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Berlins SPD-Führung Giffey und SalehZurück zur CDU light

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter

Das Führungsduo der Berliner SPD verabschiedet sich von Positionen wie dem Mietendeckel. Als wirtschaftsnahe Partei aber hat die SPD keine Chance.

Mit Karacho weg von sozialdemokratischer Politik: Franzsika Giffey und Raed Saleh Foto: dpa

A lle, die schon vergessen hatten, wie sozialdemokratische Regierungspolitik aussehen kann, können diese seit einigen Jahren in Berlin erleben. Mieterschutz, Stärkung der landeseigenen Betriebe und Besserstellung der Beschäftigten, konsequente Hilfe für alle, die unter der Coronakrise besonders zu leiden haben, beitragsfreie Kitas oder eine progressive Sicherheitspolitik. Zu verdanken ist das meiste davon den sozialdemokratischen Koalitionspartnern Linken und Grünen.

Das künftige Führungsduo der Berliner SPD aus dem bisherigen Fraktionschef Raed Saleh und der designierten Bürgermeisterkandidatin Franziska Giffey will sich von diesem Kurs des Senats, den die SPD immerhin mitgetragen hat, nun deutlich absetzen.

In einem gemeinsamen Interview mit dem Tagesspiegel haben sie ihre politischen Schwerpunkte für die Wahl im kommenden Herbst dargelegt. Ihre zentralen Punkte: Neubau als die Antwort auf hohe Mieten, ein roter Teppich für Unternehmen, Karstadt-Neubau am Hermannplatz, das Eintreten für Sicherheit und Ordnung, Kampf gegen den Linksextremismus.

Wirtschaftsfreundliche Sicherheitspartei

Während viele in der Partei zumindest rhetorisch versuchen, der größten Krise der Sozialdemokratie in ihrer Geschichte mit einer Rückbesinnung auf ihre Wurzeln zu begegnen, verfolgen Giffey und Saleh eine gegensätzliche Strategie. Statt sich empathisch an die für sozialdemokratische Politik empfängliche Bevölkerungsmehrheit zu richten, wollen sie die SPD als wirtschaftsfreundliche Sicherheitspartei profilieren. Als CDU light aber, diese Lehre hätte die SPD aus den vergangenen 25 Jahren ziehen können, werden sie die Partei nicht aus dem 18-Prozent-Umfragetief herausführen.

In seinem programmatischen Aufschlag ignoriert das Führungsduo die wichtigsten Zukunftsthemen der Stadt. Wie kann auf die drohenden sozialen Verwerfungen infolge des Spardrucks durch die coronageschröpften öffentlichen Haushalte reagiert werden? Wie gelingt die Mobilitätswende abseits des Langfristplans, neue U-Bahn-Linien zu bauen? Wie soll dem Auseinanderdriften der Gesellschaft und der Gefahr von rechts auf der Straße und in den Sicherheitsbehörden begegnet werden? Und wie soll bezahlbares Wohnen auch nach Auslaufen des Mietendeckels sichergestellt werden?

Nur Leerstellen und Nichtantworten

Zumindest Letzteres haben Giffey und Saleh in den Blick genommen, mit der Nicht-Antwort „bauen, bauen, bauen“. Dabei hat zuletzt der SPD-Arbeitskreis Soziale Stadt selbst einräumen müssen, dass am Bedarf der Berliner*innen gänzlich vorbeigebaut wird. Nur neun Prozent der zwischen 2014 und 2019 fertiggestellten Wohnungen kosten unter 10 Euro pro Quadratmeter, noch nicht einmal vier Prozent unterliegen einer sozialen Mietbindung.

Dass den beiden rechten Sozialdemokraten dennoch nichts anderes einfällt, führt ihren gleichzeitig geäußerten Anspruch auf ein neues Superressort Stadtentwicklung und Verkehr ad absurdum; zumal sich viele noch an die tristen Jahrzehnte sozialdemokratischer Wohnungspolitik erinnern dürften. Getoppt wird das Ganze mit der inhaltlichen Leerstelle, wie die Autostadt zu einer klimagerechten Metropole mit neuen Mobilitätskonzepten umgestaltet werden kann.

Zentral im Wahlkampf soll das Thema Bildung werden, ein Ressort, für das die SPD seit 1999 ununterbrochen die Verantwortung trägt. Wie schulischer Erfolg vom sozialen Status des Elternhauses entkoppelt werden kann, bleibt trotzdem offen. Auch wird das bloße Versprechen auf mehr Digitalisierung keine Wähler*innen überzeugen.

