Bürgermeister-Abwahl in Freiburg: Deutungskampf um Breisgau-Beben
Nach 16 Jahren wurde Freiburgs grüner Bürgermeister abgewählt. SPD und Linke hoffen auf das Ende von Grün-Schwarz im Land.
Freiburg hat mit dem Rest nichts zu tun. Das ist die bequeme Lesart für die Grünen. Denn was sich am Sonntagabend in der 230.000-Einwohner-Stadt im Breisgau ereignet hat, ist ein kleines Erdbeben. Oberbürgermeister Dieter Salomon wurde nach 16 Jahren im Amt abgewählt. Martin Horn, ein von der SPD unterstützter, junger Newcomer, schlug den wertkonservativen Amtsinhaber klar und zieht ins Rathaus ein. Und noch etwas beunruhigt die Grünen: Die Stadträtin Monika Stein, die von der Linkspartei unterstützt worden war und einen Fokus auf soziale Themen hatte, kam auf 24,1 Prozent der Stimmen.
Ist Salomons Niederlage der Anfang vom Ende der grünen Bürgerlichkeit à la Kretschmann? Sind die Grünen im Südwesten zu schwarz? Schließlich unterstützte die Freiburger CDU Salomon offen und hatte gar auf einen eigenen Kandidaten verzichtet.
Konkurrenz frohlockt
Die politische Konkurrenz bemühte sich sehr, diese Deutung zu etablieren. Baden-Württembergs SPD-Landeschefin Leni Breymaier gratulierte Horn auf Twitter und schrieb den Hashtag #Sensation dazu. Ihre Generalsekretärin Luisa Boos sagte: „Nach 16 Jahren ist der Prototyp des grünen Aufstiegs in Baden-Württemberg abgewählt.“ Das sei auch ein Signal für die Landespolitik. Die schwarz-grüne Ära habe in Baden-Württemberg nicht im Landtag, sondern in den Rathäusern begonnen. „Diese Konstellation hat die soziale Frage systematisch vernachlässigt, etwa den Wohnungsbau“, sagte Boos. „Deshalb hat sie keine Zukunft mehr.“
Linken-Politiker äußerten sich ähnlich euphorisch. Parteichef Bernd Riexinger gratulierte der Kommunalpolitikerin Stein auf Twitter zu dem guten Ergebnis. „Das ist etwas esonderes“ für Baden-Württemberg.
Dabei liegt die eigentliche Überraschung zwei Wochen zurück. Damals verwies Horn Salomon im ersten Wahlgang auf den zweiten Platz. Der Wunsch nach einem Wechsel lag in der Luft, vergangene Leistungen des Amtsinhabers zählten offenbar wenig. Man konnte sehen: Bürgerinnen und Bürger kamen in Scharen zu den Podiumsdiskussionen, darunter viele Erstwähler und Studenten. Eigentlich die klassisch-grüne Klientel, die aber wenig mit Salomons „Weiter so“ anfangen konnte.
Schon das Ergebnis des ersten Wahlgangs hatte gezeigt, dass dem OB ausgerechnet in grünen Hochburgen wie dem Vauban, aber auch in anderen urbanen Quartieren, in denen er vor acht Jahren klarer Wahlsieger war, die Basis verloren ging. Einige dieser grünen Hochburgen gingen diesmal an die linke Kandidatin Stein. Sie errang in beiden Wahlgängen über 24 Prozent.
Das Netz genutzt
Martin Horn fand dagegen breiten Zuspruch in fast allen Wahlkreisen. Dafür hat er fleißig Wahlkampf gemacht und auch als Erster das Netz professionell für seine Kampagne genutzt. Auf diese Weise ist er in bürgerlich-liberale Wählerschichten eingedrungen, mit denen sich Salomon bisher neben seinen Stammwählern die Mehrheit sichern konnte. Man kann sagen, Salomon wurde am Ende zwischen der linksgrünen Stein und dem rundum kompatiblen Horn zerrieben. Das war auch im zweiten Wahlgang nicht mehr zu drehen.
Ja, es ging auch um Inhalte in diesem Wahlkampf. Fehlender Wohnraum einerseits, das wachsende Unbehagen über Verdichtung und neue Wohnviertel auf der grünen Wiese andererseits. Salomon entschied sich im Widerspruch zwischen Landschaftsversiegelung durch Neubauten und Wohnungsmangel für das Bauen. Martin Horn versammelte in seinem Wahlkampf beide Lager hinter sich und ließ Lösungen dieses Zielkonflikts offen. Das kann er sich jetzt als Oberbürgermeister nicht mehr leisten.
Wie halten die Grünen ihr eigenes Milieu bei der Stange und gewinnen gleichzeitig die Mehrheit der Gesellschaft und damit Wahlen? Eine Antwort dazu kam vom hyperkonservativen Flügel der Partei, von Boris Palmer, Oberbürgermeister in Tübingen. „Wenn Kreuzberg und Tübingen gegeneinander marschieren, verliert man. Wenn Kreuzberg und Tübingen sich zusammentun, gewinnt man klar“, analysierte er.
“Grünen Kern nicht vergessen“
Und Kerstin Andreae, Bundestagsabgeordnete aus Freiburg und Reala wie Palmer, sagte: „Man muss die Inhalte der Partei ernst nehmen, denn auf diesem Weg werden Inhalte grüner Wähler transportiert.“ Ein „Weiter so“ genüge auch bei erfolgreicher Amtsführung nicht. „Visionäre Gestaltungskraft“, das müsse man von Grünen immer erwarten können, sagte Andreae.
Davon hatte Salomon zuletzt wohl zu wenig im Angebot, um das grüne Milieu zu mobilisieren. Der Soziologe Till Westermayer arbeitet als parlamentarischer Berater der Grünen-Fraktion in Baden-Württemberg – und lebt in Freiburg. Er verwies in einem Blogbeitrag auf die geschickte Kommunikation Horns.
Es sei das Bild eines arroganten grünen OBs in Umlauf gebracht worden, dem Bürgerbeteiligung und bürgernahe Kommunikation entgegengestellt worden sei. Erfolge würden von WählerInnen schnell vergessen, nur gut zu verwalten reiche nicht aus, schrieb Westermayer. „So wichtig eine Erweiterung der grünen Wählerklientel in die Breite der Bevölkerung ist – der grüne Kern und dessen Interessen sollten nicht vergessen werden.“
Schärfere Töne gegen Salomons Kurs und Forderungen nach Korrekturen der Landespolitik waren im linken Flügel der Grünen zu hören. „Wenn Ökologie und Gerechtigkeit auseinanderfallen, kriegen die Grünen ein Problem“, schrieb Jürgen Trittin schon nach dem ersten Wahlgang auf Twitter. Auch jetzt, nach dem Sieg der Konkurrenz, äußerten sich Linksgrüne hinter vorgehaltener Hand kritisch.
Das Soziale, gerade das Thema Wohnungsbau, sei in Freiburg und in der Landespolitik vernachlässigt worden, hieß es etwa. Salomon habe bei der Orientierung auf bürgerliche Wähler den Bogen überspannt und die eigene Klientel aus dem Blick verloren. Es sei übertrieben, Freiburg als Anfang vom Ende der Ära Kretschmann zu interpretieren, fasste ein gut vernetzter Linksgrüner zusammen. „Aber ein Weckruf muss das Ergebnis in jedem Fall sein.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut