Bizarre Rede von Fifa-Chef Infantino: Der multiple Präsident

Fifa-Chef Infantino reagiert auf die geharnischte Kritik an der WM. Er zeigt schrill Empathie, kritisiert Doppelmoral und gibt sich als Vermittler.

Infantino sitzt vor dem Rednerpult breitet Hände aus, dazwischen liegt ein Fußball

Gianni Infantino hält sich seine Welt recht kreativ zusammen Foto: Foto: Cristian de Marchena/imago

„Aber ja doch“, sagt Gianni Infantino, „ich bin auch eine Frau, mein Fehler.“ Ein Journalist wies den Fifa-Präsidenten darauf hin, dass die multiple Persönlichkeit, die er vorgab zu besitzen, noch vielgestaltiger ist.

Gut 50 Minuten vor dieser Richtigstellung hatte der Schweizer in einem schweren Pathos-Anfall vor Journalisten im großen Saal des Medienzentrums zu Doha gesagt: „Ich habe heute sehr starke Gefühle, ich fühle mich als Katarer, als Araber, als Afrikaner, als Schwuler, als Behinderter, als Wanderarbeiter.“ Giovanni Vincenzo Infantino, 52, der von allen einfach Gianni genannt wird, bestimmt wegen seiner aufdringlich jovialen Art, hatte mal wieder einen dieser Momente, in denen er von der Bühne herab zur Welt spricht, betont langsam und schmalzig.

Der Impulsvortrag dauerte fast eine Stunde, und man merkte, dass sich in Infantino etwas angestaut hat.

Zu lange habe er sich zurückgehalten, sagt er, sei sehr ruhig gewesen: „Also habe ich jetzt gedacht, es wäre wichtig, euch alle zu treffen.“ Ruhig? Nun ja. Ein rührseliger Werbespot über das Leben von Infantino läuft auf den Flügen von Qatar Airways und als Trailer bei bei „Sports“, dem katarischen Sender. Und bereits am Vortag saß der Fifa-Hansdampf als Überraschungsgast auf dem Podium der Schiedsrichter-Pressekonferenz neben Pierluigi Collina und annoncierte die beste WM aller Zeiten, mit den besten Emotionen aller Zeiten.

Geschichten aus der Kindheit

Die Medien, scherzte er bei dieser Gelegenheit, sollten bei aller Kritik auch mal seinen Laden „loben“. Da steckte Infantino noch in einem Fifa-Trainingsanzug. Einen Tag später trägt er den schwarzen Anzug des Hauses mit blauem Schlips auf weißem Hemd. Die Glatze ist frisch gewienert, die Augen blitzen verschwörerisch.

Nur am Anfang, als noch kein Wort gesprochen ist, wirkt Infantino angespannt. Logisch, die Kritik, die auch die Fifa wegen der Menschenrechtslage in Katar trifft, wegen des Umgangs mit seinen Wanderarbeitern, ist geharnischt. Der Fifa-Chef geht strategisch vor: Empathie und Solidarisierung steht über dem ersten Kapitel seiner Rede. Er erzählt seine Geschichte als italienisches Einwandererkind, als „Secondo“ in der Schweiz. „Meine Eltern haben auch unter harten Bedingungen gearbeitet.“

Die Eltern, der Vater stammte aus Reggio Calabria in Süditalien, arbeiteten im Bahnhof der schweizerischen Kleinstadt Brig: Infantinos Vater als Verkäufer und Schlafwagenschaffner, seine Mutter im Bahnhofskiosk. In der Schule sei der kleine Gianni gemobbt worden, wegen der roten Haare und seiner anfangs schlechten Deutschkenntnisse. „Man zieht sich zurück und weint – und dann sucht man Freunde.“

Nachdem Infantino versucht hat, eine Brücke zu bauen von seinem eigenen Leben zu dem der Wanderarbeiter, beginnt Teil zwei des Vortrags: Belehrung und Zurechtweisung. „Es ist schade, dass wir in den vergangenen Wochen mit viel Heuchelei und Doppelmoral konfrontiert worden sind, vor allem von den Europäern“, sagt er. „Bevor wir anderen Lektionen erteilen, sollten wir uns für 3.000 Jahre Geschichte weitere 3.000 Jahre entschuldigen.“

Es gebe dort, so kann man ihn verstehen, wo die Hypermoral so prächtig gedeiht, genug Dreck vor der eigenen Haustür, um den man sich kümmern sollte, es werde zu wenig differenziert. Infantino führt die prekäre Lage von Behinderten und Flüchtlingen an. „25.000 von ihnen sind seit 2014 wegen der europäischen Migrationspolitik gestorben.“ Infantino blickt bedeutungsschwanger ins Publikum und fragt dann: „Ist deren Leben nicht genauso viel wert?“ Katar habe den Wanderarbeitern indes legale Wege eröffnet, ins Land zu kommen und Geld zu verdienen.

