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Claudia Roth zieht BilanzDroht nun das konservative Rollback?

Die Grünen-Politikerin hat als Ministerin für Kultur und Medien einiges erreicht. Zum Abschied sprach sie auch über Nachfolger Wolfram Weimer.

Bald Ex-Kulturstaatsministerin Claudia Roth Foto: Bernd Elmenthaler/imago

Nach dreieinhalb Jahren im Amt ist für Claudia Roth als Staatsministerin für Kultur und Medien nun Schluss. Künftig wird der konservative Publizist Wolfram Weimer als ihr Nachfolger im Kabinett von Friedrich Merz übernehmen. Am Montagabend zog Roth im Bundeskanzleramt bei einem Hintergrundgespräch vor der Presse ein letztes Mal Bilanz.

Die Grünen-Politikerin teilte dabei die Sorge eines nicht unbeträchtlichen Teils der deutschen Kulturszene, mit Weimer drohe schon bald ein Kampf um Kultur – oder sogar gegen sie.

So stehen erfolgreiche Projekte wie der unter Roth eingeführte Kulturpass auf der Kippe. Mit dem Kulturpass erhalten 18-Jährige derzeit ein Budget, mit dem sie eigenständig an Kulturveranstaltungen teilnehmen oder Kulturprodukte erwerben können.

Laut Roth wurden dadurch bislang eine Million Kinokarten abgesetzt. Aber auch 1,8 Millionen Bücher in Geschäften verkauft. Der Kulturpass lädt Jugendliche zur aktiven Teilhabe am Kulturleben ein, beinhaltet nebenbei auch eine Förderung der kulturellen Infrastruktur Deutschlands.

Kultur ist keine Ware

Entgegen aller Skepsis ist es der scheidenden Staatsministerin in ihrer Amtszeit gelungen, vieles für die Kultur zu bewirken. Was sich auch in einem stetig wachsenden Kulturetat ausdrückte. Sie stand dabei gegen neoliberale Auffassungen, wie sie der lange als ihr Nachfolger gehandelte Berliner Kultursenator Joe Chialo vertritt, der ebenso wie Weimer ein Quereinsteiger in die Politik ist.

Allen Unkenrufen zum Trotz brachte Roth auch das langjährige Reformvorhaben der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) zu einem erfolgreichen Abschluss. Dazu schmiedete sie über die politischen Lager hinweg Bündnisse. Für Marion Ackermann als Nachfolgerin des ausscheidenden Hermann Parzinger an die Spitze der SPK fand sie breite Zustimmung.

Auch ihr Engagement für Green Culture, Erinnerungspolitiken oder die bedrängte Ukraine beinhaltete mehr als Symbolik. Man wird sehen, ob ihr Nachfolger die Größe hat, hier von ideologisch bornierten oder restaurativen Tendenzen abzusehen. Weimers Schrift „Das konservative Manifest. Zehn Gebote der neuen Bürgerlichkeit“ verheißt nichts Gutes.

Nach dem Antisemitismus-Skandal bei der letzten documenta setzte Roth durch, dass der Bund die Kassler Kunstschau nicht nur mitfinanzieren darf, sondern auch in den dortigen Gremien wieder vertreten ist. Allerdings machte sie jetzt zum Abschied erneut deutlich, dass sie nicht daran glaubt, Antisemitismus oder Rassismus ließe sich einfach per Verordnung oder Klauseln bekämpfen und verhindern.

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32 Kommentare

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  • Vielleicht hört jetzt endlich der antisemitismus in der Kultur auf. Den Frau Roth ja selbst noch beklatscht hat!

