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Corona-Solidarität mit ItalienLeben ist Leben. Oder?

Gastkommentar von Bernward Gesang

Wenn wir freie Intensivbetten haben, warum fliegen wir dann nicht kranke ItalienerInnen ein? Ein moralphilosophischer Zwischenruf.

In Italien wird gestorben, in Deutschland gibt es Kapazitäten bei den Intensivbetten Foto: Flavio Lo Scalzo/reuters

A us Italien erreichen uns erschütternde Bilder: PatientInnen werden „triagiert“, also nach behandelbar und sowieso zum Tode verurteilt unterschieden, wobei die Letzteren dann sterben gelassen werden. Erschütternd ist das insbesondere deshalb, da diese Menschen nicht sterben müssten, wenn sie entsprechend intensivmedizinisch betreut würden, wozu Italien die Kapazitäten fehlen.

Gleichzeitig wird in Deutschland die Kapazitätsfrage beruhigend beantwortet: So erklärt Professor Rainhard Busse, Gesundheitswissenschaftler von der Technischen Universität Berlin, in „MDR Wissen“: „Insgesamt haben wir in Deutschland etwa 27.000 bis 28.000 Intensivbetten. Das sind im Vergleich zu Italien bezogen auf 1.000 Einwohner zweieinhalbmal so viele. Wir kommen mit unseren Kapazitäten also gut hin. Auch die italienischen Verhältnisse würden uns nicht überlasten.“ Derartige Statements findet man derzeit häufig, etwa auch von Professor Uwe Janssens. Er ist Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin.

Beruhigend, nicht wahr? Aber nicht für den Moralphilosophen. Der oder die muss ständig damit aufräumen, dass Moral sich nur auf die erstreckt, die uns „near and dear“ sind, denn diese Überzeugung ist uns vielleicht sogar genetisch von der Evolution eingeprägt. Aber was natürlich ist, ist noch lange nicht gut, wie ein Blick auf alle Naturkatastrophen lehrt. Jedenfalls zeigt die Geschichte, dass der Bereich der moralisch zu Berücksichtigenden immer größer wird: von den Mitgliedern der eigenen Sippe, zu den männlichen Bürgern Athens, zu allen Griechinnen und Griechen, dann spätestens seit der Französischen Revolution zu allen Menschen und heute wohl auch zu allen schmerzfühlenden Lebewesen, welcher biologischen Art auch immer.

Gründe für einen Universalismus

Bild: privat
Bernward Gesang

Bernward Gesang ist Professor für Philosophie und Wirtschaftsethik an der Universität Mannheim. Sein neuestes Buch „Mit kühlem Kopf. Vom Nutzen der Philosophie für die Klimadebatte“ erscheint im Herbst im Hanser Verlag.

Die Gründe dafür sind klar: Erstens ist es reiner Zufall und somit unbedeutend, wann und wo jemand geboren wird. Rechte sollten nicht an solchen Zufällen hängen. Zweitens, Rechte hängen an den Eigenschaften, Schmerz zu empfinden und Wohlergehen erfahren zu wollen, also an den Bedürfnissen. Bei Bedürfnissen setzt die Moral an: Empfindungslose Dinge und Lebensformen kann man nicht schädigen, da sie kein Interesse haben, unversehrt zu bleiben. Es liegt ihnen nichts an ihrer Existenz oder Unversehrtheit. Mit der Empfindungsfähigkeit heben alle Interessen an und besondere Fähigkeiten wie die, Angst um die eigene Zukunft zu haben, erzeugen dann spezielle Interessen und Bedürfnisse.

Gleiche Bedürfnisse muss man gleich behandeln, sonst handelt man sich Widersprüche ein. Immer wenn wir keine relevanten Unterschiede zwischen zwei Dingen benennen können, müssen wir sie gleich behandeln. Das gilt schon rein sprachlich: Zwei Dinge, die beispielsweise rot, essbar und von einer gewissen chemischen Zusammensetzung sind, müssen wir beide als „Tomaten“ bezeichnen, wenn es keinen relevanten Unterschied gibt. So funktionieren Sprache, Argumentation und Ethik.

