piwik no script img

COP27Kapitalismus muss die Welt retten

Barbara Junge
Kommentar von Barbara Junge

Mit seinem endlosen Hunger nach mehr Wachstum und mehr Ausbeutung hat der Kapitalismus die Klimakatastrophe verschuldet. Jetzt ist Zahltag.

„Klimahölle“, ausgetrockneter Staudamm in Südafrika Foto: Mike Hutchings/reuters

D ie Welt, so hat es UN-Generalsekretär Antonio Guterres diese Woche beim Weltklimagipfel im ägyptischen Sharm al-Scheich formuliert, fahre auf einer Autobahn, die direkt in die „Klimahölle“ führe. Leider hat Guterres, von Beruf Diplomat, weggelächelt, wer diesen „highway to hell“ planiert hat: Es sind die einst früh industrialisierten, inzwischen in der digitalen Moderne angekommenen Staaten des Westens.

Man muss keine Marxistin sein, um den nimmersatten Bedarf des Kapitalismus nach mehr als das zentrale Problem zu benennen: mehr Ressourcen, mehr Wachstum, mehr Ausbeutung von Menschen und der Natur. Nun rebelliert nicht die Arbeiterklasse, wie einst von Marx prognostiziert, sondern es ist die Natur, und die Folgen sind katastrophal: sengende Hitze und Trockenheit, schmelzende Eisberge, Fluten, ausgelöschte Arten.

Die Globalisierung der vergangenen 30 Jahre, also die modernste und derzeit gültige Spielform des Kapitalismus, hat die Welt einmal mehr in Sieger und Verlierer geteilt. Und so, wie die Arbeiterinnen in den indonesischen Sweatshops heutzutage mit der Finanzelite in London verknüpft sind, sind es auch die Auswirkungen des Klimawandels: zuerst wird Jakarta versinken, nicht London. Den Preis zahlen nicht als erste diejenigen, die den Schlamassel angerichtet haben.

Die Entwicklungs- und Schwellenländer haben also guten Grund und Legitimation, die Rechnung auf der Weltklimakonferenz an die Verursacher, die vornehmlich im Westen zu suchen sind, weiterzureichen. Der Westen wiederum, das zeigt sich in Ägypten erneut, verweigert noch immer die Annahme dieses Schuldscheins. Mit den 100 Milliarden Dollar an Hilfen, die die reichen Staaten jährlich zugesagt haben, ist der globale Umbau kaum zu bewerkstelligen.

Mickrige 170 Millionen Euro

Selbst wenn sie gezahlt würden. Ein wuchtiger Deal, mit dem die Staaten des Globalen Südens für die Klimaschäden entschädigt würden, ist vielen Industrieländern schlicht zu heikel, er wäre ja ein Schuldeingeständnis für ein paar Jahrhunderte der Ausbeutung. In Ägypten wird jetzt endlich darüber gesprochen, doch Beschlüsse sind nicht vorgesehen.

Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Klimakonferenz für einen globalen Schutzschirm wirbt und aus Deutschland weitere 170 Mil­lio­nen Euro verspricht, weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll, so jämmerlich mickrig klingt diese Summe angesichts der Größe der Probleme, und der 30 Milliarden Euro, die nach der Flutkatastrophe im Ahrtal zur Verfügung stehen. Die von den Folgen des Klimawandels besonders betroffenen Staaten fordern ihrerseits einen Schuldenerlass.

Moralisch mag das nachvollziehbar sein. Ein Schuldenerlass würde die weltweite Inflation jedoch nur noch anheizen, und ohne in den dann weitgehend entschuldeten Staaten eine dauerhaft klimafreundliche Entwicklung garantieren zu können. Grundsätzlich bleiben deshalb nur zwei Wege: Eine radikale Schrumpfkur, degrowth genannt, bei der sich die Welt gesundschrumpft, wie sie beispielsweise meine taz-Kollegin Ulrike Herrmann in ihrem Buch „Das Ende des Kapitalismus“ fordert.