  • Jetzt kommt der Herr Weimer. Hier gilt dann wohl: "Machen Sie sich erstmal unbeliebt, dann werden Sie auch Ernst genommen". Machen muss er dazu gar nichts und Ernst genommen wird er - das zeigen die Kommentare. Übrigens im Gegensatz zu Frau Roth. Meiner bescheidene Beobachtung nach wurde Frau Rot im Kulturbetrieb durchaus belächelt. Natürlich hinter ihrem Rücken und erst, nachdem der unmittelbare Geldfluss sichergestellt war. Aber wie dem auch sei, für den ein oder anderen wird es möglicherweise Änderungen im Kulturbetrieb geben und durchaus ungemütlich. Wer mag schon Änderungen, wenn doch alles so bequem läuft. Allerdings lebt der Kulturbetrieb von Veränderungen und vielleicht kann man demnächst auch mal wieder ins Theater gehen ohne den Einheitsmeinungsbreisenf wie sonst immer vorgesetzt zu bekommen. Warten wir es ab.

  • "Sie stand dabei gegen neoliberale Auffassungen, wie sie der lange als ihr Nachfolger gehandelte Berliner Kultursenator Joe Chialo vertritt, der ebenso wie Weimer ein Quereinsteiger in die Politik ist."

    Soviel Durcheinander in einen einzigen Satz zu packen, ist schon ein besonderes Kunststück.



    Unter Neumann und Grüters gab es bereits starke Erhöhungen. Und was hat Chialo mit dem Bundeskulturhaushalt zu tun?



    Platter Manichäismus!

    • @Nardo:

      Also mal unabhängig von der Person des Herrn W. - Politische „Quereinsteiger“ haben vielleicht vorher auch mal was Substanzielles gelernt und gearbeitet; nein, ich bin keiner von der „Schafft-erst-mal-was!“-Fraktion. Allerdings gibt es einen Typus Berufspolitiker*in, die/der sich einfach nur jahrein, jahraus auf Parteitagen nach oben gelabert hat, immer reichlich läppische Pseudo-Moral im Gepäck. Dementsprechend ist dann auch das politische Handeln, wenn solche Leute (Achtung, bedeutsam!) „in Regierungsverantwortung“ sind. Dass vom designierten Kulturstaatsminister vielleicht nicht sonderlich viel Sinnvolles zu erwarten ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber geben wir ihm doch die Chance, sich auch zu blamieren.

  • "machte sie jetzt zum Abschied erneut deutlich, dass sie nicht daran glaubt, Antisemitismus oder Rassismus ließe sich einfach per Verordnung oder Klauseln bekämpfen und verhindern." Ich bin immer wieder erschüttert, wenn ich von Politikern solche Sätze höre. Vorurteile werden tradiert, meist durch Propaganda verstärkt. Natürlich kann massive Aufklärung einerseits und strafrechtliche Verfolgung andererseits solche Tendenzen deutlich cutten.

  • Das Verschenken von Kinokarten und Büchern als Leistung zu betiteln - Ampelkoalition in a nutshell

  • Die Riege der Union ist unzweifelhaft eine Zumutung, aber Weimer als Kulturminister ist schlicht ein Witz.

  • Claudia Roth hat einen tollen Job gemacht. Umso gruseliger und erschreckender mit welchem Bombast ntv den Dampfplauderer und Kulturkämpfer Weimer als "kulturpolitischen Hoffnungsträger" abfeiert, vielleicht um die politische neue Richtung des Großkonzerns Bertelsmann klarzumachen, zu dem ntv über seine Mitgliedschaft bei RTL gehört.

    www.n-tv.de/politi...ticle25734504.html

  • de.wikipedia.org/w...tsminister_im_Bund

    Frau Roth ist lediglich parlamentarische Staatssekretärin, der Titel Staatsministerin ist ein Sondertitel, aber KEINE Ministerstelle. Derzeit gibt es 7 Staatsminister (also StaatssekretärInnen mit dem Titel Staatsminister), davon 4 im Bundeskanzleramt und 3 im Auswärtigen Amt. Keine/r von ihnen hat davon so intensiv Gebrauch auch in der Presse gemacht wie Frau Roth. War ihr wohl wichtig.

    Wenn man überlegt, welchen Unfug Frau Roth in ihrer Rolle als Parlamentarische Staatssekretärin verursacht hat, kann man nur dankbar sein, dass das KEINE Ministerinnenstelle war.