ItalienerInnen, ChinesInnen und Deutsche sind Menschen, die schon seit der Französischen Revolution erst einmal gleich zählen und gleichen Wert haben. Das ist Grundlage der Menschenrechte, auf die wir so stolz sind. Ob ItalienerInnen oder Deutsche sterben, ist – so gesehen – völlig egal, es sollte keiner mehr sterben, als unvermeidbar ist. Wenn wir also freie Betten haben, dann sollten wir kranke ItalienerInnen einfliegen, die darin versorgt werden, wenn dies medizinisch Sinn macht. Oder wir sollten nicht benutzte Atemgeräte nach Italien ausleihen.

Ob das angesichts der langen Dauer, die Corona-Kranke beatmet werden müssen, der Fall ist, ob man also in dem Zeitintervall, von heute, wo unsere Geräte noch unausgelastet sind, bis zu dem Zeitpunkt, wo alle Geräte in Deutschland benötigt werden, Menschen retten kann, das müssen Mediziner beantworten.

Genauso sollten wir Atemschutzmasken und Schutzhandschuhe nach Deutschland schaffen, wenn es in Schweden zum Beispiel mehr als genug davon gäbe. So sollte wenigstens ein europäischer, letztlich aber ein globaler Austausch organisiert werden. Denn wem ist geholfen, wenn es nach Ende der Corona-Krise noch tausende ungenutzter Atemschutzmasken in Schweden gibt? Wir sollten gerade knappe Ressourcen so verteilen, dass sie optimalen Nutzen schaffen.

Vorteile nationaler Organisation

Aber dagegen sprechen ein allgemeiner und ein praktischer Einwand: Allgemein gesehen, ist es eben nicht so, dass wir global organisiert sind. Das hat auch Vorteile. Jeder weiß vor Ort am besten, wie die Dinge effizient oder gerecht zu organisieren sind. Erfüllt jeder Nationalstaat diesen Job, geht es letztlich allen damit besser.

Aber dieses Argument ist lediglich organisatorischer Art. Man ist sich einig darüber, dass Menschen prinzipiell gleich viel wert sind, schlägt aber ein verglichen mit dem Globalismus gegebenenfalls besseres Mittel vor, um die Menschen am besten zu schützen: den funktionierenden Nationalstaat. Was aber, wenn dieses Mittel eben nicht mehr funktioniert?

Der praktische Einwand lautet: Wenn wir wirklich ItalienerInnen in deutsche Betten legen oder Beatmungsgeräte verleihen und der Höhepunkt der Krise bei uns schneller einsetzt als erwartet, könnten noch italienische Patienten die deutschen Betten oder Maschinen belegen, die dann „für uns“ blockiert sind. Gemäß der obigen ethischen Grundsätze könnte man wiederholen: „Ob ItalienerInnen oder Deutsche sterben, ist völlig egal.“ Aber wir sind nun mal national organisiert und deutsche KassenpatientInnen haben vielleicht vorrangig Anspruch auf deutsche Betten.

Zudem ist ein konsequenter Universalismus weder durchsetzbar noch durchhaltbar, wie die Flüchtlingskrise gezeigt hat. Es führt also kein Weg an einem Kompromiss vorbei, der aber eben internationaler gedacht sein muss als unser jetziges Denken. Daher sollten wir zum Beispiel nicht völlig an die Grenzen gehen und eine gewisse Anzahl an Betten oder Maschinen als Notfallreserve zurückhalten.

Jedenfalls sollte man die Diskussion auf dieser Ebene führen, denn es kann nicht sein, dass mit der Wiederkehr der Grenzen auch unsere Moral wieder ins antike Griechenland zurückkehrt. Europa gibt derzeit mit dem wiederkehrenden Nationalismus ein erbärmliches Bild ab.