Ebenso wenig wie das Versprechen, konsequent gegen den Linksextremismus – wie zuletzt in der Liebigstraße – durchzugreifen. Den polizeilichen Ausnahmezustand zugunsten eines Wohnraumspekulanten lehnten in einer Tagesspiegel-Umfrage gerade 70 Prozent der Berliner*innen ab. Bezeichnend ist auch, dass der ehemaligen Neuköllner Bürgermeisterin kein Wort zum rechten Terror im Bezirk einfällt.

Giffey und Saleh haben entschieden, das sozialdemokratische Terrain Grünen und Linken zu überlassen, um ein paar Stimmen von der CDU abzugraben. Sozialdemokratische Regierungspolitik geht dann wohl doch nur ohne SPD.

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Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
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19 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Die SPD wird die Wahl gewinnen, wenn auch in einer Koalition.

    Wer könnte sonst gewinnen? Die Grünen etwa mit ihrer großartigen Verkehrspolitik oder den beiden Totalversagern von Dassel und Herrmann?

    • @17900 (Profil gelöscht):

      Ich fürchte, Herr Müller und Anhang stehen da nicht besser da, genau wie die Kollegen der Linkspatei und der Opposition. Gute Politik kennen in Berlin ja leider nur noch die älteren Semester...

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Als was hätte die SPD denn eine Chance?

    • @80576 (Profil gelöscht):

      Nun mach die taz aus einer sozialdemokratisierten CDU eine SPD die zur CDU wird.

      Wer hat den Sozialismus erfunden?



      Richtig. Die CDU.

      • @Rudolf Fissner:

        Der Sozialismus siecht! (Dialekt)

        Fragt ein altes Mütterchen beim Staatsrat der DDR nach: "Wurde der Sozialismus von Wissenschaftlern oder Kommunisten erfunden?"



        Antwort: "Von Kommunisten."



        Darauf das Mütterchen: "Das habe ich mir gedacht, Wissenschaftler hätten's sicher erst an Mäusen ausprobiert."

        Der bekannten DDR-Eiskunstläuferin Gabriele Seyfert-Messerschmidt verspricht Honecker, einen Wunsch zu erfüllen. "Öffnen Sie für einen Tag die Mauer!" "Du, du, du!", meint Honecker: "Willst wohl mit mir ganz allein sein?"

        ;-)

    • @80576 (Profil gelöscht):

      Als Linkspartei. Deshalb hat sich die SED ja ach sozialdemokratisiert. :-)

  • Nachdem der Mietendeckel dafür sorgt, das Kaufen das neue Mieten wird, schlicht weil er Vermietung in Berlin gerade abschafft (kein Vermieter vermietet ohne Rendite, außer Steuerzahler finanzierte Vermieter, also die Landeseignen Wohnungsbaugesellschaften), wird die Eigentümerquote in Berlin steigen, damit auch der Wohlstand und damit räume ich der SPD sehr gute Chancen in Berlin ein, insbesondere da sie traditionsgemäß eine sehr gute, nämliche marktkonforme Sozial- und Wirtschaftspolitik betreibt.

    • 0G
      02881 (Profil gelöscht)
      @Claudia :

      Zur Eigentümerquote: Welche Veranlassung gibt es eigentlich mehr als zwei Wohnungen besitzen? Auch darüber sollte der Gesetzgeber mal dringend nachdenken.

      • 8G
        80576 (Profil gelöscht)
        @02881 (Profil gelöscht):

        Stimmt. Das muss verboten werden. Ebenso der Besitz von mehr als einem Paar Schuhe, Hosen, etc. pp. Das ist mir schon lange verdächtig. Wozu?



        Und wo wir schon dabei sind, über sinnvolle Maßnahmen zu reden: gegen die lückenlose Überwachung jedes Einwohners durch den Staat kann auch nur der etwas haben, der etwas zu verbergen hat. Also her damit.

      • 1G
        17900 (Profil gelöscht)
        @02881 (Profil gelöscht):

        Wollen Sie mir meine Häuser in Südfrankreich und Kalifornien madig machen?

  • Nun ja, Frau Giffey wird ja wohl keine Bürgermeisterin werden, wenn ich die derzeitigen Umfragen richtig interpretiere.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Senza Parole:

      Sie wissen mehr??????



      Wir hören zu!

  • Sehr guter Beitrag.



    Ich kann Punkt für Punkt folgen.

    Ich bin ganz erstaunt das sachliche, präzise Aussagen aufgeführt werden, die, um bei einem bildlichen Vergleich zu bleiben , das Deckblatt s. o., in leuchtenden Farben, in den folgenden Seiten verliert sich der Glanz, es schleichen sich Ungenauigkeiten und Unwahrheiten ein,die in vergangenen Artikeln sehr in vorteilhaften Erweckungsbeiträgen geendet sind.