Flotter Sprung in die postfossile Ära

Das wäre eine ziemlich revolutionäre Lösung für ein Wirtschaftssystem, dessen Kern und Wesen Wachstum und Ausbeutung sind. Aber degrowth ist gerade das Gegenteil dessen, was die Entwicklungs- und Schwellenländern für sich einfordern. Oder: Die Welt wagt schnell, besser noch turboschnell, den Sprung ins postfossile Zeitalter, in dem auch Ruanda und Indonesien, Chile und Kambodscha nur noch mit erneuerbaren Energien operieren.

Doch das muss bezahlt werden. Und das kann nur der Westen selbst. Wenn einzelne Staaten wie die USA nicht bereit sind, sich ihrer Verantwortung zu stellen, wie es sich jetzt beim Klimagipfel erneut abzeichnet, dann müssen die großen transnationalen Institutionen des Kapitalismus ran, allen voran die Weltbank.

Sie müssen zum Aufbau erneuerbarer Energien und klimafreundlicher Infrastrukturen für die Staaten des Südens und des Ostens Programme auflegen, die, sorry, Kanzler, nicht nur die Scholz’schen Millionen oder Milliarden umfassen, sondern mit Billionen an Dollar daherkommen und die nur eine Auflage haben dürfen: Verzicht auf fossile Energie. Sonst kommt irgendwer im Senegal doch wieder auf die Idee, bislang unerschlossene Gasfelder anbohren zu wollen.

Klingt utopisch? Mag sein. Eine urkapitalistische Form der Weltenrettung? Ja, doch mit Aussicht auf Erfolg. So, wie ein Unternehmen sich mit wuchtigen Investitionen transformiert, wenn das alte Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert, würde sich die Welt neu erfinden. Nicht weil die Schlafwandler in den Regierungssitzen dieser Welt erkannt hätten, auf welchem Irrweg sie bislang wandelten. Sondern, weil der Umbau ganz einfach attraktiver ist als das Weiter-so.

Man muss weder Marxistin noch Volkswirtin sein, um durchrechnen zu können: Wer diesen Umbau nicht jetzt finanziert, würde später viel mehr bezahlen müssen. Der Preis wäre eine in Teilen unbewohnbare Welt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Barbara Junge
Chefredakteurin
taz-Chefredakteurin, Initiatorin der taz-Klima-Offensive und des taz Klimahubs. Ehemals US-Korrespondentin des Tagesspiegel in Washington.
Mehr zum Thema

19 Kommentare

 / 
  • Ein Schuldenerlass heize die weltweite Inflation noch weiter an? Diese Aussage hat mich sehr gewundert und ich halte sie mindestens für sehr verkürzt, wenn nicht sogar für gänzlich falsch. Ähnlich wie durch die Rückzahlung von Schulden wird dem Kreislauf auch durch die Streichung von Verbindlichkeiten Geld entzogen und die Geldmenge verringert. Wenn überhaupt, müsste ein Erlass demnach eine deflationäre Wirkung erzielen. Darüberhinaus ist ein solcher unmittelbarer Kausaleffekt der Geldmenge auf das Preisniveau nicht zu erwarten, wie von der TAZ selbst an anderer Stelle häufig auch zurecht dargelegt wird. Ich hätte mir daher sehr gewünscht, dass das Schreckgespenst der Inflation gerade von der TAZ nicht bemüht wird, um der sehr legitimen Forderung nach einem Schuldenerlass auszuweichen.



    Ich freue mich über Rückmeldungen, falls ich einen relevanten Zusammenhang übersehen haben sollte.

  • Beim CO2 Fußabdruck pro Kopf in den Ländern sieht es wieder ganz anders aus. Da wird auch deutlich, wo Produkte gekauft werden und wo sie bei hohen CO2-Emmissionen und niedrigen Gehälter produziert werden.



    de.wikipedia.org/w...missionen_pro_Kopf

  • Ulrike Herrmann denkt darüber nach, wie wir vom Kapitalismus in die Kreislaufwirtschaf gelangen können - und erklärt, warum es 'grünes Wachstum' nicht geben kann. Sie ist schon einige Schritte weiter als 'viel Geld auf Probleme werfen'.

  • Man lese zusammen:



    "mehr Ressourcen, mehr Wachstum, mehr Ausbeutung von Menschen und der Natur.



    (...)



