im juste Miliieu nicht und deswegen geht die Analyse auch komplett an den tatsächlichen Problemen im Osten vorbei.

  • Gern gelesen. Danke.

    "Weil Leute von Jammer-Ossis und Opfermythen reden, wo doch sattsam bekannt ist, dass viel zu wenige Ostdeutsche in großen Unternehmen, Redaktionen und auf hochrangigen Politikerposten sitzen. Dass man im Osten ärmer stirbt als im Westen."

    Vor allem aber sterben sie im Westen gesünder, heißt es?

    Nicht zuletzt werden offizielle Internationalismus Errungenschaften 40 Jahre DDR in Schule, Hochschule, Arbeitsplatz, Alltag durch Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremisten nach der Wende 1989/90, Einmarsch der AfD in neue Bundesländer seit 2013 mit anders gelagertem Karriereversprechen in Bund, Ländern, Kommunen im Tornister bis zur Unkenntlichkeit klein gehalten, damit das kollektive Bewusstsein in ganz Deutschland keinen Schimmer bekommt, dass die DDR auch in Westdeutschland 1949 feierliche Urständ feierte und weiter feiert als die Erzählung vom "Besseren Deutschland" nach 1945, wie selbst Thomas Mann, aber vor allem dessen Bruder Heinrich mutmaßte.

    Das medial befeuerte Ossi, Wessi Gefasel zielt vor allem auch darauf ab, dass die Menschen in Westdeutschland mit ihren eigenen "DDR" Gemütslagen vom "Besseren Deutschand" bis zur Verleugnung fremdeln, Schübe gesamtdeutscher, europäischer Solidarität in Richtung Lastenausgleich, fiskalischen Ausgleichsmechanismen, sozioökonomischen Stabilisierungemechanismen, ins Unpolitische abgleitend, unbekümmert abzuschütteln, als ginge sie das alles gar nichts an.

  • Ich hatte jahrelang gedacht, OstWest sei eiegntlich kein Thema mehr und kannte als BW-Angehoeriger viele Ossis, da bei uns ziemlich schnell durchmischt wurde.



    Als ich nach Erfurt zog, wurde das taeglich Thema. Und zwar weil "die" Ossis staendig davon redeten, was der Wessi wieder machte, hatte oder verschuldet hatte.



    Diesen Opferkomplex gibt es tasaechlich und offensichtlich vererbt er auch sich auch.

    Kurze Gedanke: Haette der Boese Westinvestor die ganzen dollen LPGs etc wirklich so aus waiden koennen, wenn nicht die ostdeutschen Wendegewinnler Hand in Hand mit diesem am eigenen Fortkommen gearbeitet haetten?

    • @Charlie Foxtrot:

      "Haette der Boese Westinvestor die ganzen dollen LPGs etc wirklich so aus waiden koennen, wenn nicht die ostdeutschen Wendegewinnler Hand in Hand mit diesem am eigenen Fortkommen gearbeitet haetten?"

      Ach und deswegen sind die Ostdeutschen allesamt "selber Schuld" oder was? Was für ein Schwachsinn ist das denn?

      • @Snip Snap:

        "Ach und deswegen sind die Ostdeutschen allesamt "selber Schuld" oder was?" - das interpretieren SIE so. Für mich ist es ein legaler Hinweis darauf, dass es immer mehrere Sichtweisen gibt und "die Wahrheit" irgendwo in der Mitte liegt. Ich habe mich '89/90 oft fremdgeschämt für meine ostdeutschen Mitmenschen: wie sie sich selbst entwürdigt und verleugnet haben für ein olles Auto, für "Westprodukte" (den "Ostkram" hat ja keiner mehr gekauft), für "eine gute Partie" (meist Ostfrau an Westmann) oder in besonders schmieriger Art für den Verbleib am angestammten Arbeitsplatz.



        "Die Wende" hat uns nicht der Westen eingeredet und die Wiedervereinigung mit vorgezogener Währungsunion war unter anderem die Folge der sächsisch- dämlichen Rufe nach der D-Mark - mit allen wirtschaftlichen Folgen. Ein kleiner, aber lautstarker Teil solcher dümmlichen Plärrer will uns nun erklären, dass ausschließlich "die Anderen" Schuld sind an der Lage im Osten. Nein, es ist genau die Mischung aus Ost und West, aus Überheblichkeit und Unterwürfigkeit, aus Abenteurertum und Sicherheitsdenke, die zu lange schwelenden Spannungen geführt hat. Die könnten abgebaut werden, wenn in Sachsen endlich wieder mehr Offenheit gegenüber Impulsen von aussen (der größte Teil der hier gefeierten Hochkultur ist von außerhalb nach Sachsen getragen worden...) gelebt wird.

        • @Edward:

          So war das gemeint. Und eigentlich auch zu verstehen!

        • @Edward:

          Danke, stimme voll zu.

  • Schöner Artikel!