Absenkung der Strafmündigkeit: Schweden schickt bald 13-jährige Kinder in den Knast
Die rechtskonservative Koalition in Schweden wagt ein „Experiment“, um gegen Bandenkriminalität vorzugehen: Kinder ab 13 Jahren sollen ins Gefängnis gehen.
Kinder und Jugendliche als Auftragsmörder, von kriminellen Gangs über Social Media rekrutiert: Was tun, wenn das eigentlich Unvorstellbare immer häufiger passiert? Die jüngste Antwort der schwedischen Regierung soll Handlungskraft demonstrieren, wird aber nicht nur von Kinderschutzverbänden kritisiert: Gefängnis statt Betreuung in geschlossener Jugendeinrichtung – und das bald auch schon für Kinder ab 13 Jahren.
Bisher waren Gefängnisstrafen auch für 15- bis 17-Jährige die absolute Ausnahme. Die mit den rechten Schwedendemokraten kooperierende liberalkonservative Koalition änderte aber nicht nur das, sondern kündigte im September zusätzlich an, die Strafmündigkeit bei schweren Straftaten auf 13 Jahre zu senken. Dies soll ab Juli 2026 gelten, zunächst für fünf Jahre. Eine Expertenkommission hatte 14 Jahre als neue Strafmündigkeit vorgeschlagen. Die Schwedendemokraten hatten schon lange 13 Jahre gefordert.
Und diese Woche nun erweiterte Justizminister Gunnar Strömmer (Moderate) einen bereits laufenden Auftrag an mehrere Justizvollzugsanstalten: Zusätzlich zu Gefängnisplätzen für Minderjährige ab 15 sollen nun auch Plätze für 13- und 14-jährige Kinder geschaffen werden. Jüngere und ältere Minderjährige sollen getrennt voneinander einsitzen, teilte das Justizministerium mit. Und, offenbar wurde das als erwähnenswert betrachtet: Die Bestimmungen der UN-Kinderrechtskonvention müssten befolgt werden.
Die neue Linie sei „wichtig, um die Wiedergutmachung für Gewaltopfer zu stärken, die Gesellschaft zu schützen und Kindern zu helfen, die kriminelle Laufbahn zu verlassen“, sagte Strömmer. Dass eine Gefängnisstrafe für Letzteres der richtige Weg ist, dem hatte das schwedische Institut für Menschenrechte unter Berufung auf Studien und internationale Erfahrungen schon längst widersprochen.
Abhörung und Überwachung
Die Regierung spricht gerne vom größeren Werkzeugkasten, den die Polizei von ihr bekomme, um gegen die Bandenkriminalität vorzugehen. Dazu gehören etwa temporär auszurufene sogenannte Sicherheitszonen, wo die Polizei verdachtsunabhängige Leibesvisitationen durchführen kann. Und seit Oktober können auch unter 15-Jährige heimlich abgehört und deren elektronische Kommunikation präventiv überwacht werden.
Statistiken zeigen: Die Anzahl erwachsener Gewalttäter im Kontext der organisierten Kriminalität sinkt in Schweden, die der minderjährigen steigt. Besonders auffällig ist laut einer Untersuchung des Svenska Dagbladet (SvD) der Anstieg bei unter 15-Jährigen. Im Jahr 2017 waren im Fall von 15 Tötungsdelikten die Tatverdächtigen jünger als 15 Jahre. Im vergangenen Jahr waren sie es in 176 Fällen. Der signifikanteste Anstieg geschah ab 2023. Da hatte die jetzige Regierung bereits mit ihren Maßnahmen begonnen.
Dass Kinder-Gefängnisse nicht die richtige Antwort sind, meint etwa der Generaldirektor der Justizvollzugsbehörde, Martin Holmgren. Er sagte im schwedischen Fernsehen SVT: „Ein 13-jähriges Kind ist üblicherweise so unreif, dass es, wenn es falsch gehandelt hat, auf andere Weise betreut werden sollte.“
Die Kinderschutzbehörde „Barnombudsmannen“ hatte in ihrem aktuellen Jahresbericht auch das bisherige System als nicht ausreichend kritisiert. Die meisten dieser jungen Straftäter hätten eine unsichere Kindheit erlebt, voller Gewalt und ohne verlässliche Erwachsenen. Nicht nur diese Behörde spricht von einem gesellschaftlichen Versagen gegenüber diesen Kindern.
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