Nationale Vorteile ohne Nationalismus

Auch wenn sich mit der Message, in diese Richtung zu diskutieren, kein Wahlkampf gewinnen lässt: Erst solches Denken berechtigt uns, uns über Donald Trump und seinen peinlichen Versuch zu erheben, deutsche Impfstoffforschung ausschließlich für die USA zu erwerben. Und dann wird klar, dass universelles Denken sogar Win- win-Situationen schaffen könnte: Wenn wir den Ländern helfen, die auf dem Höhepunkt der Krise sind, würden diese auch uns leichter helfen, wenn die Krise bei ihnen bereits wieder abflaut. Das könnte beispielsweise geschehen, indem sie bereits von Corona geheilte, immune Pflegekräfte anbieten, wenn sie bei uns knapp werden sollten.

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34 Kommentare

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  • Was auch immer die Gründe dafür sein mögen, dass das bisher nicht passiert ist, für Frankreich scheint das nicht zu gelten.



    Da wurden gestern schwere Fälle aus dem Elsass in Baden Würtemberg aufgenommen.



    Doch die Berge?

  • Es klingt alles so einfach. Wir haben alles, die Italiener haben nichts und wir bösen Deutschen helfen nicht.



    Wenn es mal so einfach wäre.



    Denn es ist nicht so, dass wir in Deutschland keine kritischen Fälle haben, sondern dass wir noch nicht so viele kritische Fälle wie in Italien haben.



    Ich arbeite in einer großen Klinik und bei uns wird das Desinfektionsmittel rationiert, OPs werden abgesagt und Stationen werden geschlossen damit genug Pflegekräfte, Sauerstoff und Beatmungsgeräte für die Intensivbetreuung da sind wenn es soweit ist.



    Es ist nämlich auch zu klären, wieviele Mittel werden aufgenracht um Patienten zu verlegen, wieviele Menschen könnte man mit diesen Mitteln retten? Auch das ist Triage.



    Drei Menschen sterben zu lassen um einen zu retten, ist das am Ende moralisch richtig?

    • @derSchreiber:

      Falls Sie das so meinten: womöglich mehr als nur kritische Nachfragen und Nachforschungen dazu, wie es zu den Todesfällen kommen konnte, halte ich für absolut richtig.

      Auch dazu: künftiges Wahlverhalten mache ich davon abhängig.

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @derSchreiber:

      "Drei Menschen sterben zu lassen um einen zu retten, ist das am Ende moralisch richtig?"

      In dieser Situation wird es notwendig werden und wir, die wir nicht in diese Situation kommen, stehen da ganz hinter allen, die im Gesundheitswesen diese Entscheidung treffen müssen.

      • @4813 (Profil gelöscht):

        Mit solch trivialer Antwort gebe zumindest ich mich nicht zufrieden.

        Künftiges Wahlverhalten mache ich von einer nach meiner Meinung richtigen Antwort abhängig.

  • Ein wunderbarer Gastkommentar! Wohltuend in einer Zeit, in der es eine "Koalition der Willigen" auf der EU Ebene bedarf, um von Tausenden unbegleiteter, ernsthaft erkrankter und traumatisierter Kinder nur etwa 1500 aus den Flüchtlingslagern (z.B. in Griechenland) zu holen. Unter der Bedingung, dass sich viele "Willige" beteiligen.

    Wohltuend in einer Zeit, in der an den EU Außengrenzen auf Flüchtlinge geschossen wird, um unsere Wohlstandfestung zu verteidigen. In der Regierungen unserer "Wertegemeinschaft" Mauern, Natodraht und "Milliarden-Deals" mit Diktatoren, Sultanen und Milizen benötigen, um unsere "Arbeitsplätze", "Sozialsysteme", "Kultur", "Religion", "Nation" vor den Menschen in Not zu "schützen", oder gar unser "Blut" rein zu halten.

    Wir erleben gerade, dass ein Argument, für die Weigerung Menschen in Not zu helfen, nicht mehr verfängt, sondern schon immer eine Lüge war: der Mangel an Geld.