    • @Torben2018:

      Welchen Unfug denn? Keine Fakten von Ihnen, nur leere Behauptungen.

  • Kulturstaatsministerin ist KEINE Minsterin. Sie ist eine Staatssekretärin. Bitte nicht auch noch Frau Roth zur Ministerin erhöhen, nachdem sie 3 Jahr nur Chaos in der Kulturförderung gemacht hat.

    • @Bernd0506:

      Siehe meine Antwort auf Dr. Idiotas.

  • "Droht nun das konservative Rollback?"



    Nein, der reaktionäre Destruktivismus. Konservativer rollback wäre, wenn z.B. Friedrich Merz ned von 500er Benz auf Diamond DA 62 umgestiegen wäre, sondern mit der Eisenbahn reiste.

  • "Man wird sehen, ob ihr Nachfolger die Größe hat, hier von ideologisch bornierten ...Tendenzen abzusehen."

    Seine Vorgängerin hat ja sich ja schon deutlich mit den ideologisch bornierten Tendenzen angefreundet und selbst gestaltet. Ihre Rolle z.B. im Antisemitismus-Skandal bei der letzten documenta war erschreckend ideologisch und selbst-unkritisch. Ihre Rolle auf der Berlinade hat diesen Eindruck noch bestätigt. Und, und, und!

    Anstatt Brücken zu bauen hat Frau Claudi Roth oftmals polarisiert. Der neue Minister kann es nur besser machen.

    • @Black & White:

      Danke für diesen Hinweis. Selbstkritik scheint im Kulturbetrieb sonst kaum vorzunehmen.

  • "Die Grünen-Politikerin hat als Ministerin für Kultur und Medien einiges erreicht. "



    Hat sie das wirklich? Ich spüre hier kaum etwas davon, bei den kleinen Theatern im ländlichen Raum war das große Sterben, in Großstädten gab es noch genug von Land und Bund. Wobei ich Claudia Roth als Person in ihrer ganz eigenen Art eigentlich mag.

  • Frau Roth war zweifelsfrei eine Zumutung auf dem Posten. Mit einem hübschen Skandal dazu.

    Da kann es eigentlich nur besser werden.

    • @Dr. Idiotas:

      Der "Skandal" besteht aus Fake-News und ist eine schönes Beispiel für eine Schmierenkampagne der konservativen Kampfpresse. Und natürlich der Beteiligten der Union. Herauszuheben sind hier vor allem Bär und Schenderlein. die integraler Bestandteil dieses Schmuddels waren.

    • @Dr. Idiotas:

      Ok, Frau Roth war für Sie also eine Zumutung. Können Sie dafür auch eine Begründung formulieren oder haben Sie einfach nur zu viele Bild-Überschriften und rechtsextremistische Streamer konsumiert, denn die "argumentieren" genauso?

      • @Truhe:

        Ich sage nur „documenta“.

  • Einen derart milden Abgesang auf das Wirken von Frau Roth hätte es fairerweise auch als Empfang für das kommende Wirken von Herrn Weimar geben sollen. Viele haben Schlimmes befürchtet, als Frau Roth begann, einiges ist eingetroffen, anderes nicht. Genauso wird es mit dem neuen Staatsminister sein: Einiges wird gut werden, anderes nicht.

  • Was jeder Katholik weiß: erfolgt die Seligsprechung schon vor dem Ableben, dann ist was faul.

  • Ich dachte eigentlich könnte es nach Claudia Roth nicht noch schlimmer kommen. Aber Wolfram Weimer ist wirklich das Schlimmste, was überhaupt passieren konnte. Nicht nur steht er eben doch für beinharten Neoliberalismus. Sondern auch für einen völlig verwahrlosten und entkernten Kulturbegriff der Identität und des Wettbewerbs.

    Im Grunde hätte man doch gleich Ulf Poschardt oder so an die Spitze setzen können. Oder warum nicht gleich Julian Reichelt? Naja, am Ende wird er ohnehin nur machen was alle vor ihm gemacht haben: Sparen und Labern.