    Sie müssen zum Aufbau erneuerbarer Energien und klimafreundlicher Infrastrukturen für die Staaten des Südens und des Ostens Programme auflegen, die, (...) mit Billionen an Dollar daherkommen und die nur eine Auflage haben dürfen: Verzicht auf fossile Energie."



    Mit Billionen an Dollar gegen die Fossilen? Und das geht ohne "mehr Ressourcen, mehr Wachstum, mehr Ausbeutung von Menschen und der Natur"



    Wenn der Anfang des Artikels dem Ende widerspricht.....

  • 170.000.000 für die Welt. Dort geht es um Überleben. Option Flucht haben die Menschen dort kaum, der saubere Norden würde sie nicht wollen.



    30.000.000.000 für das Ahrtal. Welches, so fürchte ich auch weiterhin jederzeit Opfer von Hochwasser werden kann und weswegen ich, bei aller Schönheit und Tradition, nicht mehr dort aufbauen lassen würde.



    3.000.000.000 für die Ukraine um den Russen eine auf den S zu hauen für seinen Angriff.

  • Nur ist im Kapitalismus der Mechanismus nicht eingebaut, die Welt zu retten, wenn die Rettung langfristige Maßnahmen und den Verzicht auf Wachstum braucht. Der Kapitalismus hat bereits gezeigt, dass er die Welt nicht retten kann. Nur noch seine Einschränkung könnte rettend sein.

    • @PolitDiscussion:

      Ich fürchte es ist Wurst wie man es machen will. 70 Prozent der Menschheit sind nicht wandlungsfähig. Unabhängig vom System. Selbst rohe Gewalt könnte auf Dauer das Problem nicht lösen. Es ließe sich nicht durchsetzen. Ein großer Bug im Betriebssystem der Menschen ist Kurzsichtigkeit und Dummheit.



      Ich bin überzeugt, wir könnten es schaffen durch verschiedene Maßnahmen bis hin zur Anpassung, wenn es rein um das Klima ginge. No doubt. Mit den ganzen Spacken unter den Mitmenschen: keine Chance. Zero. In dem Punkt bin ich mit mittlerweile sehr sicher. Da reicht schon ein Blick ins Verkehrsministerium um zu sehen, wie ernst das Thema von einigen Verantwortlichen genommen wird. Aber hey, warum sollten wir auch schlauer als Schweine sein mit denen wir soviele Gene gemeinsam haben. Das zu erwarten ist vermessen.

  • Denkfehler: Die Mittel müssen irgenwo als Steuern eingetrieben werden.



    Egal wie attraktiv die Verwendung ist - allein den Versuch wird keine Regierung überleben. Dazu ist der öffentlichen Diskurs noch viel zu egoistisch und staatsfeindlich.

  • Aber man muss wohl Marxist sein, um das systemische Problem zu verstehen:



    Kapitalismus kann das Problem der Verknappung nicht lösen, es ist sein Grundprinzip.

  • Es stehen auch nicht-westliche Staaten auf der Liste der größten CO2-Verursacher. China steht mit großem Abstand auf Platz 1, stößt doppelt soviel CO2 aus wie die Nr.2, die USA. China alleine stößt 15x soviel CO2 aus wie Deutschland. Indien steht auf Platz 3, der Iran auf Platz 7, Südkorea auf 8, Saudi-Arabien auf 9.

    Quelle: EU-Kommission: Fossil CO2 and GHG emissions of all world countries, 2019 report. Bezugsjahr: 2018

    Der größte Teil des bisherigen Temperaturanstiegs erfolgte in den letzten 30 Jahren. In diesem Zeitraum stießen sämtliche dieser Saaten schon viel CO2 aus. Also müssen sie sich auch an den Kosten beteiligen, die dies verursacht.

    • @Stefan Schaaf:

      Genau das müsste untersucht und herausgearbeitet werden. Es ist meines Erachtens anzunehmen, daß die Natuer nach Beginn der industriellen Revolution lange imstande war, den erhöhten Ausstoß an Treibhausgasen zu absorbieren. Es müsste festgestellt werden, ab wann die Natur dazu nicht mehr in der Lage war, und der Ausstoß von Treibhausgasen demnach schädlich wurde.