  • Für die "Moralapostel" ist es erstmal ein Problem, wenn in Italien mehr Menschen sterben als im Mittelmeer, man einfacher und begrenzter helfen könnte, es aber nicht tut und auch nicht fordert.

    Was aus meiner Sicht philosophisch gegen die universelle Gleichbehandlung spricht ist, dass es die Freiheit killen würde. Wenn jeder Mensch und jede Gemeinschaft tun und lassen kann, was sie mag, ihre Prinzipien zu den heiligsten erklären etc., dann Probleme bekommt - und alle anderen müssen helfen: das wird logisch nicht funktionieren. Man denke nur an Trumpisten, die alles in den Graben fahren, und dann müssen alle anderen es ausgleichen.

    Wenn andererseits alle Menschen solidarisch gleichgetaktet das Richtige machen, sind wir in etwa beim chinesischen Modell. Auch gut, aber viel Freiheit ist gekillt.

    • @Markus Michaelis:

      naja, aber diese Denke geht halt davon aus, dass grade alle Amis von ihrer Freiheit gebrauch machen, indem sie sich von Trump drangsalieren lassen. Oder dass alle Deutschen sich den Pkw-Kapitalismus ausgesucht haben. Ich finde ja schon lange, wir sollten eine Weltgegend zur Verfuegung stellen (von mir aus gerne Europa, bei uns ist von der mehr-als-menschlichen Welt eh am wenigsten uebrig), wo sich dann alle tummeln koennen, die wirklich vom Kapitalismus ueberzeugt sind und gerne unter ihm leben moechten. Auf den anderen Kontinenten koennen wir dann verschiedene andere Dinge ausprobieren. Wie waer's? :-)

  • Dass nicht benötigtes Material abgegeben wird ist kein Problem, aber bei steigenden Fallzahlen?

    Wenn wir die heute ungenutzten Beatmungsgeräte nach Italien schicken, bekommen wir die in acht Tagen auch alle wieder zurück wenn wir hier am Anschlag sind?

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Helfen ja, aber dabei nicht das eigene Leben gefährden.



    Das gilt auch für Staaten.

    In ein, zwei Wochen haben wir hier italienische Verhältnisse - weil immer noch asoziale Spinner Party machen - da kann man mithelfen, die aus dem Verkehr zu ziehen.

  • Aus philosophischer Perspektive stimme ich dem Autor zu, das wir uns gegenseitig helfen sollte. Ich bin ebenso Anhänger der europäischen Idee und sehe das als große Herausforderung für unseren Staatenbund, wobei wir in meinen Augen schon seit der Flüchtlingspolitik am Scheideweg stehen.

    Philosophie muss keine Lösungen für praktische Probleme liefern, aber dann sollte sie es lieber gar nicht erst versuchen: Deutschland verfügt bundesweit über mehr Intensivbetten, aber die war auch schon vor Corona ausgelastet. Nun wird umgeschichtet, das braucht alles Zeit. Die Aussagen von Funktionären im Gesundheitsgewesen erfolgen auch, um die Menschen zu beruhigen. Ich hoffe, dass sich die europäischen Länder gegenseitig helfen werden, aber das Virus brach nun über uns herein, weil die Vorwarnungen nicht genug ernst genommen wurden.

    Meine Mutter ist Krankenschwester und betreut seit dieser Woche Patient*innen mit Corona. Der Austausch mit den Patient*innen ist wichtig, um sie korrekt zu behandeln. Erkrankte Personen fühlen sich besser als es ihre Vitalwerte vermuten lassen würde. In solchen Fällen ist gute Kommunikation wichtig, wofür eine gemeinsame Sprache wichtig ist.



    Es ist also nicht einfach mal innerhalb von 24h oder gar Tagen Pflegekräfte auszuleihen. Mehr Beatmungsgeräte bringen auch nicht zwangsläufig mehr, wenn es nicht mehr Personen gibt, die diese bedienen können. Gewisse Prozesse und eingespielte Teams sind notwendig, die sich nicht sofort verpflanzen lassen. Mal abgesehen davon, dass auch hierzulande Schutzausrüstung Mangelware ist.