  • Über Inhalte kann man natürlich unterschiedlicher Meinung sein, strategisch aber ist die Positionierung von Giffey und Saleh ziemlich sinnfrei. Die Berliner CDU ist kein Gegner, man muss sie nicht imitieren, man kann sie eigentlich noch nicht mal imitieren, weil da gar nichts ist. Die Berliner CDU kupfert ihrerseits bei der FDP ab, was sich zwangsläufig in billigen, populistischen Kampagnen erschöpft. Die SPD will will mal wieder auf staatstragend machen, aber das hat Müller auch schon versucht und es ist grandios schiefgegangen. Die Partner am Problemlösen zu hindern kann einfach nicht wirklich Wähler anlocken, selbst wenn diese Angst vor grünen oder linken Projekten haben. Was Giffey und Saleh jetzt sagen ist eigentlich nur die Absicht sich nicht mehr treiben zu lassen, nur haben sie immer noch keine eigenen Ideen. Vor einer solchen SPD muss niemand Angst haben.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Benedikt Bräutigam:

      Vor langer Zeit hat ein Studienkollege mal gesagt, in Berlin gibt`s nur den Bodensatz.



      Von der CDU ist nicht, aber wirklich gar nichts zu erwarten. Boxer-Frankie hat`s vorgemacht - glatte Luftnummer.



      Nun rechnet sich Scharfmacher Dregger Chancen aus?



      Herrn Wegener`s Statements glaubt eh niemand.

    • @Benedikt Bräutigam:

      "Die Berliner CDU ist kein Gegner, man muss sie nicht imitieren, man kann sie eigentlich noch nicht mal imitieren, weil da gar nichts ist."

      In aktuellen Umfragen konkurriert die CDU in Berlin mit den Grünen um die meisten Sitze im Abgeordnetenhaus. Schwarz-Rot-Gelb, Schwarz-Grün (bzw. Grün-Schwarz) oder Grün-Schwarz-Rot sind realistische Koalitionen nach der nächsten Wahl; rot jeweils SPD. Die SPD kann froh sein, wenn Grün-Schwarz sie überhaupt für die Mehrheit braucht und dann als Mehrheitsbeschaffer von einem der beiden mitgenommen wird.

      Vielleicht geht es der SPD auch darum, der CDU die Stimmen abzunehmen, um eine Fortführung von R2G sicherzustellen. Sich mit Linken um das gleiche Klientel zu streiten, würde zumindest nicht dazu führen.

      Mit Giffey kann sich die Berliner SPD einges leisten - sofern sie den Doktortitel bis dahin nicht verliert. Beliebteste Politikerin Berlins, die, wenn ihre Partei nicht rumdümpeln würde, mit Sicherheit Regierende Bürgermeisterin werden könnte - auch ohne klar linkes Profil.

      • @Devil's Advocate:

        Stimmt: die Berliner CDU scheint tatsächlich bei 20 Prozent zu liegen. Das ist mir entgangen, was mich allerdings auch nicht wundert weil es eigentlich nicht nachvollziehbar ist. Es ändert aber jedenfalls nichts am inhaltlichen Defizit der Partei. Bei den für die Zukunft der Stadt wirklich wichtigen Themen ist die CDU unbrauchbar, ihr momentanes Hoch dürfte auf beliebte Folklore- Themen aus dem Bereich Sicherheit zurückzuführen sein. Das aber ist ein Indiz für die Spsltung der Gesellschaft und damit nichts dem die SPD nacheifern sollte. Die Spaltung wird übrigens nicht nur von BILD und Morgenpost befeuert, auch die Taz ist zum Beispiel mit ihren überreichlichen Klientel- Artikeln über das glorreiche Liebig- Projekt nicht unbeteiligt. Egal aber ob dergleichen den einen als Schreckgespenst dient und den anderen als Vorbild, es ist eigentlich schlichtweg unwichtig. Wichtig sind Verkehrs- und Wohnkonzepte, Ideen und Mut. Die SPD macht im Moment nicht den Eindruck als käme da viel von ihr.



        Nachtrag: Grün- Schwarz oder Schwarz- Grün ist grundsätzlich etwas das ausprobiert werden muss, das auch funktionieren kann. In Berlin allerdings nicht.

  • Schade, eigentlich.

  • Ja, die SPD hat's dieser Tage nicht leicht. Aber dem Kommentator, der glaubt, dass die alte Dame als "CDU light" nicht aus dem Umfragetief kommt, sei gesagt: Gerade in Berlin ist sie als Linkspatei light da hineingeraten.