  • Roth in ihrer emotional gezeichneten Kommunikation war nicht für alle gut verdaulich; doch wir werden ihr noch sehr nachtrauern.

    Wer den 'European' vor und nach Weimer mitverfolgte, bekam einen Hirn-Absturz mit, hin zu einem Kampfblatt.

  • Leider werden wir Rückschritte in Kauf nehmen müssen. Viele sinnvoll gesetzliche Verbesserungen sind durch 'Mikroregulierung' (parallel dem Mikromanagement) zu detailversessen und damit zur nervtötenden bürokratischen Belastung geworden.

    Detailverliebtheit und ein feingliedriger 'Gerechtigkeitswahn', der jede Lebens- oder Bausituation gezielt und extra behördlich bewerten will führen zu einer überbordenden bürokratischen Belastung der Gesellschaft.

    Gute Ideen und fortschrittliche Gesetzgebung werden durch Detailversessenheit konterkariert.

  • Noch eine grüne Ministerin die wir stark vermissen werden.



    Sehr schade.

    • @So,so:

      Wer genau wird sie vermissen? Vielleicht knapp 12% der Wählenden bei der vergangenen BT-Wahl…

    • @So,so:

      Frau Roth war "nur" Staatssekretärin und keine Ministerin.

    • @So,so:

      Frau Roth war so ziemlich vieles, nur nie MInisterin. Und vermissen ist recht subjektiv.

  • Neben manchem gelungenen (z.B. SPK) ist sie aber auch durch die Antisemitismusskandale auf der Documenta und der Berlinale in Erinnerung, die sie nicht einmal im Ansatz verhindern konnte, so sie das überhaupt wollte.



    "...dass sie nicht daran glaubt, Antisemitismus oder Rassismus ließe sich einfach per Verordnung oder Klauseln bekämpfen und verhindern." So kann man natürlich argumentieren, wenn man nicht entschlossen gegen mutmaßliche Täter vorgehen bzw. sie von den einschlägigen Veranstaltungen fernhalten möchte. Eine gewisse positive Nähe zu BDS hatte sie ja schon vorher (z.B. im Bundestag) zu erkennen gegeben.

  • Im Mai 2019 stimmte Claudia Roth gegen die Entschließung der großen Mehrheit des Bundestages „Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten - Antisemitismus bekämpfen“.

    Hätte den Grünen eine Warnung sein müssen. Schließlich kannten sie Claudia Roth seit langem.

    So wurde aus der documenta erwartungsgemäß ein regelrechter BDS-Cluster:

    Tagesspiegel: "Alles nur Israelkritik? : Der Antisemitismus-Skandal auf der Documenta war absehbar"



    Wer wählte die für das antisemitische Kunstwerk verantwortlichen Kuratoren aus? Ein genauer Blick auf die Findungskommission enthüllt krude Positionen zu Israel.

    Eine muntere Zusammenstellung. Perfekt, Frau Roth.

    Und was ist der BDS? "Gemessen am 3-D-Test für Antisemitismus betreibt BDS eine Dämonisierung und Delegitimierung des Staates Israel mit Doppelstandards und leugnet letztlich Israels Existenzrecht. Das Verhalten von BDS-Anhängern zeige vielfach die für Judenhass typische Virulenz und Obsessivität." (Gebildeter Antisemitismus. Eine Herausforderung für Politik und Zivilgesellschaft 2015).

    Bilanz: Frau Roth hat dem BDS eine prima Bühne gegeben.

    www.tagesspiegel.d...kritik-535539.html

  • Der Kulturpass wurde vorgestellt als einmaliges Projekt. Wer im Jahr 2024 18 geworden ist, konnte ihn beantragen. Wie kann dieser den dann jetzt "auf der Kippe" stehen.

    Ansonsten war die Amtszeit von Frau Roth eher von Skandalen als von Erfolgen geprägt. Besser gelungen ist da her der Artikel im Tagesspiegel: www.tagesspiegel.d...eint-13390774.html