    Trotz meiner Einwände, sehe ich momentan auch kein (politischen) Willen zu helfen, aber das kann sich noch ändern. Ich bleibe optimistisch.

  • Die Überheblichkeit gegenüber Italien, die in manchen der Zitate im Artikel zum Ausdruck kommt, ist ja leider typisch für die rassistischen Aspekte der deutschen Mehrheitskultur. Und sie sind völlig unangebracht. Wenn man mal die Zahlen durchrechnet, dann wird es z.B. Berlin - vielleicht - so gerade eben ohne Massensterben durch die kommenden zwei / drei Monate schaffen. Unter der Bedingung, dass das neue "Corona-Krankenhaus" im Messegelände auch wirklich schnell öffnet und die Beatmungskapazitäten dadurch verdoppelt werden.

  • Wir haben Betten frei, die Flugzeuge sind leer - worauf warten wir also?



    Solidarité Européenne!

    • @Jürgen aus Nürnberg:

      Das ist die einzige Antwort die es geben kann. Aus Menschlichkeit, aus Europäischer Solidarität. Außerdem braucht man vielleicht morgen selber Hilfe.

    • @Jürgen aus Nürnberg:

      OK, intensivmedizinische zu betreuende, hochinfektiöse Patienten in ein Verkehrsflugzeug setzen und stundenlang durch Europa zu fliegen ist ja auch eine super Idee.

    • @Jürgen aus Nürnberg:

      Darauf, dass das Szenario mit vier Wochen Abstand hier Realität wird. Und dass dann eben keine "Betten frei" sind.

  • Aus der philosophischen und moralischen Sichtweise heraus stimmt das.



    Ist aber die praktische Umsetzung realistisch?

    In der Theorie ist die Erde EINE Kugel.



    In der Praxis ist sie in Verwaltungseinheiten wie Nationen, Länder, Kreise und Kommunen eingeteilt, unter anderem um die Infrastruktur, Versorgung und Verwaltung zu organisieren. Dabei entstehen Grenzen, das sind auch Grenzen der Verantwortung.

    Solidarität ist ein hoher moralischer Wert, grenzenlose Solidarität ist jedoch nicht immer real umsetzbar.



    Warum sollte eine Partei zwangsweise die Verantwortung einer anderen Partei übernehmen müssen, nur weil diese der nicht nachkommt? Ein Automatismus hätte nichts mehr mit Solidarität zu tun, sondern mit Gängelei einerseits und Schnorrerei andererseits.

    Und ja, es ist ein Zufall, wo jemand geboren ist, aber nicht nur die Rechte, sondern auch die Pflichten werden durch diesen Zufall festgelegt. Also auch hier gibt es Grenzen. Solidarität ist eben auch die Erfüllung der eigenen Pflichten und aus dieser Blickweise ist grenzenlose Solidarität nicht umsetzbar.

    Es gibt noch die persönliche Freiheit. Freiheit heißt auch, dass sich das einzelne Individuum nicht um alles kümmern muss und für alles verantwortlich gemacht werden kann.



    Diese Freiheit beinhaltet auch Selbstverantwortliches Handeln und die Wahrnehmung der Eigenverantwortung ist ein Teil der Solidarität gegenüber der Gemeinschaft. Das Individuum hat das Recht darauf, dass andere Individuen der Solidargemeinschaft ihrer Eigenverantwortung nachkommen.

    • @Saccharomyces cerevisiae:

      Wollen Sie sagen in der Praxis ist die Erde flach?

      • @Mr. Pink:

        Wollen Sie das so verstehen? Warum wohl habe ich "EINE" groß geschrieben? Um die Diskrepanz zwischen der theoretischen Einheit und der realen Teilung hervorzuheben.

  • Danke, dass Sie uns daran erinern, dass wir alle Menschen sind (nein, das ist nicht ironisch gemeint).