Zynische Anmaßung

Für den Arbeiter aus Nepal, Bangladesch oder Sri Lanka, der manchmal monatelang auf seinen kargen Lohn warten muss, der sich ein Zimmer mit acht anderen teilt, der zehn Stunden täglich in der Hitze schuftet, klingt das zynisch. Infantino aber sagt: „Ich verstehe die Art der Kritik nicht, die Medien haben die Verbesserung der Arbeitsbedingungen nicht zur Kenntnis genommen.“ Stattdessen würden sie immer nur „draufhauen“ auf Katar. „Mit Anklagen und Verurteilung erreicht man aber nichts, mit Dialog schon.“

Das dient ihm als Überleitung zum dritten und letzten Teil der Rede: Makeln und Interessenausgleich. Der Fußballweltverband erscheint nun als Vermittler, der die Welt ein bisschen besser machen möchte. „Druck ist negativ, Engagement ist positiv.“ Man mag Infantino einiges nachsagen, ein Reaktionär ist er sicherlich nicht. Diese Sicht der Dinge versucht auch Fifa-Medienchef Bryan Swanson zu vermitteln, der nach der Rede Infantinos das Wort ergreift und sich als schwul outet. „Die Fifa ist inklusiv, und wenn Gianni Infantino das sagt, dann meint er das auch“, sagt der Schotte, der 2021 vom TV-Sender Sky zum Fußballweltverband gewechselt ist.

Beim Sultan von Brunei hat Swansons Chef versucht, das Fußballverbot für Mädchen zu kippen. Infantino geht bei Monarchen, Autokraten und Diktatoren aus und ein, nicht nur, um günstig an einen Flug im Privatjet von Emir Tamin Al Thani zu kommen, sondern auch, um ein bisschen über Wandel zu sprechen. „Aber dieser Wandel braucht Zeit“, sagt er in Doha. „Draufhauen ist dabei kontraproduktiv, das wird als Provokation aufgefasst.“

Infantino muss in der Fifa mit allen möglichen „Weltproblemen“ umgehen, wie es der Schweizer Fifa-Insider Mark Pieth einmal gesagt hat, mit krassen Demokratiedefiziten, einer Bakschisch-Mentalität, mit ultrakonservativen Ansichten, die in Europa nicht mehr vermittelbar sind. Und obgleich die Fifa nicht die „Weltpolizei“ sei, auch nicht „die UNO oder die Blauhelme“, habe sich seine Organisation die Verteidigung der Menschenrechte auf die Fahne geschrieben, „wir tun es nur auf unsere Weise“.

Was ist er nun, dieser Gianni Infantino? Makler oder Mauschler? Pragmatiker oder Schönfärber? „Es ist nicht richtig, den Fußball für andere Zwecke zu missbrauchen“, sagt er. Sein höchster Zweck ist ohnehin Wachstum und Umsatzsteigerung. Das ist das Bezugssystem des Aufsteigers, der so gern die Rolle des Conférenciers spielt.

Unter seiner Ägide prosperiert die Fifa. Die Rücklagen sind auf über drei Milliarden Euro angewachsen. Die Katar-WM bringt ein Plus von 600 bis 700 Millionen gegenüber dem letzten Championat. 1,75 Milliarden Dollar gingen in den vergangenen drei Jahren an die 211 Mitglieder. 48 Länder starten in die nächste WM. Infantino selbst genehmigt sich ein Gehalt von etwa 2,5 Millionen Euro. „Die Fifa“, sagt er, „ist keine Diktatur, wo der Präsident alles entscheidet, wir suchen nach guten Kompromissen.“ Die Suche dauert immer noch an.

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