Bombenentschärfung in Sachsen: Die Geflüchteten von Dresden
Eine Bombe wird entschärft und 9.000 Dresdner*innen müssen in Notunterkünften schlafen. Dabei fällt ihnen auf: Ist gar nicht so toll da.
Heute mal ausschließlich gute Nachrichten an dieser Stelle. „Positiver Journalismus“ liegt ja im Trend: Letzte Woche wurde in der sächsischen Hauptstadt eine „besonders gefährliche“ (tagesschau.de), fünf Zentner schwere Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft. Hochkomplizierte Sache. Zwei Tage Nervenkitzel: Der erste Entschärfungsversuch missglückt. Teilexplosion. Löschroboter. Mehr als 1.000 Polizist*innen im Einsatz. Rund 9.000 Dresdner*innen im betroffenen Stadtteil Löbtau evakuiert. Zwei Tage später die Entwarnung. Von der Bombe geht keine Gefahr mehr aus. Alles noch mal gut gegangen. Puh!
Wie man dem Boulevard-Portal tag24 mit Sitz in Dresden entnehmen kann, war das auch allerhöchste Eisenbahn. Denn „nach der zweiten Nacht in der Notunterkunft drohte bei vielen Betroffenen, die in der Messe untergekommen waren, die Stimmung zu kippen.“ Keine Infos, schleppende Versorgung, Ungewissheit, wie es weitergeht. Es habe den Leuten vor allem an Wechselkleidung gefehlt, berichtet das Portal – voller Empathie und ganz dicht dran am Leid der Menschen.
Tierbesitzer hätten sich Sorgen um ihre Lieblinge zu Hause gemacht. „Das ist unmenschlich“, schimpfte eine ältere Frau, wie tag24.de berichtet. Oberbürgermeister Dirk Hilbert, der sich vor Ort ein Bild von der Lage gemacht hatte, musste trösten. „Ich verstehe die Leute, die wissen wollen, wann sie zurück können. Bei allem steht aber die Sicherheit an erster Stelle“, sagte er.
Nun, nachdem alle Dresdner*innen wieder saubere Unterwäsche tragen und mit ihren zurückgelassenen Wellensittichen vereint sind, bleibt uns nur, die tapferen Frauen und Männer zu dieser bestimmt äußerst kathartischen Erfahrung zu beglückwünschen. Jetzt können sie endlich nachempfinden, wie er sich so fühlt, der „Flüchtling“, wenn er da so sitzt in seinem „Ankerzentrum“ oder „Flüchtlingsheim“, weit weg von zu Hause, ohne Nachricht über das Wohlergehen seiner Haustiere. Keine Infos, schleppende Versorgung, Ungewissheit, wie es weiter geht.
Auch hier also: Alles noch mal gut gegangen? Entwarnung? Von Dresden geht keine Gefahr mehr für Muslime, POCs und Geflüchtete aus? Weil wir hier heute ausschließlich Gutes vermelden, wollen wir es einfach mal schwer hoffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen