Bund-Länder-Kompromiss zu Asylpolitik: Deutschland macht sich unattraktiv

Asylverfahren soll verkürzt, die finanzielle Unterstützung für Flüchtlinge verschlechtert werden. So wollen Bund und Länder die Zahl der Asylbewerber senken.

Menschen tragen Plastksäcke über ihren Schultern

Ankommende in der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen im Oktober Foto: Boris Roessler/dpa

Berlin dpa/taz | Nach monatelangem Streit haben sich Bund und Länder über die künftige Aufteilung der Flüchtlingskosten geeinigt. Pro Kopf wolle der Bund eine Pauschale von 7.500 Euro zahlen, sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) am frühen Dienstagmorgen in Berlin zum Abschluss der Ministerpräsidentenkonferenz. Aus dem Beschlusspapier geht hervor, dass der Bund diese jährliche Pauschale für Menschen zahlen will, die in Deutschland erstmals einen Asylantrag stellen.

Die neue Pauschale und Anpassungen bei Leistungen für Asylbewerber würden laut dem Beschlusspapier im kommenden Jahr zu einer Entlastung bei Ländern und Kommunen von rund 3,5 Milliarden Euro führen – basierend auf den Zugangszahlen dieses Jahres. In der ersten Hälfte des Jahres 2024 soll es eine Abschlagszahlung von 1,75 Milliarden Euro geben.

Die Länder verlangen vom Bund schon seit Längerem eine stärkere finanzielle Beteiligung an den Flüchtlingskosten – auch unter Verweis darauf, dass sie selbst keinen Einfluss darauf haben, wie viele Menschen nach Deutschland kommen.

Um die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren, haben die Regierungschefs der 16 Bundesländer und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zahlreiche weitere Beschlüsse gefasst. Ein Überblick:

Asylverfahren stark beschleunigen

Bund und Länder hielten fest, dass derzeit zu viele Menschen nach Deutschland flüchteten. „Klare und zielgerichtete Maßnahmen gegen unkontrollierte Zuwanderung“ seien daher nötig. So will die Bundesregierung prüfen, ob Asylverfahren außerhalb Europas möglich sind. Asylverfahren sollen schneller abgewickelt werden als bisher, dafür setzen sich Bund und Länder neue Zielmarken.

Insbesondere bei Menschen aus Staaten mit einer Anerkennungsquote von weniger als 5 Prozent soll das Asylverfahren in drei Monaten abgeschlossen sein. So soll „die Zahl der im Wege der Fluchtmigration nach Deutschland Kommenden deutlich und nachhaltig gesenkt werden“. Asylverfahren für Angehörige von Staaten, für die die Anerkennungsquote weniger als 5 Prozent beträgt, sollen zügiger als bisher abgeschlossen werden. Ziel ist, das Asyl- und das anschließende Gerichtsverfahren bei ihnen jeweils in drei Monaten abzuschließen. In allen anderen Fällen sollen die Asylverfahren regelhaft nach sechs Monaten beendet sein.

Grenzkontrollen bleiben

Grenzkontrollen an den Landesgrenzen zu Österreich, zur Schweiz, zur Tschechischen Republik und zu Polen sollen aufrechterhalten werden. Die Länder und die Bundespolizei wollen weiter eng bei der Bekämpfung der Schleusungskriminalität und der irregulären Einwanderung zusammenarbeiten.

Kein Bargeld für Asylbewerber

Barauszahlungen an Leistungsempfänger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sollen eingeschränkt werden. Das soll den Verwaltungsaufwand bei den Kommunen minimieren. Hierzu soll eine Bezahlkarte eingeführt werden. Bis zum 31. Januar 2024 soll dafür ein Modell erarbeitet werden.

Drei Jahre kein Anrecht auf Sozialhilfe

Für Asylbewerber, die seit mehr als eineinhalb Jahren in Deutschland sind, sollen Leistungen eingeschränkt werden: Wenn sich ein Asylverfahren lange hinziehe, sollen nicht 18, sondern 36 Monate lang Grundleistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz gezahlt werden. Aktuell haben Asylbewerber eineinhalb Jahre lang Anspruch auf ein Dach über dem Kopf sowie Nahrung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern. Statt solcher Sachleistungen sind teils auch Wertgutscheine oder Geldleistungen vorgesehen. Nach 18 Monaten steigen die Sätze ungefähr auf Höhe der regulären Sozialhilfe. Dieser Schritt soll künftig später erfolgen.

Asylverfahren in Drittstaaten

Die Bundesregierung will prüfen, ob Asylverfahren außerhalb Europas möglich sind. Geprüft werden soll, ob die Feststellung des Schutzstatus von Geflüchteten unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention zukünftig auch in Transit- oder Drittstaaten erfolgen kann.

Kommission für Migration

Die Bundesregierung wird zu Fragen der Steuerung der Migration und der besseren Integration in Abstimmung mit den Ländern eine Kommission einrichten. Dabei sollen gesellschaftliche Gruppen einbezogen werden – zum Beispiel Kirchen und Gewerkschaften sollen teilnehmen, aber auch Wissenschaftler und Vertreter von Organisationen, die sich für die Belange von Asylbewerbern einsetzen.

Stärkere Abschottung der EU

Intensiv sollen Gespräche zu Migrationsabkommen mit weiteren Herkunftsländern geführt werden. Der Zuzug an den europäischen Außengrenzen soll begrenzt werden und dafür das Zustandekommen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems auf EU-Ebene vorangetrieben werden. Flüchtlinge sollen an den Außengrenzen der EU strikt überprüft und registriert werden.

Derzeit ist ein starker Anstieg der Asylanträge zu verzeichnen. Allein bis September dieses Jahres wurden nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Deutschland 233.744 Erstanträge auf Asyl gestellt – und somit deutlich mehr als im gesamten Vorjahr. Zudem hat Deutschland mehr als eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen, die kein Asyl beantragen müssen. Das führt zu Problemen in den Kommunen, wenn auch nicht in allen.

Mitte Mai hatte der Bund den Ländern zwar bereits 1 Milliarde Euro als zusätzliche Beteiligung für das laufende Jahr zugesagt. Damit sollen sie dabei unterstützt werden, ihre Kommunen zu entlasten und die Digitalisierung der Ausländerbehörden zu finanzieren. Doch Länder und Kommunen dringen seit geraumer Zeit auf ein künftiges sogenanntes atmendes System, bei dem sich die Zahlungen dauerhaft an der tatsächlichen Zahl der Geflüchteten orientieren.

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