Karstadt am Hermannplatz: Bausenator verteidigt Signa-Deal
Bei einer Anhörung im Abgeordnetenhaus gibt es Kritik am „Letter of Intent“ zwischen dem Senat und Signa. Senat könnte das Verfahren an sich ziehen.
Eines muss man Sebastian Scheel lassen. Er ist die Ruhe in Person. Erst vor anderthalb Wochen hat seine Linkspartei den Deal zwischen dem rot-rot-grünen Senat und dem Karstadt-Eigner Signa auf einem Parteitag abgelehnt. Doch das scheint für den neuen Bausenator nebensächlich zu sein. Die Schließung von sechs Kaufhäusern in Berlin habe ein sofortiges politisches Handeln notwendig gemacht, sagte Scheel am Mittwoch bei einer Anhörung im Stadtentwicklungsausschuss des Abgeordnetenhauses. „Es ist für den Senat wichtig gewesen, die Beschäftigten vor Entlassung zu schützen.“
Vier der sechs Häuser hat Rot-Rot-Grün durch seine Einigung mit Signa retten können. Im Gegenzug versprachen SPD-Linke und Grüne Signa Baurecht für drei umstrittene Bauvorhaben in Neukölln, am Alex und am Ku’damm. „Signa hat die Krise schamlos gegen die Stadt und die Beschäftigten ausgenutzt“, kritisierte die Linken-Abgeordnete Gennburg unmittelbar nach der Einigung.
Nun folgte ihr auch der Parteitag. Durch den Beschluss der Linken war die Anhörung, die vor dem Abgeordnetenhaus von einer Kundgebung begleitet wurde, mit besonderer Spannung erwartet worden. Auch weil Florian Schmidt, grüner Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg und bekennender Gegner eines Neubaus von Karstadt am Herrmannplatz, eingeladen war. Als das alte Karstadt-Gebäude Ende der zwanziger Jahre gebaut wurde, so Schmidt, war der Neubau vielleicht angemessen, sagte er. „Heute aber hat der Platz nicht mehr die zentrale Funktion wie damals.“ Mit der Wiedererrichtung des alten Gebäudes setze Signa auf eine Signature Architecture, „die zur Folge hat, dass der Sozialraum in der Umgebung umgebaut wird“.
Schmidt fordert deshalb ein Dialogverfahren, das ergebnisoffen sei müsse. „Es kann nicht sein, dass ein Konzern eine Kampagne startet und sagt: Ich mag hier den Dialog.“ Stattdessen müsse der Bezirk das Verfahren durchführen. „Da steht auch die Glaubwürdigkeit der Regierung auf dem Spiel“, so Florian Schmidt.
Grüne Wiese und Disneyland
Von den drei Bauvorhaben von Signa ist das in Neukölln sicher das umstrittenste. Anders als in Friedrichshain-Kreuzberg stößt der Neubau des alten Karstadt-Gebäudes mit seiner Art-déco-Fassade bei Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) auf Zustimmung. Für Hikel ist damit vor allem die Hoffnung auf eine Aufwertung des Hermannplatzes verbunden. Die Frage nach der Architektur des Neubaus nennt er eine „Phantomdiskussion“. „Wenn wir nichts ändern, wird der Ort weiter verwahrlosen. Das ist nicht gut für Karstadt und Neukölln.“
Das wiederum will die grüne Abgeordnete Susanna Kahlefeldt, die ihren Wahlkreis in Neukölln hat, so nicht stehen lassen. „Ich finde die geplante Fassade am Hermannplatz scheußlich“, sagt sie. „Das kann man auf der grünen Wiese machen und ein Disneyland drum herum bauen.“
Für Signa war Timo Herzberg, Vorstand von Signa Real Estate, also der Immobiliensparte des Konzerns, zur Anhörung eingeladen worden. In seiner ruhigen Art steht er Sebastian Scheel in nichts nach. „Karstadt am Hermannplatz wurde in den fünfziger und siebziger Jahren errichtet, später kam noch das Parkhaus an der Urbanstraße dazu.“ Dem Ist-Zustand stellt Herzberg die „Vision der historischen Bebauung und einer vielfältigen Nutzung“ entgegen. Allerdings sei da das letzte Wort noch nicht gesprochen, ging Herzberg auf die Kritik an der Architektur ein. Überraschend präsentiert er darüber hinaus eine Vereinbarung, die die Signa am Dienstag mit der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Degewo getroffen hat. „Wir haben mit der Degewo die Herstellung von mietpreisgebundenen Wohnungen am Hermannplatz vereinbart.“
Negative Auswirkungen auf den Einzelhandel
Haben Warenhäuser überhaupt noch eine Zukunft? Auch das war Thema bei der mehr als vierstündigen Anhörung im Stadtentwicklungsausschuss. Ja, sagt dazu Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg. „Deswegen unterstützen wir die Maßnahmen, solche Standorte zu entwickeln.“ Negative Auswirkungen auf den umliegenden Einzelhandel befürchtet er nicht. „Das Warenhaus ist der bestmögliche Nachbar für den Einzelhandel, weil er ihnen Kundschaft bringt. Städte, die solche Standorte verloren haben, sind im Handel ärmer geworden.“
Im Gegensatz zu Busch-Petersen fürchtet Cordelia Polinna, Geschäftsführerin von Urban Catalyst, durchaus negative Folgen. „Der stationäre Einzelhandel hat nur eine Chance, wenn er auf Erlebnis ausgerichtet ist und mit anderen Angeboten kombiniert wird.“ Schon jetzt sei es so, dass der Hermannplatz einerseits ein Ort der Stigmatisierten sei, während im Graefekiez und im Reuterviertel die Gentrifizierung voranschreitet. „Hier besteht erheblicher Handlungsbedarf. Wir müssen fragen, welche Rolle soll der Hermannplatz in Zukunft für die Quartiere spielen. Und wie kann er trotz der Gentrifizierung Ort für Ausgegrenzte bleiben?“
Aber nicht nur der Hermannplatz weckt Emotionen. Auch der geplante Bau der Hochhäuser am Ku’damm ist umstritten. Das Baukollegium von Senatsbaudirektorin Regula Lüscher hat die geplanten drei Türme abgelehnt. Auch für SPD-Stadtentwicklungsexperte Daniel Buchholz gibt es noch Diskussionsbedarf. „Wenn es um Hochhäuser geht, muss es einen Mehrwert für die ganze Stadt geben und nicht nur für den Investor.“
Autorität gesunken
Sorgen muss sich Signa dennoch nicht machen. Zumindest nicht, was die Senatoren von Rot-Rot-Grün betrifft. „Das Masterplanverfahren in der City-West ist gut vorangekommen“, sagt Bausenator Sebastian Scheel. Scheel deutet an, dass der Senat „wegen des gesamtstädtischen Interesses“ das Verfahren an sich ziehen könnte.
Das Gleiche gilt auch für den Hermannplatz. „Wichtig ist eine gute Zusammenarbeit mit den Bezirken“, sagt Scheel an die Adresse von Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln. Soll wohl heißen: Einigt euch oder ihr habt bald nichts mehr zu melden.
Bleibt die Frage, ob Scheel noch etwas in der Linkspartei zu melden hat. Der FDP-Mann Stefan Förster konstatiert am Ende der Anhörung: „Die Autorität von Klaus Lederer und Ramona Pop ist schon so weit gesunken, dass sie nicht einmal eine Vereinbarung in den eigenen Parteien durchsetzen können.“
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