    Ein paar praktische Anmerkungen: warum ist das Gesundheitssystem in Italien so "down"? Nicht zuletzt wegen der neuerlichen EU-Austeritätspolitik... derer "wir" auch die champions waren" Jaja, ich war immer dagegen. Aber habe ich genug getan, Schäuble zu stoppen?

    Solidarität hat also auch eine andere Dimension. Mein Schicksal ist immer mit dem meiner Nachbarin verwoben, ob ich will oder nicht.

  • Philosophie muss keine praktischen Probleme lösen.

    Herr Geseng: Spenden Sie all Ihr Einkommen, das oberhalb von Hartz 4 liegt, damit Menschen in der Welt nicht verhungern? Wenn ja, gestehe ich Ihnen den Satz zu:



    Erst solches Denken berechtigt uns, uns über Donald Trump und seinen peinlichen Versuch zu erheben, deutsche Impfstoffforschung ausschließlich für die USA zu erwerben.

    Wenn nein, sage ich:

    Erst dieses Handeln berechtigt Sie, sich über die Organisation der Nationalstaaten zu erheben, dass alle Betten unter allen Menschen gerecht verteilt werden.

    Ihr letzter Gedanke: geben und nehmen. Dies löst sich im Übrigen von der Moral. Sie sagen, wir haben einen Vorteil, wenn wir dies tun. Die Italiener, die helfen können, müssen nach Ihrer Theorie aber dahin, wo Hilfe am meisten gebraucht wird. Evtl. die USA.

  • 8G
    83191 (Profil gelöscht)

    tatsächlich würde ich Italien mit entsprechenden Kapazitäten unterstützen. Dafür gibt es mehrere Gründe:

    1. Dafür ist die EU auch da. Zusammenhalt, anstatt jeder für sich.

    2. Mit Unterstützung in den schwierigsten Zeiten sichert man sich Freunde. Das darf man nie vergessen. Wer keine Freunde hat, ist arm.

    3. Wir können unser Gesundheitssystem bzw. die Maßnahmen in den Kliniken einem Live-Test unterziehen. Die Probe vor dem Sturm sozusagen.

  • Sehr interessanter Artikel. Wenn man die Bilder aus Bergamo oder Cremona sieht, fragt man sich doch ganz automatisch, warum diesen Krankenhöusern keine Patienten abgenommen werden können. Innerhalb Italiens werden ja auch Patienten verlegt, um Betten freizubekommen, was spricht dann dagegen, transportfähige Intensivpatienten in andere europäische Länder zu verlegen. Tatsächlich ist der Umgang mit der Coronakrankheit genau wie der mit den Geflüchteten für Leute wie mich, die an die europäische Idee glauben, sehr ernüchternd.

  • "Zudem ist ein konsequenter Universalismus weder durchsetzbar noch durchhaltbar, wie die Flüchtlingskrise gezeigt hat."

    Nein. Die Flüchtlingskrise hat gezeigt, dass wir dazu keine Lust haben. Das ist ein Unterschied, den man gerade als Philosophieprofessor nicht unter den Tischen fallen lassen sollte.

    "Wenn wir den Ländern helfen, die auf dem Höhepunkt der Krise sind, würden diese auch uns leichter helfen, wenn die Krise bei Ihnen bereits wieder abflaut."

    Genau unsere gesellschaftliche DNA! Deutschland hat sich für das Dublin Abkommen stark gemacht und den Artikel 16a GG eingeführt, weil wir so gerne anderen Menschen helfen.

  • Leider ist das ein zumindest nicht vollständiger Artikel für ein so ernsthaftes Thema. Erstens hat Deutschland bei Weitem nicht soviel Betten wie in den Medien oberflächlich postuliert. Zweitens kann es in 2-3 Tagen überall voll sein. Und drittens auch in Italien sterben nicht Patienten im Krankenhaus, die ohne Corona gesunden und überleben würden.

