Brandstiftung in Solingen: Staatsanwaltschaft will nicht ermitteln
Wurde ein rechtsextremes Motiv vertuscht? Die Anwältin Seda Başay-Yıldız hatte Anzeige gegen die Polizei erstattet. Nun prüft sie weitere Schritte.

Kaum eine Woche ist es her, dass die Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız den Polizeipräsident und mehrere Beamt*innen des Polizeipräsidiums Wuppertal angezeigt hatte. Doch nun heißt es von der Staatsanwaltschaft Wuppertal bereits, sie lehne die Aufnahme von Ermittlungen gegen Beamtinnen und Beamte des Polizeipräsidiums Wuppertal ab, da ein Anfangsverdacht für ein strafbares Verhalten nicht vorliege. Başay-Yıldız wirft den Behörden vor, Beweismaterial im Prozess um eine tödliche Brandstiftung 2024 in Solingen zurückgehalten zu haben.
Es handelt sich um mehr als ein Dutzend Bücher mit Bezug zum Nationalsozialismus. Die waren im Haus des Angeklagten gefunden und dokumentiert, aber nicht zur Akte gereicht worden. Başay-Yıldız spricht von „Vertuschung“ und einem „Skandal“. Die Polizei rechnet die Bücher dem Vater des Angeklagten zu. Deswegen habe man sie wohl nicht für verfahrensrelevant gehalten, so die Staatsanwaltschaft in der Pressemitteilung.
Gegen die Ablehnung der Ermittlungen will die Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız im Namen ihrer Mandant*innen vorgehen. „Es ist Fakt, dass Beweismaterial vorenthalten wurde“, sagt Başay-Yıldız der taz. Die nur wenige Tage dauernde Überprüfung zeige, wie intensiv sich die Staatsanwaltschaft mit dem Tatvorwurf beschäftigt habe. „Wie man nach wenigen Tagen bereits sicher sein kann, dass hier kein strafbares Handeln vorliegt, ist mir schleierhaft“, so Başay-Yıldız. Sie will nun Dienstaufsichtsbeschwerde einlegen und erreichen, dass das Vorgehen der Polizei durch die Behörden eines anderen Bundeslands geprüft wird.
Der Angeklagte Daniel S. hat bereits zugegeben, im März 2024 ein Mehrfamilienhaus in Solingen in Brand gesteckt zu haben. Die vierköpfige türkisch-bulgarische Familie Zhilova starb, 21 Personen wurden zum Teil schwerst verletzt. So auch die Mandant*innen von Başay-Yıldız. Nun wird vor Gericht um ein mögliches Motiv gerungen. Der 40-Jährige Daniel S. steht im Verdacht, möglicherweise aus rechtsextremistischer Ideologie gehandelt zu haben. Dabei hatte die Staatsanwaltschaft schon kurz nach der Brandstiftung in einer Pressekonferenz verlauten lassen, dass es keine Hinweise für ein „fremdenfeindliches“ Motiv gebe.
Richter zeigte sich erschüttert
Im Prozess drängt sich nun die Frage auf, ob das stimmt. „Mir ist früh aufgefallen, dass zum Motiv nicht so richtig ermittelt wurde“, sagt Nebenklagevertreterin Seda Başay-Yıldız. Das habe sie irritiert, vor allem weil der Angeklagte bereits 2022 am Jahrestag der Reichspogromnacht versucht hatte, das Gebäude anzuzünden. Das wäre ein Ansatz gewesen.
Zudem kam heraus, dass nicht alle Datenträger ausgewertet wurden, die konfisziert worden waren. Dem Gericht wurden Chatprotokolle vorgelegt, in denen sich der Angeklagte und seine Lebensgefährtin abfällig über Migrant*innen äußerten und deren Tod wünschten. Außerdem fand Başay-Yıldız heraus, dass der Angeklagte kurz vor der Tat „Mord Strafrecht“ gegoogelt hatte. Zusätzlich entdeckte Başay-Yıldız, auf einem Bild der Durchsuchungsmaßnahmen aus der Garage des Angeklagten im Hintergrund ein volksverhetzendes Pamphlet, das dort aufgehängt war. Schließlich gibt es eben noch die eingangs erwähnten Beweismittel – knallharte NS-Literatur.
Auch der Vorsitzende Richter Jochen Kötter hatte sich erschüttert gezeigt, als Başay-Yıldız die neu aufgetauchten Bilder in Augenschein nehmen ließ. Er könne da auch aus der Haut fahren, wenn er das sehe, sagte Kötter während des Prozesses. „Ich muss Ihnen zugestehen, dass das nicht passieren darf“, so der Richter weiter.
Başay-Yıldız will nach der Ablehnung durch die Staatsanwaltschaft Wuppertal weitere Ermittlungen prüfen, auch gegen die Staatsanwaltschaft selbst. Am 15. April wird der Prozess fortgesetzt.
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