    • @Stefan Schaaf:

      Denkfehler! Der Temperaturanstieg der letzten 30 Jahre ist mit Nichten das Resultat der CO2 Emissionen der letzten 30 Jahre ... .



      Wir baden im Moment die Scheiße aus, die unsere Großvãter und Urgroßväter gebaut haben.



      Es kommt noch viel dicker, selbst wenn die Menscheit jetzt radikal umsteuert.



      Aber mit Sicht auf den Planeten Erde, kann beruhigt sein. Das Problem des Klimawandels wird in den nächsten 100 Jahren gelöst, da besteht kein Zweifel. Die Frage ist nur, ob mit oder ohne Menschen.

      • @Tinus:

        "Die Frage ist nur, ob mit oder ohne Menschen"

        Ich fürchte, es gibt auch noch eine Möglichkeit dazwischen: dass es wenigen Menschen gut geht und vielen Menschen schlecht geht, also Menschen, die gefährdet aber noch nicht ausgestorben sind. Und auf dem Weg dorthin vielleicht viel Gewalt.

        Aber das muss nicht sein. Es gibt auch viel Überlebenswillen und den Wunsch, gut miteinander zu leben. Vielleicht ist diese Kraft stärker.

  • Kapitalismus ist eher dafür bekannt, dass Reiche immer reicher werden, egal wie viele Menschen dadurch in unserer Welt verhungern.

    Mit einer kleinen Umstellung zu mehr humanitärer sozialer Marktwirtschaft würde es besser klappen - und mit Aktivist*innen die sich etwas an Greta Thunberg orientieren.

    Vor allem aber mit Frieden und gutem Miteinander, überall und weltweit, denn damit lässt sich alles verbessern.

  • Es bleibt ein Unwohlsein, ob die Probleme des Kapitalismus aus der Perspektive des Kapitalismus betrachtet überhaupt vollends erfasst werden können. Oder folgt dann ein inverser Kapitalismus?

    So wie Kollegin Herrmann eine absolut fachkenntnisreiche Wirtschaftsjournalistin ist, aber wenn es um Zusammenhänge darüber hinaus geht, auch in ihren Texten schnell kleinere Schwächen auftauchen. Oder der Unwille (oft vielleicht auch die Unmöglichkeit), dann noch in die Tiefe zu gehen.

    Mit den Waffen des Feindes, sprich mit immer mehr Finanzkraft, gegen die Probleme anzugehen, widerspricht in Teilen auch dem Sinn von Degrowth. Die Zukunft kann also nicht allein von Ökonomen gerettet werden, das sollte offensichtlich sein.

    • @TV:

      "Mit immer mehr Finanzkraft, gegen die Probleme anzugehen, widerspricht in Teilen auch dem Sinn von Degrowth."



      Kommt darauf an, wie man Degrowth definiert, aber für eine wachsende Bevölkerungszahl, die nach Wohlstand strebt, wird das zwangsläufig ein (notwendiges und gutes) Wachstum der Ökonomie bedeuten.



      Ein Blick auf die Naturkatastrophen der letzten 50 Jahre zeigt das eindrücklich:



      Die Zahl der Todesopfer durch Flut, Dürre, Sturm ist trotz steigender Bevölkerungszahl von Jahrzehnt zu Jahrzehnt gesunken - und zwar von weltweit 170 Todesopfern auf nun unter 40 pro Tag im statistischen Mittel. Für die 10 größten Naturkatastrophen entfallen 70 % der Opfer auf die Jahre 1970 bis 1990.



      Fünf der 10 tödlichsten aufgezeichneten Ereignisse in Asien fanden in den 1970er Jahren und 90% vor dem Jahr 2000 statt. library.wmo.int/do...p?explnum_id=10989

  • allein mir fehlt der Glaube, dass Geld das alles reparieren kann, dass Autokraten den Geldsegen für Klimaprojekte einsetzen werden...

  • Das Gegenstück zum Kapitalismus hat aber auch verdammt viel CO2 raus gehauen. In allen Ostblockstaaten damals war Umweltschutz nicht im Wörterbuch. Wenn Umweltschutz und CO2-Bremse, dann nur durch/im demokratisch regierten Kapitalismus.