  • Dass allein dieses Aufsatz jetzt kommt, wenn in Europa Corona wütet und nicht schon viel früher, von Ebola im Kongo bis Malaria jedes Jahr, zeigt das ganze Dilemma des industrialisierten globalen Nordens auf.



    Tief inhuman, ignorant ganzen Kontinenten gegenüber. Italien liegt uns näher als der Kongo. Natürlich! Aber darum soll uns doch dennoch jedes Menschenleben gleich viel Wert sein. Versteckter Rassismus im humanen Kleid.

    • @Tom Farmer:

      Klar liegt uns Italiennäher als der Kongo. Und Deutschlan näher als Italien und mir meine Familie näher als Ihre. Das ist kein Dilema des industrialisierten Nordens, sondern höchstens ein weltweites. Und: Ja, wir sollten innerhalb der EU (schon wieder so ein geschlossener Raum) solidarischer sein und helfen...

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Also gut. Wat mutt dat mutt.

    Welch eine Perle in Zeiten der großen Islandisierung des Weltgeschehens in Zeiten von Klimakrise und Corona.

    Überall blubbert es. Geysire und Geseiere allerorten. Die Klugheit Einzelner im Kampf gegen die Schwarmdummheit. Ich erfreue mich an solchen sprachlichen Perlen wie denen von Herrn Gesang. Es klingt wie Musik in meinen alten Ohren. Vielleicht werden es mehr. Jeder Krise wohnt bekanntlich a u c h eine Chance inne.

    Das Lamento über die verbreitete Dummheit macht nicht satt. Weder im Magen, noch im Hirn oder im Herzen.

    Ich wünsche mir, dass die Klugen und Achtsamen wiederkommen (dürfen und wollen).

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Als ehemaliger DGzRS-Helfer und DRLG-ler gehe ich davon aus, daß es keinen Sinn macht, bei einem Hilfeversuch, das eigene Leben unkontrolliert aufs Spiel zu setzen.



      Das ist wohl keine "Sprachperle", aber als Metapher für praktische Erwägungen geeignet.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @horsefeathers:

        Sagen Sie mir noch, was Sie konkret meinen? Oder ging es hier für Sie nicht um Inhalte?

        Btw: Sie mögen keine Perlen?

        • @76530 (Profil gelöscht):

          Meine Äußerung ist inhaltlich rein konkret - ohne abstrakte philosophische, ethische oder sprachliche Tiefe.



          (Sonst hätte ich oft noch lange am Ufer gestanden, statt ins Wasser zu springen).

          Zu meinen "Perlen" gehört Hölderlin

          • 7G
            76530 (Profil gelöscht)
            @horsefeathers:

            Auf Hölderlin. Und auf die Stadt Tübingen.

            Es hat noch niemals - auch lange vor Corona - einen stichhaltigen Grund dafür gegeben, "das eigene Leben unkontrolliert aufs Spiel zu setzen".

            Davon hat letzten Endes keiner etwas: weder der Helfer noch der potenziell Gerettete.

            Auch wenn sich philosophische Ideen und Hilfe nicht ausschließen - sondern im günstigeren Fall bedingen. Um dies auszudrücken, benötige ich schon Sprache.

  • 100% Zustimmung ... leider hört man sonst fast nichts in der Richtung. Hauptsache die Grenzen sind dicht und die Apotheken leergekauft ....

  • Es ist in der Tat ernüchternd zu sehen, wie wenig Unterstützung Italien von den anderen europäischen Ländern bekommt. Medizinische Ausrüstung umzusetzen, ist wahrscheinlich einfacher, als Schwerkranke hin- und herzufahren.



    Aber wahrscheinlich würde das nicht einmal zwischen NRW und Niedersachsen funktionieren. Das liegt nicht daran, dass wir alle den Nationalstaat im Kopf mit uns herumtragen. Niemand weiß, was noch auf uns zukommt. Und dann entscheiden unsere Glorious Leader eben lieber nichts in dieser Hinsicht, bevor sie eine falsche Entscheidung treffen.